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Gegen Krieg und Kapitalismus

Eigentlich müsste das jetzt die Stunde der Linken sein: Das gesamte Finanzsystem steht infrage und damit auch die Werte des Kapitalismus. Doch die vergangenen Wahlen haben gezeigt: die Massen wählen nicht links - wie der DAX verliert auch die Partei Punkt um Punkt.

Von Christiane Wirtz | 23.10.2011
    "Drecksblatt!": Das ist das Wort, mit dem die "Junge Welt" wirbt. Und zwar für sich selbst. "Drecksblatt!" steht in schwarzen Buchstaben auf dem roten Plakat – darunter die Titelseite vom 13. August. Mit dieser Ausgabe handelte sich die Zeitung Ärger ein. Und zwar so richtig. Denn 50 Jahre nach dem Mauerbau fühlten sich die Redakteure zu Dank verpflichtet: "Danke für 28 Jahre Friedenssicherung in Europa. Danke für 28 Jahre ohne Hartz IV. Danke für 28 Jahre Club Cola und FKK."

    "Es ging einfach darum, dass der einseitigen historischen Sicht entgegen getreten werden sollte durch zugespitzte Darstellung, die vielleicht an der ein oder anderen Stelle durchaus diskussionswürdig ist wie alle journalistischen Produkte überhaupt."

    Peter Borak ist stellvertretender Geschäftsführer im Verlag der "Jungen Welt". An diesem Wochenende ist er in Erfurt, beim Parteitag der Linken – dass er kommen durfte, steht erst seit wenigen Tagen fest. Zwar gibt es eine gewisse Nähe zwischen der Linken und der linken Zeitung, mitunter wurde das Blatt gar als "Parteiflügelzeitung" bezeichnet – doch den Titel vom 13. August fand auch die Partei "diskussionswürdig". Dem Bundesschatzmeister der Linkspartei, Raja Sharma, ging der Artikel entschieden zu weit:

    "Als Satire aufgemacht - auf dem Titelbild - hat sie die Opfer des Mauerbaus verhöhnt und ihre Angehörigen verhöhnt und da war für mich einfach eine Grenze erreicht, wo ich gesagt habe: Ich finde nicht, dass wir dieser Zeitung eine privilegierte Partnerschaft einräumen dürfen."
    Deshalb wollten Raja Sharma und einige andere Abgeordnete der Zeitung keinen Platz auf dem Messegelände einräumen. Doch ohne Erfolg. Der Grund: Die Linke wollte sich nicht dem Vorwurf der Zensur aussetzen. Und so stehen die Vertreter der "Jungen Welt" zu dritt am Messestand und werben für Pressefreiheit und Probe-Abo. Ein Leser, der sich gerade für die nächsten drei Wochen hat werben lassen, hält die ganze Debatte um Mauerbau und Messestand für "typisch links":

    "Ich habe das Titelblatt gesehen und gleich verstanden als Satire. Und mir war auch gleich klar, dass aus bestimmten Ecken der Partei, und auch außerhalb der Partei, das zum Anlass genommen wird, ein Fass aufzumachen und das wird ein Hölzchen, über das wir springen sollten, und einige Leute sind drüber gesprungen."
    In den vergangenen Monaten gab es viele solche "Hölzchen". Dem Parteichef Klaus Ernst wurde sein Porsche zum Verhängnis. Der Parteichefin Gesine Lötzsch die Mauer. Und beiden ein Schreiben an Fidel Castro zum 85. Geburtstag. Darin gratulieren sie dem Kubaner für ein "kampferfülltes Leben" und "erfolgreiches Wirken". Kein Wort zur Verletzung von Menschenrechten. Doch glaubt man den Linken sind diese Hölzchen eine Gemeinheit der anderen – im Zweifel der Medien:

    Sahra Wagenknecht: "Wir haben einfach in den letzten anderthalb Jahren, denke ich, den Fehler gemacht, sehr, sehr viele Diskussionen zu führen, die an den wesentlichen Fragen, die die Menschen bewegen vorbeigegangen sind. Und uns Themen auch aufdrängen zu lassen, worüber wir uns dann auch die Köpfe eingeschlagen haben, wo viele sicherlich gesagt haben - ja das interessiert mich jetzt aber überhaupt nicht, was die Linke zur Bewertung historischer Ereignisse meint oder was sie zu irgendwelchen Glückwunschschreiben meint. Das heißt, wir haben das, wo wir eigentlich gefragt sind und wo wir auch Kompetenz haben, und zwar unsere Kernkompetenzen nämlich Konzepte zu Auswegen aus der Wirtschafts- und Finanzkrise, das haben wir viel zu wenig in den Mittelpunkt gestellt."
    Wäre dieser Parteitag in Erfurt eine Bewerbung für Partei- oder Fraktionsvorsitz: Sahra Wagenknecht wäre ganz weit vorne. In einem tiefroten Kostüm, das ihr bis zu den Waden reicht, und mit gewohnt strenger Frisur stellt sie sich vor ihre beiden Kollegen im Vorstand der Partei. Sie ruft die Genossen zu Geschlossenheit auf. Verweigert sich jeder weiteren Personaldebatte. An der braucht sich die stellvertretende Parteivorsitzende auch gar nicht mehr beteiligen: Die Namen Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht stehen ohnehin im Raum. Doch in der Messehalle solle an diesem Wochenende das Programm im Mittelpunkt stehen und nur das Programm – das betonen hier alle immer wieder, so auch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch:

    "Wir haben uns gemeinsam vorgenommen, dass es auf dem Parteitag keine Personaldebatte geben wird. Wir werden in 14 Tagen die Fraktionsspitze neu wählen und dann schauen, wie wir uns optimal für die Bundestagswahlen 2013 aufstellen."
    Und alle gemeinsam haben sich auch vorgenommen, ein Programm zu verabschieden. 2007 schlossen sich WASG und PDS zur Linkspartei zusammen. Jetzt soll der Fusion das Programm folgen. Es ist das erste Programm einer Partei, die – laut Präambel – an dem Menschheitstraum festhält, dass eine bessere Welt möglich ist. Einer Partei, die sich gegen den Kapitalismus und für einen demokratischen Sozialismus ausspricht. Dafür wirbt Gesine Lötzsch. Die Parteivorsitzende steht kämpferisch am Rednerpult, sie spricht mit vollem Körpereinsatz, denn sie weiß, sie hat bei den Genossen verlorene Landtagswahlen und verfahrene Kommunismusdebatten gut zu machen:

    "Und wir werden ein Programm beschließen, das zeigt, wie erbarmungslose Konkurrenz durch Solidarität ersetzt wird. Die Linke ist die Partei, die ein Programm hat, das sich grundsätzlich mit dem Kapitalismus auseinandersetzt und eine Gesellschaft gestalten will, in der nicht mehr das Geld regiert, sondern das Volk. Und zwar je direkter desto besser."

    Eigentlich müsste das jetzt die Stunde der Linken sein. Griechenland steht vor dem Bankrott, der Euro ist so schwach wie nie – das gesamte Finanzsystem steht infrage und damit auch die Werte des Kapitalismus. In New York protestieren Menschen gegen die Wall Street - in Frankfurt gegen die Deutsche Bank. Und selbst Frank Schirrmacher fragt in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" provokant, ob die Linke vielleicht doch recht habe, mit ihrer Kapitalismuskritik? Wie um Gesine Lötzsch dieses Stichworte zu geben, ziehen einige Delegierte durch den Saal, sie stellen sich vor die Bühne, mit einem Spruchband in den Händen. Darauf steht: "Stoppt die Gier und Macht der Banken." Die Parteivorsitzende kann den Spruch vom Rednerpult nicht lesen, doch sie weiß auch so, was die Genossen von ihr hören wollen:

