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Gegeneinander und gegen Schwarz-Rot

Die Machtverhältnisse im deutschen Parlament sind eindeutig. Union und SPD kommen zusammen auf mehr als zwei Drittel der Abgeordneten. Die Große Koalition muss bei diesem Stimmenverhältnis nicht um andere buhlen. Die Oppositionspolitiker von FDP, Linkspartei und Grünen sind dagegen praktisch machtlos - und müssen sich außerdem noch gegeneinander profilieren.

Von Heidrun Wimmersberg | 07.09.2006
    Kuhn
    "Damit Ihnen der Koalitionskompromiss nicht in die Luft fliegt, sitzen Sie mit echtem dickem Hintern einer Großen Koalition auf der Kiste der Föderalismusreform, als endlich das zu machen, was in den Ländern erkannt wird, nämlich die Notwendigkeit, dass wir gemeinsam das Bildungssystem der der Zukunft gestalten."

    Gysi
    "Ich muss einfach sagen, Konzerne, Bestverdienende, Vermögende und Reiche haben zwei Sachen in Deutschland nicht zu fürchten - weder die Union noch die SPD."

    Westerwelle
    "Nichts von dem, was Angela Merkel in der Opposition an hehren Zielen gehabt hat, ist auf der Regierungsbank gelandet. Und das empfinde ich auch als Enttäuschung, meine sehr geehrten Damen und Herren."

    Auch wenn die drei Fraktionschefs der Oppositionsparteien im Bundestag noch so heftig gegen die Große Koalition wettern, können der Grüne Fritz Kuhn, Gregor Gysi von der Linkspartei und der Liberale Guido Westerwelle wenig gegen Schwarz-Rot ausrichten. Die Machtverhältnisse im deutschen Parlament sind eindeutig. Union und SPD kommen zusammen auf mehr als zwei Drittel der Abgeordneten, auf genau 448 Parlamentarier. Denen stehen 166 Oppositionspolitiker von der FDP, der Linkspartei und den Grünen gegenüber. Die Große Koalition muss bei diesem Stimmenverhältnis nicht um andere buhlen. Das schwarz-rote Bündnis setzt auf seine Mehrheit und hat zum Beispiel - als der Widerstand in den eigenen Reihen genügend niedergekämpft war - Ende Juni die Föderalismusreform mit der für Grundgesetzänderungen benötigten Zweidrittelmehrheit beschlossen. Dagegen ist die Opposition machtlos. Daher hat der Liberale Guido Westerwelle, Chef der stärksten Oppositionspartei, einen anderen Weg eingeschlagen. Er kritisiert, dass die Große Koalition trotz ihrer Macht seiner Meinung nach nichts Konstruktives leistet.

    "Sie haben die Machtfülle, die größte Machtfülle, die jemals eine Regierung gehabt hat, Sie rühmen sich dieser Machtfülle, dann müssen Sie jetzt auch endlich in die Gänge kommen und anfangen, Deutschland zu dienen, das haben Sie unserem Land versprochen, fangen Sie endlich damit an."

    Dietmar Bartsch wehrt sich gegen das Bild der machtlosen Opposition. Politik - sagt der Abgeordnete und Bundesgeschäftsführer der Linkspartei - laufe nicht nur über die Endabstimmung. Nach wie vor gebe es für die Oppositionsparteien Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen. Doch Bartsch, der bereits von 1998 bis 2002 im Bundestag war und das Geschäft mit der Politik gut kennt, gibt zu, dass die Enttäuschung über die schwarz-rote Macht bei seinen neuen Fraktionskollegen anfangs groß war.

    "Frustrierend kann eine Abstimmung sein, aber da ist man schnell durch. Das ist, wenn man das erste halbe Jahr im Parlament ist, dann findet man das noch frustrierend, aber dann weiß man zumindest, wie der parlamentarische Betrieb funktioniert und wo man da real eine Chance hat. Aber es stimmt schon, das dieses Durchregieren vergleichsweise gut klappt."

    Die Zeiten, in denen es zwei ungefähr gleich starke Lager im Bundestag gab, haben sich geändert. Auf der Regierungsbank sind nun die zwei großen Volksparteien vertreten, in der Opposition die drei kleineren Parteien, die kaum Schnittmengen haben.

    "Opposition gehört zur Demokratie dazu, aber Opposition ist Mist, lasst das die anderen machen, wir wollen regieren."

