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Geheimnis einer Freundschaft

Ingeborg Bachmann, die berühmte Lyrikerin, und Hans Werner Henze, der berühmte Komponist: worin diese Freundschaft genauer bestand, war von Anfang an in ein etwas geheimnisvolles Dämmerlicht gehüllt. Es hatte etwas mit Italien zu tun, mit einem gemeinsamen Leben auf der Insel Ischia und in Neapel, und die Homosexualität Hans Werner Henzes schien zu der sphinxhaften Gestalt Ingeborg Bachmanns zu passen, die von Anfang an ihr Erscheinungsbild in den Medien bewusst mit Widersprüchlichkeiten anlegte. Die Geburtstage der beiden liegen nur um eine Woche auseinander: Bachmann wurde am 26. Juni, Henze am 1. Juli 1926 geboren. Ihr Briefwechsel erlaubt nun viele Einblicke in bisher unbekannte biografische Zusammenhänge und das alltägliche Leben vor allem von Ingeborg Bachmann – Hans Werner Henze hat ja bereits einige autobiografische Schriften vorgelegt. Doch gleichzeitig lässt dieser Briefwechsel auf neue Weise vieles offen. Das zeigt sich schon durch seine äußere formale Gestalt: es gibt 219 Briefe, Ansichtskarten und Telegramme Henzes, aber nur 33 von Ingeborg Bachmann. Das heißt jedoch nicht, dass sie so viel weniger an Henze geschrieben hätte: viele ihrer Briefe existieren nicht mehr. Henze bezieht sich in seinen Schreiben immer wieder auf schriftliche Äußerungen von ihr, die nicht dokumentiert werden können. Der Komponist nennt es in seinem kurzen Vorwort "wirklich beschämend und unverzeihlich", aber: bei seinen häufigen Umzügen seien einige der Bachmannschen Briefe verloren gegangen. So sieht der Leser dieses Briefwechsels die Beziehung der beiden fast zwangsläufig eher aus der Perspektive Henzes, und das Auratische, das Geheimnisvolle der Person Bachmanns wird umso größer, je mehr man von ihr erfährt.

Von Helmut Böttiger | 26.09.2004
    Kennengelernt haben sich die beiden, als sie 26 Jahre alt waren, auf einer Tagung der Gruppe 47, vom 31.10. bis 2.11. 1952 auf Burg Berlepsch zwischen Göttingen und Kassel. Henze war dort mit Wolfgang Hildesheimer, mit dem er die Funkoper "Das Ende einer Welt" erarbeitet hatte. Schon das erste schriftliche Zeugnis des Briefwechsels, geschrieben gegen Ende der Tagung, ist ein charakteristisches Präludium des Kommenden:

    liebes fräulein bachmann – ich sehe Sie nicht mehr? montag früh fahre ich nach köln, wenn Sie wollen, nehme ich Sie mit. werde nochmal anrufen. Ihre gedichte sind schön, und traurig, aber die idioten, selbst leute, die so tun, als ob sie "verstünden", verstehen nicht. adieu, Ihr hwhenze.

    Fräulein Bachmann fuhr mit Henze nach Köln, und dass ihre Gedichte "schön und traurig" waren, mag das Signal für ihr Bündnis gewesen sein. Beide waren in ihrer Kunst an Grenzüberschreitungen interessiert: es ging jeweils um die Beziehung zwischen Musik und Sprache. Henze bezeichnete die Musik später als "geistige Rede", und Ingeborg Bachmanns besonderes Verhältnis zur Musik ist von der frühen Lyrik bis zum späten Roman "Malina" zu verfolgen, der in seinem Spiel mit Thema und Variation wie eine Symphonie gebaut ist. Henze nannte ihn "Mahlers Elfte" – ein größeres Lob war für ihn nicht denkbar. Die zweite Gemeinsamkeit der beiden lag in einem Zusammenklang sehr subjektiver Sehnsüchte: es geht um den Süden. Henze zitiert sehr früh eine Zeile aus dem Bachmann-Gedicht "Herbstmanöver":

    Und der Fluchtweg nach Süden kommt uns nicht,
    wie den Vögeln, zustatten.