    "Wir stehen solidarisch zusammen mit Millionen von Menschen auf der ganzen Welt. Wir, die Linke, sind die Partei, die die Empörung der Mehrheit in ihrem Programm aufgreift, liebe Genossinnen und Genossen."
    Doch die Massen wählen nicht links. Bei der Bundestagswahl 2009 kam die Linke noch auf 11,9 Prozent der Stimmen. Aber wie der DAX verliert auch die Partei Punkt um Punkt. In den Meinungsumfragen liegt sie im Bund zwischen sechs und acht Prozent. Bei einer Regierungsbildung wären SPD und Grüne nicht auf sie angewiesen. Und auch in den Bundesländern kann die Partei nicht von der Finanzkrise profitieren. In Berlin wechselte sie aus der Regierung in die Opposition. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz kam sie erst gar nicht ins Parlament. Für Gesine Lötzsch Anlass genug, um die Partei an ihre Inhalte zu erinnern:

    "Und in diesem Zusammenhang möchte ich auf Stephan Hessels Buch 'Empört Euch' zurückkommen. Mein Wunsch wäre, die Empörung über andere Genossen sollte in unserer Partei nie größer sein, als die Empörung über die sozialen Verhältnisse in unserem Land."

    Nach einer guten halben Stunde endet die Rede, Gesine Lötzsch kehrt zurück auf ihren Platz in der ersten Reihe. Wohlwollend hebt Oskar Lafontaine den Daumen, gut gemacht, die Geste wird auf die großen Leinwände neben der Bühne übertragen. Denn von diesem Parteitag soll das Signal der Geschlossenheit ausgehen. Nicht Ost gegen West. Nicht Reformer gegen Realos. Keine Mauer soll die Linke mehr spalten – das ist auch die Botschaft von Klaus Ernst, der am Sonntag, kurz vor der Abstimmung, noch einmal für das Parteiprogramm wirbt. Nicht ohne allerdings vorher die Medien zu schelten:

    "Wenn ich zurzeit mit Gesine Lötzsch in Berlin über die Spree gehen würde, ohne unterzugehen, würden viele deutsche Journalisten nicht schreiben: ein Wunder. Sie würden schreiben, die beiden können nicht schwimmen. Das ist zurzeit die Realität."

    Realität ist auch, dass Klaus Ernst mit seinem linken Hemdkragen zu kämpfen hat. Denn der steht hoch – gebügelt und gestärkt, wie er nun mal ist. Das gibt keine guten Bilder. Oskar Lafontaine weiß das. Und hilft dem Parteivorsitzenden von der ersten Reihe aus. Ein Zettel geht ans Rednerpult. Klaus Ernst liest ihn, während er spricht, klappt den Kragen runter. Doch der Kragen klappt wieder hoch. Ein Pressesprecher gibt noch mal einen Hinweis. Kragen wieder runter. So geht das eine ganze Weile.

    Ernst: "Wahlerfolge sind vergänglich, auch Mandate sind vergänglich, was aber nicht vergänglich ist, liebe Genossinnen und Genossen, das sind unsere Überzeugungen, unsere Hoffnungen und unsere Ziele. Und die legen wir heute mit diesem Programm fest."

    Kaum ist der Kampf mit dem Kragen beendet, stimmt die Partei über das Programm ab:

    "Liebe Genossinnen und Genossen, dann stelle ich jetzt hiermit fest, dass dieser Bundesparteitag das neue Programm unserer Partei bei vier Nein-Stimmen, zwölf Enthaltungen und 503 Ja-Stimmen - das entspricht 96,9 Prozent, - beschlossen hat."

    Gesine Lötzsch strahlt über das ganze Gesicht. Klaus Ernst ballt die Faust – so wie ein Boxer, der gerade seinen Gegner k. o. geschlagen hat. Der Gegner – das sind all jene, die das der Linken nicht zugetraut hätten.

