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Geheimdienste
"Der BND muss Prioritäten setzen"

Die Debatte über Nachrichtendienste in Deutschland werde streckenweise mit einer erstaunlichen Hysterie geführt, meint der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom. Der Bundesnachrichtendienst müsse "Handlungswissen" für die Regierung beschaffen - über Krisenregionen, in denen die Türkei aktiv ist, genauso wie über außenpolitische Ambitionen des Weißen Hauses.

Erich Schmidt-Eenboom im Gespräch mit Thielko Grieß | 18.08.2014
    Die ehemalige große Abhörbasis der NSA in Bad Aibling in Bayern.
    Viele Daten landen in der Aufklärungsstation des BND in Bad Aibling (CHRISTOF STACHE / AFP)
    Vor deutschen Ohren seien kleinere Staaten sicher, weil der BND von der Kapazität her nicht vergleichbar sei mit den gigantischen nachrichtendienstlichen Apparaten der USA, Chinas oder Russlands, sagte Schmidt-Eenboom im Deutschlandfunk. Der BND müsse Prioritäten setzen - etwa auf Krisengebiete. Und die Türkei sei umzingelt von Krisengebieten.
    Telefongespräche von hochrangigen Politikern, die über der Türkei im Flugzeug unterwegs seien, landeten in Bad Aibling, der wichtigsten Aufklärungsstation des Bundesnachrichtendienstes, so Schmidt-Eenboom. Es zeige sich sehr deutlich, dass der BND beim Umgang mit menschlichen Quellen durchaus Schwächen habe. Was die fernmeldeelektronische Aufklärung betreffe, gehöre er aber zur Weltspitze.

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: Am Telefon begrüße ich jetzt den Publizisten und Geheimdienst-Experten Erich Schmidt-Eenboom. Schönen guten Tag!
    Erich Schmidt-Eenboom: Ich grüße Sie!
    Grieß: Halten Sie es für geboten, die Türkei auszuforschen?
    Schmidt-Eenboom: Das ist eine Banalität, dass der Bundesnachrichtendienst seit Jahrzehnten die Türkei ausforscht, weil dazu gibt es eine Handvoll guter Gründe. Genannt werden im Augenblick der Einfluss von türkischen Organisationen auf die deutsche Innenpolitik, die kurdische PKK und die Bekämpfung des Drogenhandels und der Schleuserkriminalität, wobei die Bundesregierung schon wieder vornehm verschweigt, dass quasi die PKK in diese verbrecherischen Aktivitäten nachhaltig involviert wird, und das wird verschwiegen, weil man ja die Peschmergas im Augenblick politisch braucht.
    Zu den weiteren Gründen zählte ab den 90er-Jahren, dass die Türkei versucht hat, Einflusspolitik in den zentralasiatischen Republiken zu machen. Da stand sie in deutlicher Konkurrenz zur Bundesrepublik Deutschland. Man darf nicht vergessen, dass die Türkei beabsichtigt, in die Europäische Union aufgenommen zu werden, und auch da muss natürlich eine Berliner Regierung auch eine nachrichtendienstlichen Nachschau halten, ob die innenpolitischen Verhältnisse dafürsprechen.
    Grieß: Also werden sich jetzt alle weiteren EU-Beitrittskandidaten wahrscheinlich auch umschauen müssen? Also nehmen wir mal Serbien zum Beispiel, dort wird man sich fragen in Belgrad: Hört der BND mit?
    Schmidt-Eenboom: Natürlich wird auch Serbien zu den Kernländern im Auftragsbuch des Bundesnachrichtendienstes zählen.
    "Nachrichtendienste fahren immer zweigleisig"
    Grieß: Ist die Debatte – Sie haben gesagt, das ist eine Banalität, das ist sozusagen in Geheimdienstkreisen offenbar schon lange bekannt gewesen –, ... Ist es denn so üblich, dass NATO-Partner eben dann doch nicht als sogenannte Freunde betrachtet werden?
    Schmidt-Eenboom: Also Nachrichtendienste fahren immer zweigleisig. Es gibt eine enge nachrichtendienstliche Kooperation mit der Türkei, gerade auf dem Gebiet der Bekämpfung des internationalen Terrorismus, was Herr Trittin, Herr Hahn angesprochen haben, die Beobachtung von Dschihadisten, die durch die Türkei nach Syrien oder in den Irak einreisen. Das ist ein wichtiges Kooperationsprojekt, das macht man nicht gegen die Türken. Gegen die Türken macht man eine Aufklärung ihrer politischen und außenwirtschaftlichen Zielsetzungen.
