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Geis: "Beschneidung muss möglich sein"

Die Entscheidung des Kölner Landgerichts, das religiöse Beschneidung Körperverletzung sei, bezeichnet der CSU-Politiker Norbert Geis als Fehlurteil. Ein Arzt mache sich laut Geis bei der Durchführung einer Beschneidung bei Jungen nicht strafbar, denn es habe bislang ein einzelnes Gericht entschieden und "nicht ein Obergericht".

Norbert Geis im Gespräch mit Martin Zagatta | 07.07.2012
    Martin Zagatta: Seit das Kölner Landgericht entschieden hat, die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen sei Körperverletzung und eine Straftat, seitdem rumort es. Jüdische und muslimische Organisationen geben sich gleichermaßen empört, und jetzt wird der Druck auf die Politik noch erhöht: Knapp 20 muslimische Organisationen haben den Bundestag aufgefordert, umgehend zu reagieren und eine gesetzliche Grundlage für die Beschneidung zu schaffen. Norbert Geis sitzt für die CSU im Rechtsausschuss des Bundestages und ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Geis!

    Norbert Geis: Guten Morgen!

    Zagatta: Herr Geis, muss man, muss der Bundestag auf diese Aufforderung jetzt reagieren?

    Geis: Also ich meine, man hätte erst einmal abwarten müssen, wie weitere Gerichte entscheiden. Das Amtsgericht Köln hat ja in einer ganz anderen Richtung entschieden, also in Richtung der Muslimen und auch der jüdischen Organisationen, und das Landgericht hat lediglich gegen diese Beschneidung entschieden. Also man hätte vielleicht einmal ein Obergericht abwarten sollen. Ich glaube nämlich nicht, dass jetzt unbedingt eine Gesetzesänderung notwendig ist, weil ich meine, unsere Gesetze reichen aus. Es ist ein Fehlurteil nach meiner Auffassung, und wegen eines Fehlurteils soll man vielleicht nicht gleich den Gesetzesapparat in Bewegung setzen. Wenn es aber notwendig ist – das muss man prüfen –, wenn das notwendig ist, dann machen wir im Bundestag ein entsprechendes Gesetz. Da glaube ich, dass wir durch die Parteien hindurch uns einig sind, dass die Beschneidung möglich sein muss.

    Zagatta: Da sind Sie sich sicher?

    Geis: Da bin ich mir sicher, dass wir durch die Parteien uns einig sind darüber – wenn dies notwendig sein sollte. Nach meiner Einschätzung ist das vielleicht doch nicht so notwendig, man muss nicht gleich den Gesetzesapparat einschalten, weil ich meine, es handelt sich hier um ein Fehlurteil. Aber immerhin, ich gebe zu, da ist eine Unsicherheit entstanden, und die muss genau geprüft werden, und wir wollen eine solche Unsicherheit in unserem Land nicht haben. Die Beschneidung muss möglich sein.

    Zagatta: Die haben wir aber im Moment. Also Ärzte, die jetzt solche Beschneidungen durchführen, machen sich strafbar. Eine solche Beschneidung ist Körperverletzung, hat dieses Gericht festgestellt. Also Ärzte machen sich da möglicherweise strafbar, und beispielsweise die Berliner Ärztekammer hat darauf verwiesen, die will solche Eingriffe jetzt im Moment nicht mehr durchführen.

    Geis: Ja, wenn das so ist und wenn dies die Runde macht, dann ist eine gesetzliche Änderung notwendig, damit Sicherheit wieder entsteht. Ich meine, es ist nicht notwendig, ich meine, ein Arzt macht sich nicht strafbar. Ein einzelnes Gericht hat bislang entschieden und nicht ein Obergericht – kein Bundesgerichtshof, kein Verfassungsgericht hat entschieden. Aber trotzdem, wenn eine solche Unsicherheit entsteht, dann ist der Gesetzgeber gefordert.

    Zagatta: Was macht Sie denn so sicher, dass es da im Bundestag eine Mehrheit geben würde, für eine mögliche Gesetzesänderung, denn es gibt ja auch gute Gründe für dieses Urteil, so wie die Richter gesprochen haben. Und beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie, die hat dieses Urteil ausdrücklich begrüßt?