    O-Töne:

    "Es war erwartet worden, dass sich die Partei zerreißt, und genau das Gegenteil hat stattgefunden. Wir haben uns geeinigt."

    "Dazu haben vor allem die Medien beigetragen, indem sie eine maßlose Hetze gegen die Linken betrieben haben. Und automatisch rückt dann eine Partei zusammen."

    "Ich hätte nicht gedacht, dass so eine große Mehrheit zustande kommt. Das zeigt doch, dass das Programm doch ein guter Kompromiss ist, wo viele damit leben können. Aber ich hätte das nicht geglaubt nach den letzten Monaten."
    Die beiden Vorsitzenden feiern das Ergebnis als persönlichen Erfolg. Doch die Delegierten mögen dem Programm zugestimmt haben, glücklich mit dem Personal sind sie deshalb noch lange nicht:

    "Ja, ähm, ich denke schon, dass das eine oder andere verbessert werden könnte."

    "Sicherlich es gibt immer Wünsche, wo man sagt, das würde ich anders machen oder hätte ich gerne andere Nuancen gesetzt, aber von der grundsätzlichen Ausrichtung und Verfahrensweise, ja."

    "Aber ich denke Frau Lötzsch gestern und Herr Ernst heute haben sich sehr gut positioniert, und ich bin wirklich zuversichtlich. Mit diesem Gefühl bin ich nicht hierher gekommen, aber damit fahre ich jetzt hier weg."

    Erfurt. Der Ort ist Programm. Denn am 20. Oktober 1891, vor genau 120 Jahren, haben sich die Sozialdemokraten hier ein neues Programm gegeben. Und die Linke weiß diese Geschichte in Szene zu setzen: 17 Delegierte kommen auf die Bühne. Sie stellen sich vor die tiefrote Wand, wie ein Chor sehen sie aus, sie halten das Erfurter Programm vor sich in den Händen. Es ist jenes Erfurter Programm der Sozialdemokraten, das gerade einmal vier Seiten lang ist. Bebel, Engels und Liebknecht haben es damals geschrieben. Lafontaine, Wagenknecht und Ramelow zitieren daraus als sei es ein Glaubensbekenntnis:

    Lafontaine: "Die ökonomische Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft führt mit Naturnotwendigkeit zum Untergang des Kleinbetriebes, dessen Grundlage ..."

    Wagenknecht: "Der Abgrund zwischen Besitzenden und Besitzlosen wird noch erweitert, durch die im Wesen der kapitalistischen Produktionsweise begründeten Krisen, die immer umfangreicher ... "

    Ramelow: "Diesen Kampf der Arbeiterklasse zu einem bewussten und einheitlichen zu gestalten und ihm sein notwendiges Ziel zu weisen, das ist die Aufgabe der Sozialdemokratischen Partei."

    Wagenknecht: "Natürlich ist das ein traditionsträchtiger Ort. Das Erfurter Programm damals war ein Meilenstein für die Sozialdemokratie. Es war ein klares antikapitalistisches Programm, was sie sich gegeben hat. Und natürlich ist es, wenn man es im Lichte dieser Entwicklung sieht, auch unglaublich traurig, was aus der SPD dann historisch geworden ist – eine Partei mit Gerhard Schröder, die den Sozialstaat, um den sie damals gekämpft hat, zerstört hat."
    Sie können es nicht lassen. Auch Sahra Wagenknecht nicht. Die Linken müssen sich an der SPD abarbeiten. Die rot-grüne Bundesregierung, so der Vorwurf, sei schließlich verantwortlich für Hartz IV und nicht nur dafür:

    "Auch SPD und Grüne stehen ja unverändert für solche Positionen wie die Zerschlagung der gesetzlichen Rente, für Hartz IV, für Kriegseinsätze, für Leiharbeit, für Billigjobs, dafür stehen sie alle und sie sind alle gemeinsam dafür verantwortlich, dass in diesem Land immer mehr Menschen von ihrer Arbeit nicht mehr leben können."