    Grieß: Wir haben ja auch gehört, dass es diese beiden mutmaßlich abgehörten Telefonate – eins von Hillary Clinton, eins von John Kerry – geben soll. Da sind wir jetzt bei der Spionage in den Vereinigten Staaten. Halten Sie es für glaubwürdig, dass das zufällig geschehen ist und es darüber hinaus keine systematische Ausforschung in den Vereinigten Staaten gibt?
    Schmidt-Eenboom: Also wir kennen die nachrichtendienstlichen Aufträge an den BND aus der Ära Helmut Kohl, späte 80er-Jahre, und da rangiert die Außenpolitik der Vereinigten Staaten aber auch ihrer Wirtschaft, Technologie und Uranpolitik in der Kategorie zwei, ebenso wie die Europapolitik Großbritanniens und Frankreichs, und in der Kategorie zwei meinte laut Definition des BND "hohes Interesse, vorrangiger Ansatz von Kapazität".
    Das heißt, der Bundesnachrichtendienst hat im Auftrag des Bundeskanzleramts auch immer ein Auge auf wichtige Verbündete, er hat es in den Vereinigten Staaten allerdings nie mit Agenten, die er am Staats- und Regierungsapparat platziert hätte, weil dazu war der Dienst immer viel zu risikoscheu.
    Schmidt-Eenboom: Erstaunlich, mit welcher Hysterie diese Debatte streckenweise geführt wird
    Grieß: Warum gibt es in Deutschland in der Diskussion stets eine große Empörungswelle, wenn bekannt wird, dass die Geheimen auch in Deutschland, auch die Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes, ihre Arbeit machen?
    Schmidt-Eenboom: Also es ist schon wirklich erstaunlich, mit welcher Hysterie diese Debatte streckenweise geführt wird, wo es um die nachrichtendienstlichen Aufträge an den Bundesnachrichtendienst geht. So lange wir einen Auslandsnachrichtendienst haben, muss der Handlungswissen für die Regierung beschaffen, und dazu zählen natürlich Krisenregionen, in die die Türkei involviert ist, ebenso wie außenpolitische Ambitionen des Weißen Hauses.
    Grieß: Und wer ist sicher vor den deutschen Ohren?
    Schmidt-Eenboom: Kleinere Staaten. Weil der Bundesnachrichtendienst natürlich von der Kapazität her nicht vergleichbar ist mit den gigantischen nachrichtendienstlichen Apparaten der USA, Chinas oder Russlands mit seinen 6.000 Mitarbeitern, 1.500 in der Fernmeldeaufklärung, muss er Prioritäten setzen, und die Prioritäten sind natürlich da, wo Krisengebiete sind, und die Türkei ist umzingelt von Krisengebieten.
    Grieß: Dürfen wir denn jetzt – wenn wir diese beiden Fälle, die am Wochenende bekannt geworden sind, wenn wir die zusammenziehen, also die abgehörten Telefonate auf der einen Seite und die Türkei auf der anderen Seite – dürfen wir davon ausgehen, dass, wer auch immer über der Türkei unterwegs ist im Flugzeug, sei es jetzt der französische Staatspräsident, der US-Präsident oder wer auch immer, wenn der da telefoniert, dass es dann wahrscheinlich in Pullach landet?
    Schmidt-Eenboom: Es landet in Bad Aibling, der wichtigsten Aufklärungsstation des Bundesnachrichtendienstes, und es zeigt sehr deutlich, dass der Bundesnachrichtendienst auf dem Sektor der Arbeit mit menschlichen Quellen durchaus Schwächen hat, dass er aber, was die fernmeldeelektronische Aufklärung betrifft, zur Weltspitze gehört.
    Grieß: Und warum hat er in der, was nannten Sie, in der Arbeit mit menschlichen Quellen Schwächen?
    Schmidt-Eenboom: Weil er ausgesprochen risikoscheu ist, weil er es nie verstanden hat, Agentennetze in den Staaten Nahmittelost zu führen, und weil gegenüber östlichen Verbündeten da eine große Scheu bestand.
    Grieß: Gibt es da Bestrebungen im Bundesnachrichtendienst, das zu verändern und zu verbessern?
