Freitag, 29. März 2024

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Geisterkonzerte
"Man will die Musik in die Welt bringen"

Konzertsäle auf der ganzen Welt sind geschlossen, Musiker spielen vor leeren Rängen. "Ein Konzert ohne Publikum ist etwas Merkwürdiges", sagte die Hornistin Sarah Willis im Dlf über Geisterkonzerte. Sie rechnet aber damit, dass jetzt mehr Musikerinnen ihre Musik online mit anderen teilen werden.

Sarah Willis im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 17.03.2020
Die Hornistin Sarah Willis mit ihrem Instrument.
Die Hornistin Sarah Willis: "Musiker wollen ihre Musik teilen mit der Welt" (picture alliance / ZB)
Maja Ellmenreich: Saaltüren bleiben geschlossen und Sitzreihen leer. Zahllose mühevoll entworfene und monatelang vorbereitete Veranstaltungen wurden abgesagt, um die Ausbreitung des Corona-Virus’ zu minimieren. Auch der Deutschlandfunk im Kölner Süden ist Kultur-Veranstalter: Im funkhauseigenen Kammermusiksaal finden sechs Mal pro Saison für rund 400 Besucherinnen und Besucher die "Raderbergkonzerte" statt.
Auch für diesen Dienstag war ein solches Kammermusikkonzert geplant: mit den Hornisten Sarah Willis und Felix Klieser, dem Amaryllis Quartett und Musik von Beethoven, Mozart und dem Schweizer Komponisten David Philip Hefti. Das Konzert war geplant, wird auch gespielt heute Abend, allerdings ohne Publikum im Saal, dafür aber zu hören am 30. März im Radio.
Coronavirus
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Die Hornistin Sarah Willis ist Mitglied der Berliner Philharmoniker und aktive Musikvermittlerin auf diversen medialen Wegen – unter anderem auf der Philharmoniker-eigenen Plattform "Digital Concert Hall". Ich habe vor der Sendung mit Sarah Willis gesprochen: Von einem "Geisterkonzert" spricht man ja mittlerweile, wenn ein Konzert gespielt wird ohne Zuschauer. Ist diese Situation auch für Sie als Musikerin gespenstisch?
Menschen auf der ganzen Welt schauen zu
Sarah Willis: Ich muss sagen, dass ein Konzert ohne Publikum etwas Merkwürdiges ist. Wir haben letzte Woche in der Philharmonie ein Konzert gespielt für unsere ‚Berliner Philharmoniker Digital Concert Hall‘: Wir haben wie im Konzert gespielt, nur da war kein Mensch da. Wir haben uns schick angezogen, wir sind auf die Bühne getreten, als ob es Applaus gegeben hätte, aber es war niemand da. Aber es war uns trotzdem sehr, sehr wichtig zu spielen. Und wir wussten, dass so viele Menschen auf der ganzen Welt zuschauen. Musik ist zum Teilen.
Maja Ellmenreich: Stellen Sie sich das Publikum vor? Haben Sie also die Menschen vor Augen, die Ihnen in diesem Moment irgendwo anders auf der Welt zuhören? Hilft so eine Vorstellungskraft?
Sarah Willis: Wir spielen jede Woche live im Internet. Meine Familie zum Beispiel ist über die ganze Welt verstreut – meine Mutter ist in London, mein Bruder in Amerika. Und die gucken immer! Es ist ein sehr schönes Gefühl, wenn man spielt und weiß, dass die Familie guckt. Und das war letzte Woche auch so, dass ich wusste, dass die dabei waren mit ganz, ganz vielen anderen. Und als ich in der Pause wieder ins Stimmzimmer kam, da waren endlose Meldungen von überall auf der Welt da: Wir schauen! Wir sind dabei! – und das hat uns Kraft für die zweite Hälfte gegeben.
Maja Ellmenreich: Die Berliner Philharmoniker sind ja mit ihrer "Digital Concert Hall" wirklich Vorreiter; im Moment versuchen ja alle, ihre Veranstaltungen ins Netz so schnell wie möglich zu bekommen. Aber die "Digital Concert Hall", dieser digitale Konzertsaal der Berliner Philharmoniker, der war ganz vorne mit dabei. Was braucht es eigentlich, um ein Konzert gut über die Rampe zu bringen für ein Publikum, das nicht in unmittelbarer Nähe ist?