    Kurz und knapp - so hat der heutige Vizekanzler Franz Müntefering schon vor zwei Jahren klargemacht, dass er mit seiner Partei an der Macht festhalten will. Die SPD ist auf der Regierungsbank geblieben, ihr ehemaliger grüner Bündnispartner ist in die Opposition gewandert. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast:

    "Als ehemalige Landwirtschaftsministerin könnte ich sagen, Mist darf man nicht unterschätzen, weil das allerbester Dünger ist. Ich sehe ganz zuversichtlich, dass zwischen FDP und PDS und deren - finde ich - sehr auf einzelne Spuren reduzierte Konzepte wir jede Menge Möglichkeiten haben. Wir müssen ran."

    Doch dieses "wir müssen ran" ging bei den Grünen erst einmal unter. Die Partei musste sich neu sortieren. Der Schritt von der Regierungs- zur kleinsten Oppositionspartei ist den Grünen nicht leicht gefallen. Erschwerend kam hinzu, dass der grüne Übervater Joschka Fischer gleich zwei Tage nach der Bundestagswahl den Abschied von seinen Parteiämtern verkündete.

    "Es ist eine Zäsur und ein Stück Emotion auch dabei, ohne jeden Zweifel."

    Damit ist nicht nur der erfolgreichste Wahlkämpfer der Grünen von Bord gegangen, sondern auch jemand, der der Partei mit ihren unterschiedlichen Strömungen in den vergangenen Jahren zu einem pragmatischen Erscheinungsbild verholfen hat. Die Partei war kopflos und auf der Suche nach einem neuen Profil - personell wie inhaltlich. Bei der ersten Regierungserklärung der Kanzlerin Ende November 2005 wurde den Grünen deutlich vor Augen geführt, was es heißt, die kleinste Oppositionspartei zu sein. Mehrere Stunden musste Fraktionschef Kuhn warten, bevor er als erster Grüner reden durfte. Auch seiner Kollegin Renate Künast wurde während dieser Sitzung schnell klar, dass sie jetzt auf der anderen Seite sitzt. Als Künast einen Zwischenruf während Merkels Rede wagte, konterte die Kanzlerin kühl:

    "Ja, Frau Künast, das geht auch ohne Sie."

    Mit der Positionierung haben sich die Grünen auch schwer getan. Das war für sie auch schwieriger als für die Liberalen und die Linkspartei. Die FDP kennt sich seit 1998 im Oppositionsleben aus und kann die reine liberale Lehre vertreten - von wirtschaftsliberalen Sozialsystemen bis hin zu Bürgerrechten. Die Linkspartei versucht, die Regierung von links unter Druck zu setzen. Die Grünen sind in einem Zwiespalt. Die Rolle der Fundamental-Oppositionellen können sie nicht übernehmen. Im Parlament wird oft über Entscheidungen diskutiert, die die Grünen in den Zeiten der rot-grünen Koalition mitgetragen haben. Daher ist es oft schwierig für sie, eindeutig Stellung zu beziehen. Renate Künast:

    "Vielleicht liegt es auch daran, dass wir an der Regierung beteiligt waren und uns deshalb nicht immer die leichte Tour machen. Ich kann nicht den Westerwelle geben und will es auch nicht, der immer dann, wann es gerade passt, nein sagt."

    Mit dem Ja oder Nein sagen hatten die Grünen allerdings ihre Probleme, als es darum ging, den Untersuchungsausschuss zum Bundesnachrichtendienst, den CIA-Gefangenenflügen und der El-Masri-Entführung einzusetzen. Die Mitverantwortung aus rot-grünen Regierungstagen nagte an ihnen und vor allem an dem ehemaligen grünen Außenminister. Erst nach einem peinlichen Hin und Her entschieden sie sich - zusammen mit den anderen Oppositionsparteien - für den Ausschuss. Reinhard Bütikofer versuchte, mehr schlecht als recht, das zögerliche Verhalten der Grünen zu erklären.

    "Wir üben noch, ich glaube aber, dass durch die Diskussionen nicht nur zum Ausdruck gekommen ist, dass wir noch die Möglichkeit haben, einiges zu verbessern, sondern, dass auch die Richtung klargestellt worden ist."

    Inzwischen soll die Richtung klar sein. "Opposition plus" ist das neue Schlagwort bei den Grünen. Das heißt für Renate Künast: Es gibt nicht nur Kritik, sondern auch Vorschläge. Mit Konzepten wie zur Integration, zur ökologischen Modernisierung des Landes und zur grünen Marktwirtschaft wollen die Grünen thematisch punkten und langfristig wieder an die Macht zurückkehren. Nur mit wem? Rot-Grün ist passé, eine Neuauflage nicht wahrscheinlich. Mancher Realo hat daher Dreierkonstellationen im Blick. Jamaika -schwarz-gelb-grün - wird wieder diskutiert. Der Wirtschaftsexperte der grünen Fraktion - Matthias Berninger - ist für eine Annäherung an die FDP.

