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Geier (SPD) zum britischen Wahlergebnis
"Verlierer auf beiden Seiten des Kanals"

Der SPD-Europapolitiker Jens Geier ist enttäuscht vom Wahlergebnis in Großbritannien. Das Ziel müsse jetzt eine Zusammenarbeit mit Großbritannien in wichtigen Politikfeldern sein, sagte Geier im Dlf. Doch den britischen Konservativen schwebe eher ein "Brexit-Wunderland" mit deregulierten Steuern vor.

Jens Geier im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 13.12.2019
Jens Geier (SPD), Chef der SPD-Abgeordneten im Europäischen Parlament, Vizevorsitzender des Haushaltsausschusses und dort auch zuständig für den Brexit im Plenarsaal
Jens Geier (SPD) ist der Chef der SPD-Abgeordneten im EU-Parlament (picture alliance / dpa / Thierry Monasse)
Jörg Münchenberg: Am Telefon ist jetzt Jens Geier. Er ist Chef der SPD-Abgeordneten im EU-Parlament. Herr Geier, ich grüße Sie.
Jens Geier: Guten Tag, Herr Münchenberg.
Münchenberg: Herr Geier, sind Sie eher erleichtert, dass jetzt endlich Klarheit herrscht beim weiteren Brexit-Kurs? Oder sind Sie doch ein bisschen enttäuscht, dass die Briten jetzt doch die EU im nächsten Jahr wohl verlassen werden?
Geier: Ich bin natürlich enttäuscht vom Wahlergebnis, denn ich glaube, es produziert auf beiden Seiten des Kanals Verlierer, und dem muss man jetzt ins Auge sehen. Mit dem Ergebnis wird Johnson eine komfortable Mehrheit haben, das ausgehandelte Abkommen im Unterhaus durchzusetzen, und dann ist Großbritannien ab 31. Januar nicht mehr dabei. Aber der Drang, das zu beenden, scheint ja viele Wählerinnen und Wähler bewegt zu haben.
Eine dreijährige Selbstblockade der britischen Politik zu beenden, scheint ein starkes Motiv gewesen zu sein. Ich habe oft gehört, wir haben so viele Probleme im Land und wir reden nur über Brexit. Das ist nun dann auch entschieden worden.
"Jetzt haben wir nur eine elfmonatige Übergangszeit für den Brexit"
Münchenberg: Gab es nicht trotzdem in Brüssel ein bisschen Hoffen auf ein kleines Brexit-Wunder, dass dieser Austritt am Ende doch noch abgeblasen werden könnte?
Geier: Ich sehe da keine Möglichkeit. Es wird sich ja bis Ende des Jahres de facto nicht so wahnsinnig viel ändern. Dass Johnson das jetzt vollzieht, da habe ich überhaupt keinen Zweifel. Er hat ein klares Mandat dafür und wo ist der Grund, dass er das nicht machen sollte.
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Für den Rest des Jahres 2020 gilt die Übergangszeit, die im Austrittsabkommen ausgehandelt ist. Die war ursprünglich mal viel länger gedacht, weil natürlich zu Beginn der Verhandlungen niemand damit rechnen konnte, dass das so lange dauert, bis eine politische Klarheit in Großbritannien herrscht. Jetzt haben wir nur eine elfmonatige Übergangszeit. In der Zeit wird es kein neues Abkommen über die Beziehungen der EU mit Großbritannien ausverhandelt geben können, und deswegen bin ich persönlich dafür, allerdings zugegebenermaßen ohne große Hoffnung, dass die Dauer dieser Übergangszeit verlängert wird.
Münchenberg: Schauen wir nach vorne, Herr Geier. Jetzt gilt es, einen Handelsvertrag auszuarbeiten. Wird das am Ende deutlich mühsamer als der Brexit-Vertrag?
Geier: Ja, ich hoffe, es ist mehr am Ende als ein Handelsvertrag. Denn wenn man mit britischen Konservativen redet, dann hört man, na ja, die gemeinsame Forschungspolitik macht ja schon großen Sinn, die gemeinsame Zusammenarbeit über Europol in den Sicherheitsbehörden zur Terrorismusabwehr macht hohen Sinn. Am Ende könnte da eine Art Assoziierung, ist jetzt irgendwie zu viel gesagt, aber dann doch etwas herauskommen, was unterhalb der Vollmitgliedschaft ist, aber doch eine Zusammenarbeit in mehreren wichtigen Politikfeldern. Das müsste das Ziel sein. Die europäische Seite, auch das Europäische Parlament hat immer gesagt, wenn sie schon gehen, dann lasst uns dafür sorgen, dass sie so nah wie möglich dran bleiben. Aber das bedeutet natürlich in handelspolitischen Fragen auch eine große Auseinandersetzung. Den Konservativen schwebt ein Brexit-Wunderland vor mit deregulierten Steuern, Umweltauflagen und so weiter und so weiter, bei gleichzeitig vollständigem Zugang zum europäischen Markt, und das geht natürlich nicht.
