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Gegen den Landarztmangel
Bochumer Medizinstudenten gehen in die Provinz

Das NRW-Gesundheitsministerium will einen Teil der Medizin-Studierenden künftig verpflichten, nach dem Examen als Landarzt zu arbeiten. Die Universität Bochum setzt bereits auf ein Kooperationsmodell, um dem Mediziner-Nachwuchs das Arbeiten in der Provinz schmackhaft zu machen.

Von Kai Rüsberg | 15.06.2018
    Studierende der Medizin im Labor am Institut für Pharmazie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa-Zentralbild/ZB
    Studierende der Medizin im Labor (dpa-Zentralbild)
    Jährlich 60 Studierende der medizinischen Fakultät der Bochumer Ruhruniversität wechseln für den zweiten Teil ihres Studiums den Studienort. Die gesamte klinische Ausbildung, also die Behandlung von Patienten, findet 100 Kilometer von Bochum entfernt statt, sagt Studiendekan Thorsten Schäfer.
    "Auf Wunsch des Landtages Nordrhein-Westfalens haben wir seit 2016 fünf Kliniken in Ostwestfalen dazugewonnen, in denen dann im späteren klinischen Ausbildungsabschnitt 60 unserer Studierenden fertig ausgebildet werden."
    Die fünf Kliniken in kleineren Städten wurden zu Universitätskliniken umgebaut. In Minden errichteten sie zudem ein hochmodernes Hörsaalgebäude. Die Studierenden legen in Bochum nach einem Grundstudium noch ihr Physikum ab und wechseln dann nach dem sechsten Semester, wie Dekan Schäfer berichtet:
    Klinische Ausbildung im ländlichen Ost-Westfalen-Lippe
    "Die gehen vom siebten bis zum zehnten Semester, also für zwei Jahre dorthin. In der Regel wohnen sie dort und haben daneben intensiven Unterricht in Fächern wie Innere Medizin, Chirurgie, Psychiatrie, Neurologie, Kinderheilkunde, Frauenheilkunde in den dortigen Krankenhäusern."
    Mit ähnlichem Konzept will die Landesregierung künftig den Ärztemangel in den privaten Hausarzt- und Facharztpraxen auf dem Land bekämpfen. NRW hat noch weitergehende Planungen: bis zu zehn Prozent aller künftigen Studierenden sollen für bis zu zehn Jahre als Landarzt verpflichtet werden. In Bochum setzt Studiendekan Schäfer dagegen bei den Absolventen auf Überzeugungskraft:
    "Unsere Idee dahinter ist, dass die Studierenden kennenlernen, wie gut es sich dort leben lässt und vielleicht wird ja der ein oder andere dort bleiben, lässt sich überzeugen eben in den Kliniken dort den Facharzt zu machen und vielleicht sogar sich später einmal dort niederzulassen, um dort für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung tätig zu sein."
    Wenig Interesse bei den Studierenden am Landarztleben
    Schon heute müssen die Studierenden in Bochum bei der Einschreibung garantieren, dass sie grundsätzlich bereit sind, ins eher ländliche Ost-Westfalen-Lippe, kurz OWL umzuziehen. Sollten sich nicht genügend Freiwillige finden, wird gelost. Unter den aktuell in Bochum Studierenden gibt es nur wenig Interesse am Studium auf dem Lande.
    "Ich wäre davon nicht begeistert. Ich weiß nicht, ob ich Lust habe in einem kleinen Ort zu wohnen, wo es einfach auch nicht so viele Möglichkeiten gibt und wo wenig andere Studenten vorhanden sind und auch wenig studentisches Leben vorhanden. Würde ich hingelost werden, würde ich danach wieder weggehen und ich könnte mir auch nicht vorstellen, eine Praxis auf dem Land zu eröffnen."
    "Ich komme selbst aus OWL, bin dann nach Bochum gekommen, mit meiner Verlobten auch. Und sie hat jetzt auch ihren ganzen Job hier nur aufgebaut und wir wollten hier Wurzeln schlagen. Jetzt könnte es halt sein, dass wir ausgelost werden."
    "Ich habe mir darüber schon Gedanken gemacht. Ich habe nicht vor, mich freiwillig zu melden, aber wenn ich ausgelost werden würde, dann würde ich dann auch dorthin ziehen, und es ist eigentlich auch schon ein verlockendes Angebot. Das soll auch alles neu und modern sein, also ich würde mich darauf sogar tatsächlich freuen."
    Ärztetag gegen Landarztquote
    Bei der Verlosung können nur dringende Gründe im familiären Umfeld gegen einen Studienplatzwechsel vorgebracht werden, sagt Luna Brewes. Die 21-Jährige hat im letzten Jahr ihr Physikum gemacht und ist eigentlich dabei, sich in Bochum auf ihre Promotion vorzubereiten.
    "Es gibt bestimmt auch ab und zu mal einen Glückstreffer von Leuten, die sich davon überzeugen lassen, aber ich studiere in der Biochemie. Mein Interesse liegt definitiv in einem wissenschaftlichen Werdegang, ich will kein Landarzt werden. Das weiß ich jetzt schon - und das bringt mir auch nichts, ein paar Jahre dort zu studieren, um dann danach zu sagen, ich will das definitiv nicht machen."
    Sie hält eine feste Quote von zufällig per Losentscheid ausgewählten Studierenden für die falsche Lösung für das Landarztproblem. "Ich verstehe, dass das ein Ansatz war, dieses Problem zu lösen. Aber ich glaube halt nicht, dass das dadurch passieren wird, dass man einfach Studenten zwangsversetzt, sondern man muss einfach irgendwie attraktivere Möglichkeiten schaffen."
    Auch der Deutsche Ärztetag ist gegen eine verpflichtende Landarztquote, wie sie in NRW geplant ist. Die Ärzteschaft befürchtet sogar einen gegenteiligen Effekt: eine Stigmatisierung der Haus- und Landärzte.