    Der Komponist bricht im Frühsommer 1953 von München auf zur Insel Ischia, um Abstand zu gewinnen. Zuerst sollten es wohl nur einige Monate sein, aber er blieb von da an in Italien; noch heute lebt er dort, in der Landschaft der Castelli Romani bei Rom. Kaum auf Ischia angelangt, beginnt er bei Ingeborg Bachmann zu werben, dass sie zu ihm komme. Und die gemeinsamen Monate auf Ischia, von August bis Oktober 1953, bilden dann auch den mythischen Urtext ihrer Beziehung. Ingeborg Bachmanns Gedichtzyklus Lieder von einer Insel kündet davon, genauso wie ihr Hörspiel Die Zikaden, zu dem Henze die Musik schrieb. Sein Werbebrief vom Juli 1953, in dem er von seinen ersten Erfahrungen auf Ischia berichtet, schlägt den Grundton für ihr Verhältnis an, das trotz seiner Homosexualität natürlich ein Verhältnis zwischen Mann und Frau ist:

    liebe ingeborg bachmann, natürlich ist es gefährlich von glück und zuviel zuneigung begünstigt zu sein, aber etwas glück, solches das nicht aus intellektuellen regenrinnen und nicht in intellektuelle schlünder läuft, etwas zarte freude und liebe, vielleicht auf ganz kühler erde und sehr fremd und keusch, kleine wunder von schönheit und reinheit, das kann nur gut sein wenn man arbeiten will: gerade das gehört zu dem, was man aus der kommenden zeit machen muss, o hoffentlich verstehen Sie recht. wenn sie wüssten, wie schön ich es hier habe!

    "sehr fremd und keusch", das sind Schlüsselworte für die Landschaft und wie man sich in sie einfügen könnte. Von Anfang an bemühen sich die beiden um die richtige Mischung aus Nähe und Distanz. Für Ingeborg Bachmann, die ihre ersten ernüchternden Erfahrungen mit Männern bereits hinter sich hatte, muss die Anziehungskraft Henzes auch darin bestanden haben, dass seine intime Nähe etwas anderes versprach. Er schien ein wunderbarer Kontrapunkt in ihrem Verhältnis zu Männern zu sein. Dennoch kommt es zu einer Krise, die unmittelbar aus ihrer Vertrautheit hervorzugehen schien, einer Vertrautheit, die gemeinsame künstlerische Erfahrungen möglich machte, schöpferische Rauschzustände. Henze schrieb im April 1954 an Bachmann:

    die ganze sache kann mit wenigen spärlichen worten erklärt werden: als ich sah, dass Du diese unterlagen von der botschaft geholt hattest und die dinge form annahmen, merkte ich, dass ich nicht in der lage sein würde, mich in diese ehe zu stürzen, ein oder zwei tage später kam ich zu Dir, und Du erinnerst Dich, wie ich da sass und das buch las und so tat, als würde es mich brennend interessieren. das lag daran, dass ich noch nicht einmal sprechen konnte vor lauter angst, von Dir etwas über die sache zu hören. ich hoffte, Du würdest meine haltung nicht einfach als schlechtes benehmen sehen, sondern als das, was sie war. (...) nun kann ich Dich nur bitten, mir zu verzeihen. ich hoffe, es zählt nicht wirklich, dass Du Dich von mir verletzt fühlen könntest, weil ich jemandem in betrunkenem zustand erzählt habe, wir würden vielleicht heiraten. wahrscheinlich wäre das leben zur hölle geworden, vor allem für Dich, das war mir sofort klar, als ich mich den tatsachen gestellt habe. für mich gibt es weder hoffnung noch rettung. ich muss mein erbärmlich einsames leben bis zum bitteren ende durchhalten, und Dir sollte inzwischen klar sein, dass Deine ehre auf diese weise weniger beschädigt ist, als wenn Du mich wirklich geheiratet hättest, unbrauchbar, wie ich wirklich bin.