    "Wenn FDP und Grüne, an sich ja Feuer und Wasser, im Gesundheitswesen gemeinsame Vorschläge für mehr Wettbewerb vorlegen würden, würden sie einer Großen Koalition das Leben deutlich schwerer machen. Will man sich lieber vertragen und gemeinsam die Große Koalition zu Grabe tragen oder möchte man sich in der Opposition der Großen Koalition sich einen vergnüglichen Abend machen."

    Für diese Ansicht hat Berninger, der ehemalige parlamentarische Staatssekretär im Verbraucherschutzministerium, viel Schelte von seinen Parteikollegen bekommen. Fraktionsvize Krista Sager glaubt nicht, dass ein Jamaika-Bündnis in nächster Zeit spruchreif ist.

    "Ich sehe überhaupt nicht, dass das ein aktuelles Thema im Moment ist. Gerade, weil die Umfragewerte für CDU und SPD so schwach sind, werden die den Teufel tun und jetzt ihre Koalition in Frage stellen. Sondern die werden erstmal aneinander kleben und dann wird man weitersehen, langfristig."

    An Farbenspiele denkt die Fraktion der Linkspartei derzeit nicht. Sie ist noch sehr mit sich selbst beschäftigt. Erst kurz vor der Bundestagswahl hatten PDS und die Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit - WASG - beschlossen, als Linkspartei zusammen anzutreten. 2007 soll aus den beiden eine gemeinsame Partei werden. Doch nicht in allen Ländern wollen sich die Verbände paaren. In Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern tritt die WASG bei den Landtagswahlen gegen die PDS an. Ursprünglich hatte es Bedenken gegeben, dass diese Tatsache nicht mit der Geschäftsordnung des Bundestages vereinbar ist. Dort heißt es nämlich, dass die Mitglieder einer Fraktion Parteien angehören, die in keinem Land miteinander im politischen Wettbewerb stehen. Doch seine Fraktion - sagt der Abgeordnete und Bundesgeschäftsführer der Linkspartei Dietmar Bartsch - hat in diesem Fall nichts zu befürchten:

    "Der Fraktionsstatus ist ungefährdet, das sieht inzwischen die FDP genauso wie die CDU so. Da wird man auch nicht rangehen, das wäre politisch verdammt unklug. Maximal könnte man zu dem Ergebnis kommen, dass die Bundestagswahl wiederholt wird."

    Die Fraktion der Linkspartei ist sehr gemischt. Dort mussten sich ehemalige Sozialdemokraten und Gewerkschafter von der WASG aus dem Westen mit den Mitgliedern der PDS aus dem Osten zusammenraufen. Ein Umstand hat die Fraktion allerdings gleich am Anfang zusammengeschweißt: als Parteichef Lothar Bisky bei der Wahl zum Bundestagsvizepräsidenten viermal durchfiel. Das war einmalig in der Geschichte des Bundestages.

    Inzwischen hat die Fraktion den Schock überwunden, Petra Pau wurde im Frühjahr als Bundestagsvizepräsidentin bestätigt. Im Gegensatz zu den Grünen hat die Linkspartei mit ihrer Positionierung keine Probleme. Sie hat sich am linken Rand des Parlaments gut eingerichtet - fordert mehr Staat, übt Kritik an Hartz IV, plädiert für die Rücknahme der Mehrwertsteuererhöhung und ist entschieden gegen den Bundeswehreinsatz im Libanon. In der Öffentlichkeit registriert wird vor allem das Führungsduo der Fraktion - Gregor Gysi und Oscar Lafontaine. Im Gegensatz zu früheren Zeiten im Bundestag fühlt sich die Linkspartei heute von den anderen Fraktionen in der Opposition akzeptiert. Hin und wieder kommt es auch vor, dass die drei zusammenarbeiten.

    "Es gibt keine Koalition in der Opposition, nun schon gar nicht mit uns und der FDP oder den Grünen. Aber es gibt Absprachen, wo du sagst, wir kämpfen darum, dass die Rechte der Opposition durchgesetzt werden. Nehmen Sie den Untersuchungsausschuss, nehmen Sie andere Beispiele, wo wir einfach aufeinander angewiesen sind. Ich glaube, da sind die drei Leitungen der Fraktion so weit, dass sie sagen, da werden wir uns nicht behindern."

