Dienstag, 23. April 2024

Archiv


"Geht da nicht hin, kauft da nicht ein"

Der 1. April 1933 war nur der Anfang der antisemitischen Repressionen der NSDAP gegen die jüdische Bevölkerung Deutschlands. An diesem Tag rief Joseph Goebbels zum Boykott aller jüdischen Geschäfte, Waren und Praxen auf. Der Boykott ebnete den Weg für zahlreiche weitere Diskriminierungen der Juden.

Von Kirsten Heckmann-Janz | 01.04.2008
    "Heute morgen um zehn Uhr hat der Boykott begonnen, und er wird bis um die Mitternachtsstunde fortgesetzt."

    Propagandaminister Joseph Goebbels.

    "Er vollzieht sich mit einer schlagartigen Wucht, aber auch mit einer imponierenden Manneszucht. Unsere Partei und unserer Führer. Heil! Heil! Heil!"

    Adolf Hitler ist seit zwei Monaten Reichskanzler, als die NSDAP-Führung die erste zentral gesteuerte Aktion gegen Juden befielt: den Boykott jüdischer Geschäfte, Waren, Ärzte und Rechtsanwälte. Nach dem Reichstagsbrand war die Weimarer Verfassung bereits durch eine "Notverordnung" außer Kraft gesetzt worden. Kritik an der Naziregierung wurde unter Strafe gestellt. SA und SS wurden zu Hilfspolizisten erklärt, Regimegegner in sogenannten "wilden" Konzentrationslagern eingesperrt und gefoltert. Im Vordergrund stand die Sicherung der Macht, so der Historiker Norbert Kampe, Leiter der Gedenkstätte "Haus der Wannseekonferenz".

    "Gleichzeitig liefen natürlich Aktionen der Parteibasis, die schon immer über Antisemitismus mobilisiert wurden. Und Parteiradikale haben schon unmittelbar nach dem 30. Januar 1933 Aktionen gegen jüdische Geschäftsinhaber, jüdische Bürger durchgeführt. Die Phase war heikel auch in den Augen Hitlers, er wusste, dass die Reichswehr ihn jederzeit hätte wegputzen können, die Reichswehr hätte die SA von den Straßen wegputzen können ohne jedes Problem."
    Die NSDAP begründet ihren Aufruf damit, dass sie gegen "Gräuel- und Boykotthetze" im Ausland vorgehen müsse.
    "Und benutzt werden Demonstrationen jüdischer Bevölkerung in Großbritannien und in den USA vor allen Dingen, die natürlich die antijüdischen Maßnahmen verfolgen in Deutschland. Und so war also die Devise, man muss die Boykotthetze, die Boykottdrohung des Weltjudentums abwehren. Und auch die Erpressungspolitik Hitlers und des Naziregimes ist auch ganz klar, die Erpressung der anderen Mächte, sie haben es tatsächlich zustande gebracht mit Androhung, dass am 1. April der Boykott stattfinden würde, dass sowohl die britische Regierung als auch die US-amerikanische Regierung bereit waren zu erklären, dass sie deutsche Güter nicht boykottieren würden, da zahlt sich auch diese Appeasementpolitik, die da betrieben wurde, zahlt sich jetzt hier zu Gunsten von Nazi-Deutschland aus."
    "Am 1. April 1933 erinnere ich mich genau, wie SA-Leute vor jedem jüdischen Geschäft Posten standen, vor jeder Arzt- oder Rechtsanwalt-Praxis mit dem Schild: Geht nicht zum Juden oder kauft nicht beim Juden."
    Ilse Rewald, damals Schülerin in Berlin.

    Plakate und Schmierereien warnen: "Jüdisches Geschäft! Wer hier kauft wird fotografiert!"

    "Da war ein Geschäft ’Goldacker’, da stand so eine Horde SA-Leute. Die Frauen haben getobt, sie wollen da rein. Sie hat sechs Kinder - die eine Frau - und hier kriegt sie sechs Schrippen und beim Bäcker kriegt sie bloß viere, und war ein richtiger Aufstand da. Und sie haben ihnen aber nichts getan."
    Erinnert sich die damals 35-jährige Erna Lugebiel.

    "Die Reaktion der deutschen Bevölkerung war auch enttäuschend im Sinne der Nazi-Ideologie. Besonders kritisiert wurde die Münchner Bevölkerung, die im Vorfeld des lange angekündigten Boykotts, ganz intensiv sich bevorratet hat und bei jüdischen Geschäften eingekauft hatte, damit sie über diese Boykottage kommen. Also, es war keine große Begeisterung in der Bevölkerung, auch aus diesen Gründen schien es nicht opportun, das noch lange fortzusetzen."
    Die für den 5. April angedrohte Wiederaufnahme des Boykotts wird aufgehoben. In der Begründung heißt es: Er habe seine Wirkung im Ausland nicht verfehlt. Norbert Kampe:

    "Das Ganze wird dann sozusagen von der Straßen-Aktion in die Gesetzgebung übergeleitet, und da ist ganz wichtig, dass am 7. April ein Gesetz erlassen wird, was jüdische Menschen aus dem öffentlichen Dienst herausdrängen soll, das hat diesen perfiden Titel bekommen: Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums. Es richtete sich sowohl gegen Kommunisten als auch gegen Menschen, die nichtarischer Abstammung waren. Es wurde da zum ersten Mal definiert, wer nicht arisch ist. Und da ist der 1. April 1933, der Boykott-Tag, ist praktisch der Einstieg in diese Maßnahmen."