    Die Linke – und dafür steht Erfurt - als die wahre Hüterin der guten, alten Sozialdemokratie. Das kann der SPD nicht gefallen. Entsprechend meldet sich Sigmar Gabriel zu Wort. Gegenüber der "Thüringer Allgemeinen Zeitung" schimpft der SPD-Parteichef, die Linke wolle sich sozialdemokratischer Tradition bemächtigen, weil sie sich der eigenen Tradition schämen müsse. Denn die Tradition der Linken: Das sei KPD und SED. Oskar Lafontaine beeindruckt das wenig. Er sieht sich als rechtmäßigen Enkel Willy Brandts. Und so hat er einen Teil des Erbes einfach mitgenommen:

    "Im Mittelpunkt aller Reden Willy Brandts, die ich noch in Erinnerung habe, stand das Wort Gewaltverzicht. Dieses Wort kennt niemand mehr in Deutschland. Und es muss eine Partei geben, die dieses Wort wieder auf die Tagesordnung setzt. Wir wollen nicht eine Bundeswehr, die im Kriegseinsatz ist, sondern wir wollen Helferinnen und Helfer, die in aller Welt eingesetzt werden, wenn es Krankheiten gibt, Seuchen und Katastrophen."
    Willy-Brandt-Korps also soll die Truppe heißen, die ohne Waffen Frieden schafft. Auslandseinsätze der Bundeswehr sind mit vielen Linken nicht zu machen. Auch das ist so ein Posten, den die Linken auf dem Konto von SPD und Grünen verbuchen. Und sie verbuchen ihn negativ - jedenfalls die meisten Genossen. Denn über Krieg und Frieden streiten sie:

    "Deutsche Soldaten haben im Ausland mit Waffen nichts zu suchen."

    "Ich bin dafür zu sagen, dass man sich Auslandseinsätze genau anschauen muss. Dass man jeden Einzelnen auch im Bundestag beraten und abstimmen muss."

    "Wenn man sich anschaut, wie die derzeitige Situation ist, muss man natürlich ein bisschen weiter ausholen, dass alle Kriegseinsätze, alle Kriege, an denen sich die Bundeswehr derzeit beteiligt, eigentlich völkerrechtswidrig sind und von daher soll die Bundeswehr sofort dort abgezogen werden und von daher ist es nur konsequent, das gar nicht erst dazu kommen zu lassen."

    "Ich persönlich spreche mich gegen das generelle Verbot von Bundeswehreinsätzen im Ausland aus. Ich bin für die Einzelfallprüfung."
    Am Ende aber steht ein solches generelles Verbot. In ihrem Programm fordert die Linke "ein sofortiges Ende aller Kampfeinsätze der Bundeswehr". Die Partei zieht gar eine rote Linie, die bei Koalitionsverhandlungen nicht überschritten werden darf. Die Linke darf sich also an keiner Regierung beteiligen, die Kampfeinsätze der Bundeswehr zulässt. Das heißt: lieber Frontalopposition als Regierungsverantwortung.

    Wagenknecht: "Weil wir sind überzeugt, Menschenrechte kann man nicht herbeibomben, das muss man auch nicht im Einzelfall prüfen – sondern Krieg ist immer die größte Menschenrechtsverletzung und deswegen sind wir gegen Kriege und gegen Einsätze der Bundeswehr in solchen Kriegen. Und dass das Programm an dieser entscheidenden Stelle eindeutig ist, das finde ich sehr wichtig."
    Keine Kompromisse, das passt zu Sahra Wagenknecht. So stellt man sie sich vor – die Frau, die für ihre Überzeugung kämpft wie einst Rosa Luxemburg. Die von sich selbst sagt, "für viele sei sie der Gottseibeiuns, die finstere Kommunistin, die zurück will in die DDR". Eine Frau, die von Reformen, wie sie die ostdeutschen Landesverbände immer wieder fordern, nichts hören will. Und dann das:

    "Natürlich enthält der jetzt vorgelegte Entwurf in vielen Fragen, in einigen, in wichtigen Fragen Kompromisse. Und es ist das Wesen von Kompromissen, dass sie am Ende natürlich keiner Richtung so gut gefallen, als wenn ihre Position in Reinform in diesem Programm stehen würden."
    Dieses Programm ist auch ihr Verdienst, sie hat anderthalb Jahre mit daran gearbeitet. Es war ihre Chance zu zeigen, dass sie auch vermitteln kann innerhalb der Partei. Dass sie nicht länger allein steht am linken Rand, sondern mittendrin. Die Delegierten haben die Botschaft verstanden:

    "Die Genossin Wagenknecht hat noch mal ganz klar deutlich gemacht, wie viel Differenz können wir in der Partei zulassen, wie viel Einheit brauchen wir in der Partei. Sie hat in ihrem Beitrag wunderbar dargestellt, dass beides möglich ist."

    "Die Rede von Frau Wagenknecht fand ich hervorragend. Bei anderen hat man das Gefühl, sie reden um den heißen Brei, während die Wagenknecht, die trifft den Punkt."

    "Ich spüre, dass die Sahra Wagenknecht die wirtschaftlichen Verhältnisse, die Folgen für die Menschen wesentlich deutlich spürt und das auch rüberbringt. Und deshalb ist sie da wesentlich mobilisierender als Gesine Lötzsch."
    Doch über Personal soll auf diesem Parteitag ja nicht gesprochen werden. Das betont auch Oskar Lafontaine, wann immer man ihn danach fragt. Allein: Er ist da, er sitzt in der ersten Reihe und wirkt wohlauf. Der Gesundheit zuliebe hat er sich 2009 aus der Bundespolitik zurückgezogen. Den Parteivorsitz gab er ab, genauso wie sein Bundestagsmandat. Der Linken geht es seither gar nicht gut. Und so fühlt man sich an das Jahr 2003 erinnert, als die Partei unter dem Vorsitz von Gabi Zimmer schwächelte. Damals kam Lothar Bisky zurück und richtete die Partei wieder auf. Kommt diese Aufgabe demnächst Oskar Lafontaine zu? In Erfurt jedenfalls wirkte er so, als er ob das er kann – und durchaus auch will. Mit voller Kraft und rotem Kopf engagierte er sich für Partei und Programm:

    "Liebe Genossinnen und Genossen. Wir haben ein gutes Programm beschlossen. Wir haben gezeigt, wir wissen, wir müssen jetzt die Reihen schließen. Wir sind jetzt gebraucht wie niemals in der Geschichte. Und ich sage noch einmal wir brauchen den aufrechten Gang. Und wenn Ihr jemanden in der Kneipe trefft, der fragt, bist Du bei den Linken, dann duckt Euch nicht ängstlich weg, sondern guckt ihm ins Gesicht und sagt: Du noch nicht – dann wird es aber Zeit. In diesem Sinne: Glück auf!"#

    Die Delegierten sind begeistert:

    "Ich fand die wunderbar."

    "Ich fand sie fast schon ergreifend."

    "Ja, das drückt das aus, was wir meinen, das passte einfach."
    Und auch Sarah Wagenknecht, die sonst sehr ernst guckt, lächelt fast ununterbrochen. Oskar Lafontaine redet und ihre Mimik sagt: Ich hätte es selbst nicht besser formulieren können. Mehrmals muss sie sich zurückhalten, damit sie nicht klatscht, noch bevor er seinen Satz beendet hat. Ja, die beiden könnte man sich gut gemeinsam vorstellen an der Spitze von Partei und Fraktion. Doch das ist wieder so ein Hölzchen, das die Medien der Partei hinhalten. Und dieses Mal springen die Linken nicht darüber. Noch nicht.