    Interessanterweise beziehen Linkspartei und FDP öfter ähnliche Positionen, wenn sie zum Beispiel nein zum Militäreinsatz im Libanon sagen oder die Mehrwertsteuererhöhung kritisieren. Doch eine Zusammenarbeit mit der FDP, findet Dietmar Bartsch, ist nicht einfach. Dafür sind die politischen Gräben zu tief.

    "Die FDP lässt sich ungern Kumpanei mit der Linkspartei vorwerfen, und die Linkspartei lässt sich sehr ungern Kumpanei mit der FDP vorwerfen. Ich bin da ja immer locker und sage, wenn es der Sache dient, kann man auch mit der FDP gemeinsam im Parlament agieren. Die Grünen tun sich da im Verhältnis mit der Linkspartei viel schwerer, weil sie an der ein oder anderen Stelle an Dinge aus ihrer Regierungsverantwortung erinnert werden, weil sie nicht so schnell fordern können, dies oder jenes sollte die Große Koalition machen, sie hatten sieben Jahre Zeit dafür, deswegen gestaltet sich dieses Verhältnis schwieriger."

    Die Linkspartei will die SPD unter Druck setzen, die FDP schießt sich auf die Union ein. Mit dieser Strategie, räumt Dietmar Bartsch ein, lägen die Liberalen vorn. Sie profitierten vor allem von der Sozialdemokratisierung der Union:

    Die Fraktion der Linkspartei will eine feste Größe im Parlament werden und fühlt sich im Gegensatz zu früher nicht mehr als Außenseiter. Die Akzeptanz steige, sagt Gregor Gysi, und auch die Überzeugung, dass man sich langfristig mit der Linkspartei beschäftigen müsse:

    "Wir werden auf der einen Seite ernster genommen, auf der anderen Seite ist die Abwehr groß. Ich habe das gemerkt so bei bestimmten Themen, da stehen sie dann alle geschlossen, die ganzen neoliberalen Parteien einschließlich Grüne und FDP gegen uns, und gleichzeitig gewöhnen sie sich daran, dass es uns geben wird."

    Während die Grünen sich nach wie vor schwer tun und die Linkspartei noch in der Selbstfindung ist, hat die FDP ihre Rolle als angriffslustige Opposition gefunden. Dazu trägt vor allem ihr Fraktions- und Parteichef Guido Westerwelle bei. In den Parlamentsdebatten ist er oft der bissigste Redner, der die Große Koalition scharf attackiert. Gute Umfrageergebnisse für seine Partei, Mitgliederzuwachs und eine größere Fraktion mit vielen neuen, ambitionierten Abgeordneten tragen dazu bei, dass Westerwelle vor Selbstbewusstsein strotzt.

    "Ich freue mich darüber, dass ich als Vorsitzender der stärksten Oppositionspartei auch daran mitarbeiten darf, diese Bundesregierung zu kontrollieren. Und damit auch die Interessen Deutschlands mit zu vertreten. Opposition ist ja auch eine Ehre, das gehört ja zur Demokratie dazu."

    Die Enttäuschung, im Gegensatz zur Union doch wieder in der Opposition gelandet zu sein, hielt bei der FDP nicht lange an. Nach dem Ermessen der Liberalen hat die Fraktion im Bundestag sogar an Bedeutung gewonnen. Als stärkste Oppositionspartei genießt sie den Vorzug, als erste Fraktion auf die Reden der Regierungsmitglieder zu antworten. Dieses Privileg hatte sie in der letzten Legislaturperiode nicht. Da kamen die Liberalen im Parlament erst nach der Union zum Zuge. Die FDP ist sich bewusst, dass sie bei den jetzt herrschenden Machtverhältnissen nicht viel ausrichten kann. Aber sie will - so ihr Gesundheitsexperte Daniel Bahr - der Großen Koalition das Leben so schwermachen, wie es nur geht.

    "Wir haben eine Riesenchance, die Große Koalition anzutreiben, der Stachel im Fleisch dieser Koalition zu sein, weil die Bürger erwarten, dass sich etwas ändert. Und die FDP Antreiber eines großen Tankers von CDU/CSU und SPD ist. Das gibt uns eine große Möglichkeit, inhaltlich zu wirken, unser Profil zu schärfen, auch Neumitglieder zu bekommen, aber die konkrete Veränderungs- und Gestaltungsmöglichkeit ist leider gering, weil wir über den Bundesrat kaum etwas machen können."