    Ingeborg Bachmann hat ihren Antwortbrief nicht abgeschickt, er fand sich aber in ihrem Nachlass:

    Gewiss, ich hatte Dich nie über diese Angelegenheit gefragt in letzter Zeit, hatte das alles als einen Scherz aufgefasst, weil ich in der Zwischenzeit wieder ein wenig Überblick gewonnen habe. Aber jetzt muss ich Dir antworten. Bitte, glaub nicht, dass ich so verletzt war, weil Du es Dir anders überlegt hast. Ich war viel trauriger und krank, weil ich Dein Benehmen, Schweigen und Kälte, nicht verstand. Wenn ich Deinen Brief lese, denke ich, dass Du nur wegen dieser Heiratsidee Angst hattest, Angst, dass ich sie ernst nehmen könnte. Und Du hast mir all das aufgeladen, weil Du nicht wusstest, wie Du herauskommen könntest.

    Ich denke, wir sollten beide diese Angelegenheit vergessen und in Zukunft das Beste machen aus unserer Freundschaft und unserer Arbeit und den Möglichkeiten zwischen uns. (...) Du bist so begnadet mit Deinem Schreiben. Man muss nur dafür bezahlen, und unsere Engel sind dunkel. Bitte fühl Dich frei, und wenn wir uns wieder sehen, können wir neuen Wein trinken auf scheue und witzige Zeiten ohne Harm.

    In diesem gefassten Ton, in dieser erkennbar mühsam erschriebenen Souveränität scheint vieles mitzuschwingen. Bachmann setzt dem juvenil anmutenden Pathos Henzes eine Haltung entgegen, von der zu ahnen ist, dass sie nicht stark genug für sie ist. Es gibt sofort wieder gemeinsame künstlerische Projekte, Henze wird Bachmann immer wieder mit neuen Ideen zu Opernlibretti konfrontieren, und Bachmann sucht immer wieder Zuflucht bei ihm. Aus London schickt er ihr das Porträt eines Knaben von Giovanni Bellini und schreibt auf die Rückseite,

    aus zeitmangel sende ich Dir diese karte mit einem bildnis der Bachmann. ist die ähnlichkeit nicht verblüffend?

    Er spielt also mit ihrer erotischen Anziehungskraft gerade auch für ihn, und sie reagiert eine Zeitlang später, nachdem er von einer schweren Schaffenskrise und depressiven Schüben geschrieben hat, mit dem Satz:

    es berührt mich sehr, dass wieder eine Zeit gekommen ist, die die Notwendigkeit unserer Freundschaft, oder wie man diese Merkwürdigkeit nennen will, hervorkehrt.

    Bachmann wohnt seit Ende 1953 in Rom, Henze zieht von Ischia nach Neapel, und von Januar bis August 1956 leben die beiden, von mehreren Reisen unterbrochen, in seiner Wohnung wieder zusammen. Er schmiedet erneut Heiratspläne, spricht von gegenseitiger Freiheit und Rücksichtnahme. Der eine sucht und findet beim andern Unterstützung gegen den als feindlich empfundenen Kulturbetrieb in Deutschland. Bachmann ist zwar als literarisches Fräuleinwunder bis auf die Titelseite des "Spiegel" gelangt und wird mit ihrem zweiten Gedichtband "Anrufung des Großen Bären" groß und enthusiastisch besprochen – vieles dabei empfindet sie jedoch als Missverständnis. Und Henze hat mit der Uraufführung seiner Oper "König Hirsch" in Berlin 1956 einen überwältigenden Erfolg, sieht sich aber auch scharfen Angriffen und Intrigen ausgesetzt. Mehrfach beklagt Henze die Kälte in Deutschland, beschwört ein gemeinsames, abgeschirmtes Leben in Italien:

    im leben ist es wichtig, zeit zu haben und ganz ruhig zu sein. das ist meine klare erkenntnis. deshalb eben taugt deutschland nichts, weil sie alle ihre leere mit last ausfüllen müssen. wenn man aber nicht still hält, können ja gar nicht die guten geister kommen, sie verfehlen den eingang zum herzen, und zielbewusst nach vorn gerichtete münder, von energie geschlossen, sind nicht der platz wohinein die guten geister wollen.

    Und er definiert die Ehe, wie sie ihm vorschwebt:

    jedenfalls, wenn Du sagst, zu allem bereit zu sein, kann ich Dir folgendes versprechen, und das meine ich aufrichtig: ruhe, frieden und die möglichkeit, Dich völlig, ohne irgendwelche anderen verpflichtungen, Deiner schöpferischen arbeit zu widmen. und vielleicht ein schöneres leben, als Du es je hattest, das wäre ein pakt gegen die bedrohlich dumme welt, gegen die angst und um einer keuschen und reinen idee vom künstlerleben ausdruck zu verleihen.