Sarah Willis: Wir haben ein unglaublich gutes Team, wir haben zwei Studios oben extra dafür eingebaut: Da ist ein Regisseur dabei, ein Partiturleser, ein Kameramann, ein Tonmann, jemand, der das Bild kontrolliert. Das ist wirklich sehr, sehr viel Arbeit: Die Partituren werden studiert, dann werden Kameras eingestellt. Um so was richtig gut in die Welt zu setzen, braucht man ein super Team und sehr, sehr gutes Equipment.
"Wir haben den Applaus gespürt"
Maja Ellmenreich: Es ist doch eindeutig was anderes als der gute alte Fernseher, in dem wir ja auch aufgezeichnete Konzerte sehen können.
Sarah Willis: Die Qualität ist natürlich ähnlich, nur wir können so viele Menschen gleichzeitig auf der ganzen Welt erreichen. Das ist etwas, was Musik sehr gut kann. Musik verbindet. Dieses Gefühl von Verbundensein haben wir alle sehr stark erlebt letzte Woche in diesem "Geisterkonzert", wo wir vor einem leeren Saal gespielt haben. Aber so viele auf der ganzen Welt haben geschaut, und sie haben alle geschrieben: Wir haben applaudiert, wir haben applaudiert! - und irgendwie am Schluss, obwohl wir nach den letzten Tönen totale Stille im Saal hatten, haben wir das gespürt.
Maja Ellmenreich: Der Erfolg ist auf Ihrer Seite. Auf der anderen Seite, ganz am Anfang, gab es ja viele Unkenrufe, da hieß es, die Digital Concert Hall wird eines Tages den echten Konzertsaal abschaffen. Das heißt, die Erfolgsgeschichte der Berliner Philharmoniker beweist eigentlich das Gegenteil?
Erfolg der digitalen Konzerte zeigt sich auch offline
Sarah Willis: Genau so war das. Am Anfang haben Leute gesagt, seid ihr verrückt! Die Leute werden nicht mehr ins Konzert kommen, die werden nur noch auf ihrem Sofa zuhause bleiben. Aber wir haben erfahren, es ist genau das Gegenteil. Überall, wo wir in der Welt auf Tournee sind, warten Leute auf uns am Bühneneingang und sagen uns, Danke für die Digital Concert Hall! Wir sind extra deswegen hierher gereist, wir kennen euch so gut vom Bildschirm. Das hat wirklich nicht das gemacht, was viele befürchtet haben.
Maja Ellmenreich: Was den Ton und was das Bild angeht, sind die Produkte der Digital Concert Hall wirklich Hochglanzprodukte. Ganz anders ist das, was im Moment der Pianist Igor Levit jeden Abend veranstaltet in diesen Corona-Zeiten. Per Twitter kann man seine sehr unkonventionellen Hauskonzerte verfolgen. Da stellt er einfach das iPhone auf und spielt für seine Fans, für alle, die in diesen etwas einsamen Zeiten teilhaben wollen an der Musik. Ist das denn ein Modell, das Ihrer Meinung nach jetzt Schule machen könnte?
Sarah Willis: Das werden viele Leute jetzt machen, weil Musiker sitzen jetzt teilweise sechs Wochen zuhause und dürfen nicht in die Konzertsäle. Aber Musiker wollen ihre Musik teilen mit der Welt. Und auch, wenn man nur ein iPhone aufstellt, - das ist natürlich nicht diese Hochglanzproduktion, die man gewohnt ist - egal! Man will einfach die Musik in die Welt bringen. Und ich finde, was Igor macht, wirklich super. Wir planen auch alles Mögliche in der Horn-Community, was wir jetzt noch in den nächsten Wochen machen könnten, um die Laune hoch zu halten.
Horn als unberechenbares Instrument
Maja Ellmenreich: Heute Abend aber erst mal treten Sie auf - in Anführungsstrichen - im Deutschlandfunk Kammermusiksaal. Was für ein Konzert wird das werden? Werden Sie auch da sich vorstellen, wie die Radiohörer dann am 30. März im Deutschlandfund vor dem Radio sitzen und Ihnen zuhören?
Sarah Willis: Natürlich werden wir uns das so vorstellen, weil es ist ein Radiomitschnitt, man will natürlich perfekt spielen. Horn ist ein besonders gefährliches Instrument: Wir sagen immer, es ist ein gottes-eigenes Instrument, weil wenn man was reinbläst, nur Gott weiß, was rauskommen wird, weil es ein sehr kompliziertes Instrument ist. Ohne Publikum, wie Sie gesagt haben, aber wir hoffen, dass viele Leute dann zuhören werden und wir werden einfach unser Bestes geben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.