Münchenberg: Nun heißt es ja schon von der Brexit-Partei, am Ende gäbe es keinen wirklichen Brexit, weil Großbritannien immer noch auch in Zukunft eng an die EU gebunden bleiben werde.
Geier: Diese Auseinandersetzung, die überlasse ich dann mit Freuden Herrn Johnson und Herrn Farage. Was denn nun ein wirklicher Brexit ist oder so, da darf sich jetzt Herr Johnson mit herumärgern. Eines der wenigen Dinge, auf die ich mich freue, ist, den Herrn Farage als Mitglied dieses Parlaments nicht mehr ertragen zu müssen.
"Bei handelspolitischen Fragen bin ich da sehr skeptisch"
Münchenberg: Nun hat ja Johnson eine klare Mehrheit im Parlament, Herr Geier. Er ist nicht mehr so von den Hardlinern abhängig wie davor. Eröffnet das vielleicht bei den Gesprächen jetzt auch mehr Spielraum?
Geier: Das kommt ein bisschen auf das Verhandlungsziel der Konservativen an. Wenn jetzt tatsächlich mal darüber geredet wird, was denn sinnvollerweise noch zusammen gemacht werden könnte – das habe ich ja angedeutet -, dann könnte es in einigen Politikfeldern am Ende doch eine geeignete Form, mögliche Form der Zusammenarbeit weiterhin geben. Bei handelspolitischen Fragen bin ich da sehr skeptisch.
Münchenberg: Nun hat es ja mit Kanada zum Beispiel sieben Jahre gedauert, bis man da so einen Handelsvertrag ausverhandelt hatte. Ist das ein Zeitraum, der auch letztlich für Großbritannien gelten würde? Oder geht es da vielleicht doch deutlich schneller, weil man ja vorher eng verbunden war?
Geier: Das ist eine sehr offene Frage. Da das Ziel ja eigentlich ein Abkommen ist, was inhaltlich weitergehender ist als das kanadische, könnte man erwarten, dass auch die Verhandlungen länger dauern. Andererseits: Für alle gemeinsamen Politiken der EU gelten in allen EU-Staaten die gleichen Gesetze. Bedeutet: In diesem Moment und auch noch bis zum 31. 12. 2020 ist Großbritannien legislativ sehr nah an der EU dran. Und dann ist die spannende Frage, was dann passiert. Das Übergangsabkommen gilt nicht mehr, die Konservativen hätten freie Hand, Sozialstandards, Umweltstandards, Steuerregeln entgegen der Regeln zum Binnenmarkt abzubauen. Aber indem sie das tun, entfernen sie sich von der EU und verkomplizieren die Verhandlungen. Deswegen auch: Eine Verlängerung des Übergangsabkommens wäre vernünftig. Oder, wenn wir hoffentlich dann sehr bald mit den Verhandlungen über das neue Abkommen starten, zunächst mal sicherstellen, dass das nicht stattfindet. Dann könnte es in der Tat vielleicht auch schneller gehen.
Münchenberg: Nun gibt es ja auch die Befürchtung, Herr Geier, dass da quasi neue Bahamas vor den Haustüren Europas entstehen könnten.
Geier: Genau das wollen wir verhindern.
"Großbritannien muss möglicherweise auf die harte Tour lernen"
Münchenberg: Und da sind Sie überzeugt, dass das auch gelingen kann? Großbritannien könnte ja auch sagen, wenn die EU sich nicht bewegt, dann setzen wir woanders das Brecheisen an.
Geier: Das können sie machen, aber dann müssen sie auch schauen, wie sie den Kram dann verkaufen wollen. Das Ganze macht ja nur Sinn, wenn es einen freien Zugang zum Binnenmarkt gibt. Sonst gelten Zölle, sonst gelten WTO-Regeln. Das gilt dann für alle in Großbritannien produzierten Waren. Das heißt, das ist genau das, was es zu verhindern gilt. Ich bin dann nicht bereit dazu und ich glaube, das ist die Mehrheit des Europäischen Parlaments nicht, das so ein Abkommen ja am Ende ratifizieren muss, zu sagen, wir lassen uns die sozialen, die Umweltstandards, die Steuervorschriften, die im gemeinsamen Markt gelten, praktisch von den Briten unterminieren. Das wird nicht funktionieren. Das muss Großbritannien möglicherweise auch auf die harte Tour lernen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.