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Gegen das System bis zum Tod

Ende der 60er entstand aus der radikalen Studentenbewegung die Rote Armee Fraktion unter Führung von Andreas Baader und Ulrike Meinhof. Nach mehreren Bombenanschlägen mit zahlreichen Toten und Verletzten wurden die Anführer verhaftet und vor Gericht gestellt. Am 21. Mai 1975 begann in Stuttgart-Stammheim der Prozess gegen die Baader-Meinhof-Gruppe.

Von Otto Langels | 21.05.2005
    "Wir können aufmachen. Bitte die Ausweise zurecht machen, dann dürfen Sie eintreten. - Komm mal ein bisschen zur Seite, komm. - Ihr könnt aufmachen."

    Um kurz vor sieben Uhr öffneten sich am 21. Mai 1975 die Türen zum Gerichts-Gebäude in Stuttgart-Stammheim, um Zuschauer und Journalisten einzulassen. An dem Tag begann der Prozess gegen Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Jan-Carl Raspe.

    Das fensterlose Betongebäude war eigens für dieses Verfahren auf einem Acker neben der Vollzugsanstalt Stammheim errichtet worden. Der Luftraum über Stammheim war gesperrt, schwer bewaffnete Polizei patrouillierte um das mit Stacheldraht gesicherte Gebäude. Die Prozessbeobachter mussten sich vor Betreten des Sitzungssaals einer Leibesvisitation unterziehen.

    Auf der Anklagebank saß der harte Kern der Baader-Meinhof-Gruppe, die sich selbst als Rote Armee Fraktion bezeichnete, kurz RAF. Entstanden war die Gruppe aus dem radikalen Flügel der Studentenbewegung Ende der 60er Jahre. Am 2. April 1968 steckten Andreas Baader und Gudrun Ensslin in Frankfurt am Main zwei Kaufhäuser in Brand, um gegen den Vietnamkrieg und das kapitalistische System der Bundesrepublik zu protestieren.
    Ulrike Meinhof erklärte damals vor Journalisten:

    "Wir sind engagiert für diejenigen, die sich versuchen zu befreien von Terror und Gewalt und, wenn ein anderes Mittel als das des Krieges ihnen nicht übrig bleibt, dann sind wir für ihren Krieg."

    Die Geburtsstunde der RAF war die gewaltsame Befreiung Andreas Baaders aus der Haft im Mai 1970. Ein Unbeteiligter wurde durch einen Schuss schwer verletzt. Die Gruppe ging in den Untergrund, eröffnete den bewaffneten Kampf gegen die verhasste, angeblich faschistoide Bundesrepublik und verübte Anschläge gegen Einrichtungen der US-Armee, Polizeidienststellen und den Springer-Verlag. Dabei wurden vier Menschen getötet und Dutzende verletzt.

    Der Staat reagierte mit neuen Fahndungsmethoden und Gesetzen, um die innere Sicherheit zu erhöhen. Der damalige Bundesinnenminister Gerhart Baum kritisierte später die Einschnitte in die Bürgerrechte des Einzelnen.

    "Ich hätte mir gewünscht eine größere Gelassenheit, eine Reaktion auch des Gesetzgebers mit Augenmaß, und eine intensivere fordernde Auseinandersetzung mit der so genannten Ideologie. Die wollten ja was."

    Bewirkt hatte der Terrorismus letztlich, dass sich das liberale politische Klima verschlechtere. Der Krieg der sechs gegen sechzig Millionen, wie Heinrich Böll konstatierte, führte in eine bleierne Zeit und provoziert, wie unlängst bei einer Kunst-Ausstellung über die RAF in Berlin zu beobachten war, noch Jahrzehnte später erbitterte Diskussionen.

    Im Juni 1972 wurden die führenden Köpfe der Baader-Meinhof-Gruppe festgenommen. Wegen der verschärften Haftbedingungen, die sie als "Isolationsfolter" empfanden, traten sie mehrmals in einen Hungerstreik. Als der Prozess am 21. Mai 1975 begann, waren die Angeklagten von der Untersuchungshaft gezeichnet, wie der Gerichtsreporter Siegfried Kaspar bemerkte:

    "Allen gemeinsam ist, dass sie sehr bleich aussehen. Dass ist nach dieser langen Haftzeit auch kein Wunder. Andreas Baader trägt keinen Bart mehr, die Ulrike Meinhof hat sich Zöpchen geflochten. Und Gudrun Ensslin sieht eigentlich von allen am meisten mitgenommen aus."

    Nach 192 Verhandlungstagen, geprägt von zahllosen Anträgen der Verteidiger, darunter der spätere SPD-Politiker Otto Schily, wüsten Beschimpfungen der Angeklagten, der Ablösung des Vorsitzenden Richters und den Ausschlüssen einzelner Anwälte, erging am 28. April 1977 das Urteil: Lebenslange Haft für Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe. Ulrike Meinhof lebte zu dem Zeitpunkt nicht mehr. Sie hatte sich 1976 in ihrer Zelle erhängt.

    Baader, Ensslin und Raspe begingen am 17. Oktober 1977 im Hochsicherheitstrakt von Stuttgart-Stammheim wahrscheinlich Selbstmord. Einzelne Stimmen äußerten Zweifel am kollektiven Suizid, ohne konkrete Anhaltspunkte nennen zu können.

    Am 20. April 1998 löste sich die RAF selbst auf. "Die Stadtguerilla in Form der RAF", hieß es in einer Erklärung der letzten verbliebenen Mitglieder, "ist nun Geschichte."