    Doch auch die FDP musste sich auf neue interne Verhältnisse einstellen und verhielt sich abwartend. Denn Wolfgang Gerhardt war das erste halbe Jahr Fraktionschef auf Abruf. Schon im Herbst hatten die Liberalen vereinbart, dass es Anfang Mai 2006 einen Führungswechsel geben sollte. Von Gerhardt zu Westerwelle. Wolfgang Gerhardt hatte die Losung ausgegeben, man brauche einen langen Atem, Opposition heiße auch Durchhaltevermögen.

    "Was wir tun müssen, ist, wir müssen das Publikum erreichen, das als Alternative zur Großen Koalition das haben will. Da hat die FDP eine gewaltige Aufgabe, sie hat auch ein Stück Wächterfunktion, sie muss sich deutlicher artikulieren in der Öffentlichkeit."

    Diesen Auftrag haben die Liberalen beherzigt. Ihre Außendarstellung schlägt sich in guten Umfragewerten nieder. Um sich herum hat Fraktionschef Guido Westerwelle vor allem jüngere Liberale aus Nordrhein-Westfalen geschart, mit diesem Netzwerk festigt er seine Macht und setzt auf Loyalität. Grabenkämpfe und Intrigen kommen kaum noch vor. Zur jungen Gruppe in der Fraktion zählt auch Daniel Bahr. Für ihn ist Westerwelle der Spitzenmann in der Opposition.

    "Westerwelle ist der Oppositionsführer im Deutschen Bundestag. Das ist für uns gut, dass wir jetzt eine Person haben, wo man weiß, dass diese Person für die FDP steht, während bei Linkspartei und Grünen ein Sammelsurium an Personen ist, das weiß man nicht, wer eigentlich für die Partei steht. Das ist ein Vorteil bei uns. Er ist der rhetorisch Begabteste, in der Haushaltsdebatte hat man es wieder gemerkt, dass er Paroli bieten kann - der Großen Koalition."

    Zwar kann Westerwelle in den Debatten glänzen, doch auf viele Erfolge kann die FDP nicht verweisen. Da ist zum einen der BND-Untersuchungsausschuss und zum anderen die Tatsache, dass die Große Koalition zu Beginn ihrer Regierungszeit keinen verfassungswidrigen Haushalt vorlegte, weil die Liberalen drohten, nach Karlsruhe zu gehen. Doch für Guido Westerwelle ist die Opposition nur eine Zwischenstation, obwohl er sich bemüßigt fühlt, die Opposition in Ehren zu halten.

    "Die Opposition ist kein Katzentisch, das ist eine ganz ehrenvolle Aufgabe in der Demokratie. Erst recht, wenn es eine so mächtige Regierung mit so riesigen Mehrheiten der Koalition ist, da gibt es ja auch Missbrauchstendenzen, gegen die man angehen muss. Nach der nächsten Bundestagswahl, und die kommt vor 2009 im Herbst, werden wir regieren. Das ist notwendig für dieses Land, der Politikwechsel muss kommen für dieses Land, der darf bestenfalls vertagt worden sein, der darf nicht abgesagt worden sein, sonst werden wir erleben, wie unsere Nachbarländer davon galoppieren."

    Die FDP schaut sich um, mit wem sie an ihr Ziel kommen kann. Welchem Partner soll sie sich langfristig zuwenden? Sollte sich der Trend der letzten Bundestagswahl fortsetzen, könnte es für Schwarz-Gelb auf Dauer knapp werden. Die Liberalen versuchen, die Union unter Druck zu setzen und kreiden ihr Opportunismus an. Neuerdings kritisiert Westerwelle auch die Kanzlerin, mit der sich der FDP-Chef eigentlich gut versteht.

    "Das persönliche Verhältnis zwischen Angela Merkel und mir ist unverändert gut. Aber wie heißt es so schön, Schnaps ist Schnaps und Dienst ist Dienst."

    Inzwischen denkt Guido Westerwelle auch über andere Farbkonstellationen wie das Modell Jamaika nach.

    "Dass Jamaika, also schwarz, gelb, mit den Grünen nicht ernsthaft sondiert worden ist nach der Bundestagswahl, lag an den Grünen und an der CSU. Ich sehe, dass dort ein Diskussionsprozess in Gang gekommen ist, von dem ich nicht beurteilen kann, wo er endet."

    Auch einen Politikwechsel zu Rot-Gelb hält Westerwelle für möglich und betont, wie gut die FDP mit dem Sozialdemokraten Kurt Beck in Rheinland-Pfalz zusammengearbeitet habe. Um die harten Zeiten der Opposition bald hinter sich zu lassen, heißt die pragmatische Strategie der FDP ganz einfach - wir sind für alle Bündnisoptionen offen.