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Geißler: Pussy Riot sind mutige junge Mädchen

Die russische Punkband Pussy Riot wurde für den Preis "Das unerschrockene Wort" der Lutherstädte vorgeschlagen. Die Kritik daran empfindet Heiner Geißler (CDU) als Anmaßung. Die Mädchen hätten mutig gegen eine "korrupte Verfilzung der orthodoxen Kirche mit der russischen Staatsmacht" protestiert.

Heiner Geißler im Gespräch mit Christiane Kaess | 10.11.2012
    Christiane Kaess: Eine ganz andere Entscheidung soll heute ebenfalls um 10:00 Uhr fallen, dieses Mal in der Lutherstadt Eisleben, die nämlich über den Preisträger des unerschrockenen Wortes für das Jahr 2013. Diese Auszeichnung vergeben alle zwei Jahre die Lutherstädte im Andenken an das Wirken Martin Luthers. Die Stadt Wittenberg hat die russische Punkband Pussy Riot vorgeschlagen. Wir erinnern uns, die drei Frauen der Band hatten in der Moskauer Erlöserkirche mit farbigen Gesichtsmasken und einem Punkgebet gegen die Kremlpolitik protestiert. Zwei Mitglieder waren zu zwei Jahren Straflager verurteilt worden, eine dritte Angeklagte hatte eine Bewährungsstrafe erhalten. Das Urteil hatte international Empörung ausgelöst, und Empörung löst jetzt hierzulande seit einigen Wochen der Vorschlag der Stadt Wittenberg aus. Die russischen Punkfrauen seien unwürdig, den Preis für Zivilcourage zu erhalten, so meinen die Kritiker, unter ihnen die evangelischen Theologen und Sozialdemokraten Friedrich Schorlemmer und Richard Schröder, der selbst einer der Preisträger ist. Am Telefon ist jetzt der CDU-Politiker Heiner Geißler, ehemaliger Generalsekretär der Partei. Guten Morgen, Herr Geißler!

    Heiner Geißler: Guten Morgen!

    Kaess: Herr Geißler, war das ein guter Vorschlag der Stadt Wittenberg?

    Geißler: Ja, es war ein absolut guter und richtiger Vorschlag und dieser Vorschlag, den bekommen drei mutige junge Mädchen, die protestieren gegen die unheilige und korrupte Verfilzung der orthodoxen Kirche mit der russischen Staatsmacht. Und ich kann die Kritik der Theologen nur als eine Anmaßung empfinden. Sie fühlen sich beleidigt, ihre religiösen Gefühle, und verwechseln das mit der Beleidigung Gottes – was haben diese Theologen eigentlich für ein Gottesbild?

    Kaess: Über die Verletzung der religiösen Gefühle wollen wir gleich noch sprechen. Schauen wir kurz noch mal auf die Aktion von Pussy Riot: Haben die Frauen tatsächlich wie Luther ihre Überzeugung kundgetan, oder war das eine Schnellschussaktion, noch dazu ja anonym, weil sie gar nicht zu erkennen waren?

    Geißler: Also man kann protestieren, natürlich durch Bilder, auch durch Aktionskunst, so wie das die drei Mädchen gemacht haben, und die Parallele zu Luther besteht ja nicht darin mit dem unerschrockenen Wort vor dem Reichstag, sondern er hat ja seine Thesen an eine Kirchentür angenagelt, nicht an irgendeinem Schwarzen Brett verkündet. Das haben viele damals sicher auch als Sachbeschädigung aufgefasst an der Kirche, und sicher sind auch religiöse Gefühle verletzt worden, obwohl er das, was er getan hat, ja völlig zu Recht und begründet getan hat. Aber das haben die drei Mädchen ja auch gemacht. Sie haben in Russland eine unglaubliche Kumpanei der orthodoxen Kirche mit einem autoritären Staat, der die Menschenrechte verletzt, wo Journalisten ermordet werden, ein Willkürregime, mit dem sich die russische Kirche verbündet und dadurch selber den Glauben diskreditiert. Man muss ja wissen, Kyrill I., nicht wahr, dieser Oberste in der orthodoxen Kirche, hat behauptet, Putin sei von Gott gesandt. Also das ist ja nun wirklich eine Gotteslästerung erster Klasse.

    Kaess: Also Sie sehen die Parallele absolut gegeben, halten …

    Geißler: … auch mit Jesus.

    Kaess: … halten wir fest.

    Geißler: Auch mit Jesus! Jesus hat den Tempel ausgeräumt, weil er protestieren wollte gegen die Geldverfilzung der Hohepriester mit den damaligen Banken, das waren die Wechselstuben. Und Jesus hat die Liturgie gestört am letzten Tag vom laufenden Fest, indem er dazwischengerufen hat, und das war ja der Anlass dafür, dass die Hohepriester, die Sadduzäer, gesagt haben, jetzt muss man ihn umbringen.

    Kaess: Herr Geißler, schauen wir noch auf den Vorwurf, religiöse Gefühle seien verletzt worden. Ich zitiere mal kurz aus dem Auftritt, da heißt es: "Mutter Gottes, Jungfrau, vertreibe Putin", und die russisch-orthodoxe Kirche wird als "göttlicher Dreck" bezeichnet. Können Sie nachvollziehen, dass da religiöse Gefühle verletzt worden sind?

    Geißler: Ja, natürlich sind religiöse Gefühle verletzt worden, das ist wahr. Aber nicht alle religiösen Gefühle müssen vom Staat geschützt werden. Und also …

    Kaess: Aber warum soll dann ausgerechnet jemand, der das getan hat, für einen Preis infrage kommen, der ja auch mit Religion zu tun hat?

    Geißler: Weil nur dadurch – … hat mal gesagt, wenn man gehört werden will, muss man zuspitzen. Jesus hat auch zugespitzt, die Begriffe, die er verwendet hat, Natterngezücht und übertünchte Gräber und die Ausdrücke, die er natürlich vom Alten Testament übernommen hat, die waren ja auch nicht von Pappe. Sie müssen, wenn Sie gehört werden wollen, müssen Sie zuspitzen, müssen Sie deutlich reden, sonst hat ein solcher Protest ja überhaupt keine Wirkung.

    Kaess: Herr Geißler, hat es Sie überrascht, dass die Reaktionen hier auf diesen Vorschlag so stark sind?

    Geißler: Ja, das hat mich schon überrascht, nicht wahr, weil wir eine Theologie haben, die sich selber an die Stelle des Glaubens setzt. Das ist ja das ganze Problem.

    Kaess: Was meinen Sie damit?

    Geißler: Bitte?

    Kaess: Was meinen Sie damit.

    Geißler: Na, dass die Theologen ihre Meinung, ihre Gefühle identifizieren mit dem, was der Glaube eigentlich aussagt. Ich sage noch einmal, wenn jemand behauptet, es sei eine Gotteslästerung gewesen, was die drei da in der Kirche gemacht haben, dann maßen diese Leute, diese Kritiker, sich an, zu wissen, wer Gott eigentlich ist. Die Vorstellung, dass Gott beleidigt sein soll, sich beleidigt fühlen soll durch das, was diese drei Mädchen getan haben, das ist eine absolut perverse Gottesvorstellung. Gott ist ein ganz anderer als das Bild, das sich die Theologie von Gott macht.

    Kaess: Der CDU-Politiker Heiner Geißler war das. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Geißler!

    Geißler: Danke schön!


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