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"Geht von dem Mann wirklich akut eine Gefahr aus?"

Das ehemalige RAF-Mitglied Peter-Jürgen Boock hat sich für eine vorzeitige Entlassung der RAF-Terroristen Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar ausgesprochen. Eine überlange Haft verhindere die Resozialisierung eines Gefangenen. Ab dem etwa 14. Jahr Gefangenschaft bestehe der Sinn eigentlich nur noch in der Verwahrung des Häftlings. Darüber hinaus stelle sich die Frage, ob noch eine Gefahr von den beiden Terroristen ausgehe.

Moderation: Doris Simon | 24.01.2007
    Doris Simon: Die Morde und Gewalttaten der RAF liegen zwar schon viele Jahre, teilweise Jahrzehnte zurück, aber das Thema ist noch lange nicht Geschichte. Das wird an der lebhaften Diskussion in diesen Wochen sehr deutlich. Das Oberlandesgericht Stuttgart entscheidet darüber, ob die frühere RAF-Terroristin Brigitte Mohnhaupt auf Bewährung vorzeitig entlassen werden darf, und der Bundespräsident denkt nach über ein Gnadengesuch des Ex-Terroristen Christian Klar. Die zwei sollten nicht härter bestraft werden als andere Kriminelle. Der Staat solle nicht rachsüchtig sein. So heißt es auf der einen Seite. Sie beide sollten wenigstens Reue zeigen oder um Vergebung bitten, sagen Kritiker einer vorzeitigen Entlassung. Peter-Jürgen Boock gehörte zum harten Kern der RAF. So war er bei der Entführung von Arbeitgeberpräsident Hans-Martin Schleyer dabei vor beinahe 30 Jahren. Er gab tödliche Schüsse auf Schleyers Polizeibegleiter ab und war einer von Schleyers Bewachern in Geiselhaft. Boock wurde 1981 gefasst und zu lebenslanger Haft verurteilt. 1992 dann entschloss er sich zur Zusammenarbeit mit der Justiz und kam 1998, also vor beinahe neun Jahren, vorzeitig aus der Haft frei. Er ist jetzt am Telefon. Guten Tag Herr Boock!

    Peter-Jürgen Boock: Guten Tag!

    Simon: Herr Boock, wie wichtig war denn für Sie die vorzeitige Haftentlassung?

    Boock: Ich denke wenn denn § 1 des Strafvollzugsgesetzes, dass es um die Resozialisierung eines Gefangenen geht, irgendeinen Sinn haben soll, ist eine überlange Haft an sich schon nicht angezeigt, weil sie nicht zum Ziel führen kann. Ab einem gewissen Zeitpunkt, ab dem 12., 13., 14. Haftjahr setzt eigentlich bei jedem so etwas wie eine Zerstörung der Persönlichkeit ein. Von da an hat Haft eigentlich nur noch den Sinn von Verwahrung und kann eigentlich nicht mehr in Anspruch nehmen, etwas zur Resozialisierung einer Person beizutragen.

    Simon: Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar haben bis heute keine deutlichen Worte der Entschuldigung, des Anerkennens der eigenen Schuld geäußert. Sollten beide trotzdem vorzeitig frei kommen?

    Boock: Da gibt es noch etwas, was ich loswerden muss. Wenn man sich mal vor Augen führt, wie die Haftdauer bei NS-Massenmördern war, bei all denen, die im Auschwitz-Verfahren verurteilt wurden, und bei all denen, die Gaskammern betrieben haben, und das in Vergleich setzt zu dem, was in der Zeit der RAF passiert ist, dann entspricht die Haftdauer der einen nicht ganz der Haftdauer der anderen. Ich kann da nicht ganz neutral sein. Ich bin der Meinung, diese Leute haben, wenn es denn den Anspruch gibt, die Todesstrafe nicht zu vollstrecken, ihre Haftdauer verbüßt und man sollte ihnen die Chance geben, sich in diese Gesellschaft wieder einzugliedern.

    Simon: Wenn Sie den Vergleich ziehen zu den verurteilten Tätern aus der NS-Zeit, könnte man auch sagen, man muss nicht den einen Fehler wiederholen. Schließlich haben weder Klar noch Mohnhaupt irgendwelche Zeichen von Reue, von Einsehen gezeigt, dass das nicht in Ordnung war, was sie getan haben.

    Boock: Das hat so weit ich weiß von den NS-Tätern auch keiner getan.

    Simon: Auch da könnte man sagen, man muss ja nicht den Fehler wiederholen.

    Boock: Haben die denn jeweils wieder Aktivitäten in diesem Bereich angefangen? Nein, das haben sie nicht.

    Simon: Und Sie sagen das ist das einzige was zählt?

    Boock: Nein. Es ist die Frage, wie sich unsere Gesellschaft dazu stellt. Uneinsichtigkeit ist ja nun nicht ein Phänomen, das es nur auf einer politischen Seite gibt. Das gibt es überall. Jetzt ist die Frage, wie ordnet man das ein. Jemand wie zum Beispiel - und ich war ja sehr lange im Gefängnis - es bei den Sexualstraftätern oft der Fall ist, der wie soll ich sagen mit seinem Inneren ziemlich sicher nie zurande kommen wird, das ist ja wohl anders zu beurteilen als jemand, der zwar von seiner Illusion Abschied nehmen musste, aber trotzdem noch der Meinung ist, sie hatte mal vor irgendeiner Zeit, vor 30 Jahren ihre Berechtigung.