    Schmidt-Eenboom: Der gegenwärtige Präsident hat bei Amtsantritt angekündigt, no risk no fun, das heißt, er will sehr viel stärker auf die Arbeit mit menschlichen Quellen setzen. Aber so was braucht eine langjährige Aufbauarbeit.
    Grieß: Es war in den vergangenen Monaten immer wieder – aber auch eher gerüchteweise – die Rede davon, dass es eine Art Arbeitsteilung gibt zwischen verschiedenen Nachrichtendiensten, also dass sich die Franzosen und die Deutschen zum Beispiel auch verschiedene Länder untereinander, also nicht aufteilen, sondern der eine macht das, der andere macht jenes.
    Die Franzosen, darf man annehmen, sind vielleicht in Westafrika deutlich stärker als der Bundesnachrichtendienst, während der BND, wie wir jetzt hören, in der Türkei, in Russland, in der Ukraine aktiv ist. Ist das so eine ganz gängige Arbeitsteilung? Und forschen sich zum Beispiel diese Nachrichtendienste untereinander dann nicht aus?
    Schmidt-Eenboom: Also es gibt eine grundsätzliche Austauschvereinbarung mit allen wichtigen NATO-Staaten, und da gibt es Felder, auf denen es überhaupt gar keine Grenzen gibt – wie internationaler Terrorismus. Das deutsch-französische nachrichtendienstliche Partnerverhältnis ist von ganz besonderer Natur, weil es tatsächlich so was wie eine vereinbarte Aufgabenteiligkeit gibt. So was gab es mit Großbritannien oder den USA nie.
    Das war erstmals ablesbar, als BND und französischer Auslandsnachrichtendienst übereingekommen sind, dass der Bundesnachrichtendienst mit Schwerpunkt in Afghanistan tätig ist, wo die Franzosen traditionell eigentlich stark waren, und die Franzosen dafür vollständig auf Algerien angesetzt werden und man dann die entsprechenden Informationen tauscht.
    Schmidt-Eenboom: PKGr wird "unzureichend informiert"
    Grieß: Herr Schmidt-Eeenboom, schauen wir abschließend noch einmal auf die deutsche Debatte, bei der wir kurz schon einmal waren. Wer nimmt hier wen auf die Schippe? Es geht mir um die Kontrolle des Bundesnachrichtendienstes durch das Parlament, durch das parlamentarische Kontrollgremium. Dort gibt es immer wieder Kritik, dass der BND die Mitglieder nicht richtig informiere.
    Jetzt weiß man nicht ganz genau von außen, was da eigentlich stimmt. Ist das so, oder nehmen uns die Mitglieder des PKGr auf die Schippe, indem sie uns Medien und der Öffentlichkeit nicht die Wahrheit sagen über das, was sie wissen?
    Schmidt-Eenboom: Also nach meiner Kenntnis wird das PKGr ganz unzureichend informiert. Das heißt, die haben zum Beispiel keine Kopie von diesen nachrichtendienstlichen Aufklärungsprioritäten aus dem Kanzleramt für den Bundesnachrichtendienst, und das wäre schon ein wesentliches Instrument der Kontrolle.
    Es gibt jedoch Politiker wie der gelassene Herr Trittin, die mit einer bestimmten Gelassenheit auf die Spionage des Bundesnachrichtendienstes gucken, die sind eingeweiht, und in der politischen Debatte haben wir im Augenblick die Eingeweihten, die teils abwiegeln, teils bekennen, und wir haben eine Vielzahl von relativ naiven Politikern, die offensichtlich nicht wissen, wie internationale Politik hinter den Kulissen funktioniert.
    Grieß: Die aber doch dann im PKGr sitzen?
    Schmidt-Eenboom: Teils ja.
    Grieß: Woher nimmt Herr Trittin denn seine besondere, seine Special Relations zum BND?
    Schmidt-Eenboom: Ich glaube nicht, dass er Special Relations zum BND hat, sondern dass er über jahrelange Arbeit im Kabinett und über viele Debatten in den Ministerien über die Möglichkeiten, Fähigkeiten und Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes unterrichtet ist.
    Grieß: Dann nehmen wir den Tipp mit und hören künftig Herrn Trittin ganz besonders genau zu, so wie wir Ihnen das getan haben. Danke schön, Erich Schmidt-Eenboom, Geheimdienstfachmann und Publizist, heute Mittag hier bei uns im Deutschlandfunk. Schönen Dank für das Gespräch!
    Schmidt-Eenboom: Gern geschehen!
    Grieß: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.