    Geis: Es ist so: Ich meine, man kann und darf das Wohl des Kindes nicht reduzieren auf diesen Eingriff, auf die Beschneidung, auf diesen körperlichen Eingriff, sondern das Wohl des Kindes besteht ja auch wohl darin, dass die Eltern dann entscheiden, wie und in welcher Religion das Kind erzogen wird. Das gehört ebenfalls zum Wohl des Kindes. Und wenn ich natürlich nur reduziere das Wohl des Kindes auf sein körperliches Wohlbefinden, dann kann ich vielleicht zu einem solchen Urteil kommen.

    Zagatta: Ja, aber das ist doch fundamental.

    Geis: Wie? Das ist natürlich das körperliche Wohlbefinden fundamental, aber es nicht allein entscheidend für das Wohl des Kindes. Es ist auch entscheidend für das Wohl des Kindes, ob es religiös erzogen wird oder nicht, und das entscheiden die Eltern und entscheidet nicht irgendein Gericht.

    Zagatta: Aber kann denn Religionsfreiheit wichtiger sein als körperliche Unversehrtheit eines Kindes?

    Geis: Ich meine, die Religionsfreiheit bedeutet natürlich mehr als das körperliche Wohlbefinden. Die Religionsfreiheit ist eine Freiheit, die das ganze Leben hindurchgeht. Und dann muss man ja auch sehen, dass eine solche Beschneidung in vielen anderen Ländern, beispielsweise in den USA, völlig unabhängig von der Religionsfreiheit deshalb vorgenommen wird, weil es zum Wohlbefinden am Ende des Kindes gehört, also auch zum körperlichen Wohl des Kindes gehört, wenn eine solche Beschneidung durchgeführt wird. Also diese einseitige Beurteilung, die wir jetzt im Augenblick durch dieses Urteil haben, die scheint mir nicht gerechtfertigt zu sein.

    Zagatta: Aber es gibt ja gute Argumente dafür, oder bestreiten Sie das?

    Geis: Nein, ich meine, ich will hier niemanden in seiner Auffassung … das will ich nicht. Ich meine schon, dass man sagen kann … Etwas ganz anderes zum Beispiel ist – ich spreche das in Anführungszeichen – die Beschneidung bei einem Mädchen. Das ist etwas ganz anderes, da wird eine Zerstörung vorgenommen. Aber in diesem Fall meine ich, das ist eine lange, eine alte Tradition. Die Menschheit hat sich daran nie geschert, und jetzt auf einmal kommen die Deutschen und sagen, jetzt ist das Wohlbefinden stark beeinträchtigt. Ich meine, irgendwo ist da eine Überzüchtung oder eine Übertreibung vorhanden.

    Zagatta: Da gibt es aber auch jetzt Kritiker, die dieses Urteil begrüßen, die sagen, warum soll man da nicht warten, bis das Kind zumindest vielleicht 13, 14 Jahre alt ist – es soll ja wohl Länder geben, in denen das so geregelt ist – und dann selbst entscheiden kann?

    Geis: Natürlich, letztendlich entscheidet das Kind, wenn es 13 oder 14 Jahre alt ist, auch wenn es katholisch, wenn es christlich getauft worden ist, kann es entscheiden, ob es dem christlichen Glauben folgt oder nicht. Da hat es seine Religionsfreiheit, da kann es frei entscheiden. Aber bis dahin sind die Eltern verantwortlich für das Kind, und das ist die Pflicht der Eltern, und die Eltern handeln im Sinne des Kindes. Und deshalb darf man dieses Elternrecht hier nicht ganz ausschalten.

    Zagatta: Herr Geis, da würde ich gerne noch mit Ihnen weiterreden. Schade, dass wir Sie ein bisschen spät erreicht haben, weil jetzt läuft uns da die Zeit davon. Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen, bedanke mich für das Gespräch! Das war Norbert Geis von der CSU, Mitglied im Rechtsausschuss des Bundestages.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.