    Simon: Wenn wir auf Christian Klar schauen. Er galt als einer der gefährlichsten der RAF. Wie gesagt: Er bereut nicht. Ist es denn vermittelbar, dass jemandem wie Klar, wo die Opfer, die überlebt haben, wo die Angehörigen der Opfer heute noch mit den Folgen seiner Taten leben müssen, nun Gnade erwiesen werden soll?

    Boock: Weder ich noch Sie wissen erstens, was im Inneren von Christian Klar vorgeht und ob da nicht längst ein Prozess eingesetzt hat, sich von dem zu verabschieden, was vor Jahr und Tag passiert ist. Zweitens: Geht von dem Mann wirklich akut eine Gefahr aus? Drittens: Wenn dem nicht so ist, gibt es eine Perspektive, wie er sich in dieses Leben draußen noch mal integrieren kann? Nur je länger jetzt noch Zeit verrinnt, desto schlechter wird natürlich eine Perspektive, das noch mal zu schaffen. Jetzt muss diese Gesellschaft wissen, was sie will. Wenn es natürlich sozusagen Auge um Auge, Zahn um Zahn altes Testament ist, ja gut, dann darf keiner eine Chance haben. Aber wenn die Gesellschaft etwas anderes will, dann muss sie auch eine Chance geben. Das hat nichts damit zu tun, dass jemand sozusagen erst mal den Kniefall vor der Gesellschaft hinlegen muss, bevor er in den Genuss der Vorzüge einer Demokratie kommen darf, nämlich dass Strafen irgendwann auch verbüßt sind.

    Simon: Sie sprechen von Kniefall, Herr Boock. Sie selber haben ja sich auch in Büchern mit Ihrer Rolle, mit Ihrer Rolle in der RAF auseinandergesetzt. Haben Sie das als Kniefall empfunden?

    Boock: Das habe ich nicht so empfunden, aber ich will jedem anderen die Chance geben, dass für sich selber auch mal festzustellen, wie falsch wir da lagen, was wir wirklich verbrochen haben. Das ist eine individuelle Sache, aber das ist nicht in Jahren abzugelten und das ist nicht - ja, wie soll ich das sagen - ohne die Auseinandersetzung zu gelingen. Die Auseinandersetzung kann nur stattfinden, wenn es eine Umgebung gibt, und im Gefängnis gibt es die eigentlich regelmäßig nicht.

    Simon: Hat bei Ihnen, Herr Boock, das Nachdenken über die eigene Rolle, über die Morde, die Gewalt erst nach der Freilassung richtig begonnen?

    Boock: Nein. Das fing eigentlich im Anschluss an das Jahr 1977 an. Nur ist das ein Prozess, ich würde jetzt fast sagen, obwohl ich da auch kein endgültiges Urteil abgeben kann, der fast genauso lange dauert wie das Reinkommen in ein solches Milieu. Man macht keinen einsamen Schritt über irgendeine Linie und ist dann plötzlich jemand von den Illegalen und man macht auch umgekehrt keinen einfachen Schritt über die Linie und ist dann plötzlich wieder zurück aus diesem Abgrund. Beides verläuft nicht linear und nicht in einem Schritt, sondern hat seine Ecken und Kanten und die Auseinandersetzung mit sich selber, unter anderem auch die Auseinandersetzung mit den Opfern, die das, was man getan hat, gefordert haben.

    Simon: Wenn Sie an diesen Prozess zurückdenken, wann der eingesetzt hat. Reue, das ist so ein großes Wort, aber erinnern Sie sich noch, wann Sie zuerst gefühlt haben, dass Ihnen das, was Sie als Terrorist getan haben - Sie sprachen gerade die Opfer an -, wirklich leid tut?

    Boock: Ja. Das war unmittelbar nach der Schleyer-Aktion. Das kann ich ziemlich genau benennen.

    Simon: Und damals haben Sie das auch zugelassen als Gefühl?

    Boock: Nein. Im ersten Moment erst mal nicht. Es widersprach ja meiner Einstellung, dass das was wir taten gerechtfertigt war. Aber es war der erste Zweifel daran, dass das in dieser Absolutheit wirklich stimmt. Der Zweifel ist von dort an immer weiter gewachsen.

    Simon: 30 Jahre, fast 30 Jahre nach der Entführung von Hans-Martin Schleyer und fast neun Jahre wieder in Freiheit. Wie findet man, wie finden Sie zurück ins Leben?

    Boock: Das ist eigentlich eine Aufgabe, die sich, wenn man sich dessen, was die eigene Geschichte betrifft, genau bewusst ist, täglich neu stellt, nichts davon ist vorbei. Nichts davon ist aus dem Kopf und droht, einem täglich wieder entgegenzukommen in der Frage von irgendjemand Drittem. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, sich ein Stück Freiheit jenseits dessen, was damals geschehen ist, wieder zurückerobern zu können. Ich glaube scheitern kann man eigentlich nur an der zweiten Hürde, dass man sich immer wieder den Fragen stellen muss und dass man den Gedanken im eigenen Kopf nicht entkommen kann. Die andere Frage ist, wie setze ich mich mit dem auseinander, was ich zukünftig tun will. Wie ordne ich das ein und was mache ich da. Da fängt wieder der Spielraum an, den jeder zur Verfügung hat, wenn er wieder in Freiheit ist, und das trifft auch für Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt zu.

    Simon: Peter-Jürgen Boock war das. Er war viele Jahre lang Teil des harten Kerns der RAF und saß dafür 17 Jahre lang im Gefängnis.