    Es fällt auf, dass ungefähr die Hälfte der gedruckten Brieftexte in anderen Sprachen abgefasst ist: vor allem natürlich auf italienisch, der Sprache der südlichen Sehnsucht, aber es gibt, je nach Laune und Anlass, auch lange englische und französische Passagen. Die Briefpartner versuchen dabei, den deutschen Provinzialismus zu überwinden, sich aus dem Schatten der nationalsozialistischen Vergangenheit und der Restauration der Adenauerzeit zu lösen, gleichzeitig ist dieses Spiel mit Internationalität auch ein Zeichen für intime Vertrautheit. Für den Herausgeber des Briefwechsels, Hans Höller, stellten sich dabei natürlich fast unlösbare Probleme. Er hat sich dafür entschieden, im Lesetext zunächst alles auf deutsch wiederzugeben und erst im Anhang die ursprünglichen fremdsprachigen Stellen zu dokumentieren. Das hat etwas Unbefriedigendes, ist für eine Leseausgabe aber vermutlich die bessere Lösung.

    Henze hat immer schwule Freunde, sie grüßen Ingeborg Bachmann auch gelegentlich am Ende seiner Briefe und versichern ihr ihre Hochachtung, aber die Dichterin steht in Henzes Sehnsucht für ein unbedingtes, absolutes Künstertum, das auch er anstrebt. Seine Briefe sind hitziger, ungestümer als die wenigen erhaltenen von Ingeborg Bachmann, die sich zwar viel wehrloser zeigt, dies aber in einem abgeklärten Ton tut. Die künstlerischen Gemeinsamkeiten zwischen Henze und Bachmann wirken verblüffend: beide stehen sie im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne. Auf ihren ureigenen Feldern sehen sie sich dogmatisch erstarrten Neuerern gegenüber: Henze der Zwölftontechnik und dem Kreis um die Darmstädter Neue Musik, Bachmann der Ideologie des "Kahlschlags". Die "Moderne" der Gruppe 47 lehnt sie anfangs ironisch als "Asphaltliteratur" ab und bezeichnet sich als "Kärntner Heimatschriftstellerin". Bachmann und Henze erlebten offenkundig ekstatische Augenblicke der Gemeinsamkeit – doch im Alltag ließ sich das nicht durchhalten. Ihr gemeinsames Leben in Neapel scheiterte wegen ihrer unterschiedlichen Temperamente, Henze beklagt sich im Lauf der Jahre immer wieder über Bachmanns Traurigkeiten, ihr Unglücklichsein, ihr Leiden. Sehr bezeichnend aber ist, wie das einmal in eine Eifersuchtsszene mündet:

    ich kann Dich nicht leiden sehen. es tut mir sehr weh und macht mich wütend, vor allem gegen mich selbst. daher habe ich noch nichts beschließen können, außer dass ich gleich nach meiner rückkehr mit Dir reden will. (...) ich dachte auch über Deinen gast nach (ich weiss seinen namen nicht), der mir gegenüber ein etwas komisches feindseliges verhalten an den tag legte und sich Dir gegenüber als beschützer aufspielte. aber er scheint ein netter kerl zu sein und, wenn ich mich nicht täusche, auch intelligent. ich weiß nicht, ob es sehr geschmackvoll vor, als er Dich in meiner gegenwart streichelte und Dir ins ohr flüsterte, aber was macht das schon, sicher, ich habe nie in Deiner gegenwart mit jemandem geflirtet.

