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Gegen die Unterdrückung der Pressefreiheit in Sierra Leone

Ich habe nichts falsch gemacht, ich habe nur das berichtet, was wirklich passiert ist. Warum sollte man schließlich den Menschen nicht die Wahrheit erzählen?

Von Agnes Steinbauer | 02.08.2004
    Claudia Anthony erinnert sich an dunkle Zeiten - die Zeiten als sie in ihrem Land Sierra Leone nur knapp mit dem Leben davonkam und ihre Heimat schließlich verlassen musste. Als Journalistin hatte sie über die Grausamkeiten des Bürgerkrieges berichtet – eines brutalen Krieges, der das kleine, westafrikanische Land bis zum offiziellen Friedensschluss Anfang 2002 über ein Jahrzehnt lang erschüttert hatte. Das Vier-Millionen-Volk war zwischen die Fronten der Regierungstruppen und der Rebellen der "Revolutionary United Front" - kurz RUF - geraten. Zehntausende von Menschen wurden gefoltert, vertrieben, getötet, oder durch Abhacken von Gliedmaßen zu Kriegs-Krüppeln gemacht. Auch Anthonys Vater starb an den Folgen einer solchen Verstümmelung. Das Haus der Familie wurde niedergebrannt.

    Claudia Anthony war Mitte der 9oer Jahre nach Abschluss ihres Studiums in internationalem Recht aus der Ukraine nach Sierra Leone zurückgekehrt. Der Bürgerkrieg war noch nicht überall spürbar, die Ruhe in der Hauptstadt Freetown allerdings trügerisch, denn in den Provinzen hatte bereits ein gnadenloser Kampf gegen die Zivilbevölkerung begonnen. Im Ringen um die Macht und den Rohstoff – Diamanten – mehrten sich die Attacken der Rebellen auf die Bevölkerung. In die Hauptstadt drangen lediglich Gerüchte. Claudia Anthony machte sich als Journalistin auf, die Wahrheit herausfinden:

    Ich ging in die Gebiete, wo sich damals der Krieg abspielte und ich wurde dafür bestraft, dass ich über die Dinge, die geschahen berichtete. Wenn ich über die Flüchtlinge schrieb, die zu tausenden mit ihrem Hab und Gut vor den Rebellen flohen, unterstellte mir die Regierung Panikmache und falsche Berichterstattung.

    Die Rebellen bezichtigten sie wiederum, mit der Regierung zusammenzuarbeiten und ihre Aktivitäten zu verraten. Journalistische Arbeit wurde immer schwieriger. Die Eskalation des Bürgerkrieges zu Beginn des Jahres 1999, ging nicht nur in die Geschichte Sierra Leones ein, sondern war gleichzeitig ein gewaltiger Rückschritt für das, was von den kläglichen Möglichkeiten für journalistische Arbeit noch übrig geblieben war:

    Das Massaker am 6. Januar passierte, als die Rebellen schließlich Freetown besetzen. Dabei wurden zehn Journalisten niedergemetzelt. Die Basis dieser Morde war, dass die RUF-Rebellen sagten, die Journalisten würden Lügen über sie schreiben.

    Schon vor diesem 6. Januar hatten Journalisten begonnen abzutauchen und ein verstecktes Leben zwischen Bunker und Büro zu führen - auch Claudia Anthony. Wie gefährlich sie als Journalistin lebte, wurde jedoch vollends klar, als eines Morgens 16 Rebellen in ihrem Büro auf sie warteten:

    Dreiviertel von ihnen waren kleine Jungs, denen man eigentlich eine Ohrfeige hätte geben müssen, aber leider hatten sie Kalaschnikows und alle möglichen anderen Waffen. Ich konnte mich aus der Affäre ziehen, weil ich mich als Putzfrau ausgab, die vom Zeitung machen nicht die geringste Ahnung hatte.

    Nur durch diesen Trick kam die Journalistin mit dem Leben davon – allerdings merkten die Rebellen bald, dass sie getäuscht worden waren und begannen sie telefonisch zu terrorisieren. Ein Zustand permanenter Angst begann, so dass sich Claudia Anthony schließlich Ende 1999 entschloss, von einem Journalistenkongress in Hamburg nicht mehr nach Sierra Leone zurückzukehren. Heute ist der Krieg zu Ende – ein Sieg für die Pressefreiheit ist aber noch nicht wirklich in Sicht. Kathrin Evers, Pressereferentin der Menschenrechtsorganisation "Reporter ohne Grenzen" kritisiert vor allem, dass trotz "Wahrheitskommission" in Sierra Leone, bis heute unter anderem die Morde an Journalisten nicht strafrechtlich verfolgt wurden:

    Für uns ist es sehr wichtig, diese unterlassene Strafverfolgung anzuprangern, um der Regierung klarzumachen, diese Straftaten aufzudecken, um nicht ein Exempel zu statuieren, dass Morde an kritischen Berichterstattern ungesühnt bleiben.

    Die heutige Regierung unter Präsident Ahmad Tejan Kabbah hat offensichtlich immer noch ihre Schwierigkeiten mit der Pressefreiheit. Zwar gibt es wieder eine Bandbreite von Medien, aber Journalisten bekommen die Folgen kritischer Berichterstattung deutlich spüren: Paul Kamara zum Beispiel, Chefredakteur der Zeitung "For Di People". Er saß wiederholt monatelang in Haft – offiziell wegen Diffamierung und Beleidigung des Präsidenten. Nach Informationen von "Reporter ohne Grenzen" aber, weil er versucht, Korruptionsfälle aufzudecken und dabei wohl nicht so ganz im Sinne des höchsten Gerichtshofes handelt. Außerdem bezichtigte Kamara Präsident Kabbah des Betrugs und stellte seine Immunität in Frage. Nach Informationen von Claudia Anthony wird Kamaras Arbeit auch in jüngster Zeit etwa auch durch Beschlagnahmung von Computern und Büromaterial behindert. Die heutige Situation der Medien in ihrer Heimat schätzt sie so ein:

    Eine Sache, die in Sierra Leone zur Zeit passiert, über die die Leute aber nicht reden, ist Selbst-Zensur – So sieht das mit der Presse heute aus.

    Obwohl sich Claudia Anthony in Berlin sicher fühlt, wurde sie letztes Jahr nach einem kritischen Artikel, in dem sie die Bestrafung der Kriegsverbrecher in ihrem Land forderte von der Vergangenheit eingeholt:

    Da hat mich jemand angerufen und gesagt – Hey, Du hast Sierra Leone verlassen? Und trotzdem kritisierst Du weiter die Regierung? Pass nur auf, Du kommst schon noch dran.