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Geheimnisvoller Sex

Biologie. - Sie schwimmen schlängelnd durch die vollkommene Dunkelheit untermeerischer Höhlen, stets auf der Suche nach Beute. Mittlerweile gibt es 22 bekannte Arten und ständig kommen neue hinzu. Jetzt fand ein Wissenschaftler der Tierärztlichen Hochschule Hannover eine weitere Art – ausgerechnet in einer von Touristen überlaufenen Höhle auf der Ferieninsel Lanzarote.

Von Michael Engel | 13.10.2009
    Alfredo Kraus, spanischer Tenor, sang hier Mozart – in der Höhle "Jameos del Aqua" – die nicht nur wegen des Konzertsaals mit 600 Plätzen eine Attraktion auf Lanzarote ist. Der sieben Kilometer lange Lavatunnel ist ein Touristenmagnet. Es gibt ein geologisches Museum, Kunst und Kaffee. Mitten drin: Professor Stefan Könemann von der Tierärztlichen Hochschule Hannover.

    "Das heißt also, wir sind immer die normale Treppe, die die Touristen benutzen, um dort Kaffee zu trinken, um dort zu schauen, sind wir auch mit unseren Flaschen und Geräten runter gegangen und hatten dort natürlich immer viele Zuschauer. Und wir konnten dann immer über so eine Absperrung so ein kleines Stück dann die Felsen runter klettern. Und da war ein Pool, der ist dann auch beleuchtet für die Touristen. Den sieht man von oben. So ein kleiner grün schimmernder Pool. Und das ist die Stelle, wo dieser untermeerische Tunnel sich etwa 1,5 Kilometer erstreckt."

    Vier Taucher und zwei Wissenschaftler gehörten zum Team, das im vergangenen Jahr die Höhle zum wiederholten Male inspizierte. Von früheren Expeditionen war schon bekannt, dass hier ein nur zwei Zentimeter kleiner Höhlenkrebs der Gattung "Speleonectes" lebt, der sich - ähnlich einem Tausendfüßler – durch das Wasser schlängelt. Drei solcher Krebse holten die Taucher aus der Höhle. Könemann:

    "Die waren also noch lebendig, schwammen in den Fläschchen herum. Und jemandem fiel auf, dass einer von den Dreien, wir hatten also drei Fläschchen, einer von den Dreien anders schwamm. Zwei schwammen sehr agil. Und der Dritte war etwas behäbiger und kreiste mehr so auf dem Boden des Fläschchens herum. Und das fiel jemandem auf und als die Bemerkung fiel, da spitzten sich natürlich meine Ohren. Weil das war der erste Hinweis, das da etwas Neues, etwas Anderes sein könnte, und das hat sich dann im Nachhinein auch noch bestätigt."

    Die DNA-Analyse gab schließlich Gewissheit: Könemann taufte die neue Art Speleonectes atlantides, benannt nach dem Atlantida-Tunnel, in dem das Tier gefunden wurde. Es ist weiß, blind und trägt auf seinem langgestreckten Körper viele Beinpaare. Mit einem Tausendfüßler zum Verwechseln ähnlich. Vermutlich ernähren sie sich von mikroskopisch kleinen Partikeln, die im Wasser treiben, vermutet der Forscher. Noch rätselhafter ist das Sexualverhalten. Die Tierchen sind nämlich Zwitter: Das weibliche Organ liegt auf dem siebten, das männliche auf dem 14. Segment. Könemann:

    "Wir haben uns lange den Kopf zerbrochen, wie die Reproduktion abläuft. Ob es ein Kopulation gibt oder nicht zum Beispiel. Und wir haben kleine Zeichnung angefertigt, haben die Tiere gedreht und gewendet und konnten uns das eigentlich nicht so recht vorstellen. Und als ich die im Aquarium hatte, ist mir eigentlich auch klar geworden, dass es so doch eigentlich nicht geht, sondern dass sie die Spermatophoren wohl doch im Sediment ablegen, das ist eine Spekulation, und dann die Eier befruchten. Ganz einfach weil sich die Beine konstant bewegen und diese Tiere selten miteinander Kontakt aufgenommen haben."

    Der Tierökologe nimmt an, dass die urtümlichen Krebse schon vor 200 Millionen Jahren überall auf der Erde lebten – heute aber nur noch auf den Bahamas, auf der Halbinsel Yucatan und auf Lanzarote vorkommen. Heute sind die seltenen Krebse streng geschützt – und ein Touristenmagnet. Viele Urlauber besuchen die berühmte Lavahöhle "Jameos del Aqua" allein nur deswegen. Es sei denn, dass gerade wieder mal ein Konzert gegeben wird.