    Es geht natürlich, trotz allem, immer um die Sexualität. Zu einer wahren Katharsis kommt es, als klar wird, dass ein gemeinsames Leben zum Scheitern verurteilt ist und Ingeborg Bachmann sich offensiv anderen Männern zuwendet. Henze schreibt einen verzweifelten Brief, gestaltet dabei aber den Text, trotz des immensen Gefühlsausbruchs, als sprachliche Komposition. Es sind zwei Satzreihen, die abwechselnd versartig angeordnet sind. Eine Reihe, mit blauem Farbband, ist auf italienisch geschrieben, die andere zunächst auf deutsch und dann, wenn es brenzlig wird, auf englisch:

    ich habe begriffen, dass Du es nicht mit mir aushältst und dass ich mich an
    diese einsamkeit gewöhnen muss, die für mich so grausam ist wie für Dich.
    (...) ich werde wirklich wütend wenn ich daran denke, dass Du diese ganze
    verrücktheiten machst nur weil ich schwul bin, das ist der punkt.
    wo ich verletzt bin und mich aufrege und mein stolz sich regt gegen diese reaktion.
    dass Du Dich weigerst, meine gastfreundschaft in anspruch zu nehmen, was
    eine gewisse sicherheit für Dich bedeuten könnte und was ich nur anbiete
    weil ich Dich anbete, ist erniedrigend, nicht weil es eine frage der
    einstellung ist, sondern weil ich dadurch klar verstehe, dass Frau B. es mit
    mir nicht aushält, weil ich schwul bin, sie leidet, also gut. Wenn sie leidet,
    verletzt mich das auch.

    Seit Juli 1958 lebt Ingeborg Bachmann mit Max Frisch zusammen – eine Beziehung, die letztlich ihr Lebenstrauma werden sollte. Die gemeinsame Arbeit mit Henze leidet darunter nicht, im Gegenteil, sie wird noch intensiver, und in allen persönlichen Krisenmomenten Bachmanns sichert er ihr seine Unterstützung zu und bietet seine Wohnung als immerwährende Fluchtburg an. Spätestens mit der Uraufführung seines "Undine"-Balletts in London 1958 ist er ein internationaler Star, und es gibt dabei eine interessante Veränderung in der Schreibweise der beiden Briefpartner, die sich im Laufe der sechziger Jahre immer seltener schreiben: je mehr sich Henze im Jet Set bewegt und mal aus New York, mal aus Hongkong, mal aus Detroit, Berlin, Paris oder London schreibt, desto fester und rigider wird sein Stil. Von den hochstürmenden Phantasien früherer Tage ist er weit entfernt. Bachmann, durch die Beziehung mit Max Frisch, das wird erschreckend deutlich, existenziell verwundet, schreibt hingegen immer schütterer. Doch als sie Henze dringlichst um Hilfe ruft, Anfang 1963, als sie sich entschließt, sich von Max Frisch zu trennen und völlig hilflos ist, kommt er sofort zu ihr an den Zürichsee und holt sie ab, fährt mit ihr durch Italien, gibt ihr einen gewissen Halt. Dieser Briefwechsel erlaubt unschätzbare Einblicke in das kulturelle Leben der fünfziger und sechziger Jahre, und dazu gehört auch, dass er bisher unbekannte Züge der Beziehung zwischen Bachmann und Frisch freilegt. Hier liegt der Kern von Bachmanns großangelegtem "Todesarten"-Projekt, an dem sie bis zum Schluss, 1973, arbeitete. Dass Bachmann in ihrer Not an Hans Werner Henze schreibt, ist kein Zufall.

    ich hab so tun müssen, als sei nichts, nur ein bisschen Krankheit. Aber das stimmte nicht, es war nicht ein bisschen Krankheit, sondern ich musste vor zwei Monaten in die Klinik, weil ich versucht habe, mich umzubringen, aber das werde ich nie wieder tun, es war eine Verrücktheit, und ich schwöre Dir, dass ich das nie wieder tun werde. (...) Du denkst vielleicht, es sei meine Schuld, dieses Ende, aber das stimmt nicht. Wenn man überhaupt von Schuld sprechen will, dann ist es die Schuld von Max, sonst wäre es mit mir nicht so weit gekommen. (...) Tatsache ist, dass ich tödlich verletzt bin und dass diese Trennung die grösste Niederlage meines Lebens bedeutet. Ich kann mir nichts Schrecklicheres vorstellen als das, was ich durchgemacht habe und was mich bis heute verfolgt, auch wenn ich heute anfange mir zu sagen, dass ich weitermachen muss, dass ich an eine Zukunft denken muss, an ein neues Leben.

    Ingeborg Bachmann/Hans Werner Henze:
    Briefe einer Freundschaft
    Piper Verlag, 320 S., EUR 24,90