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Geisterschiff in der Karibik

Vor 90 Jahren geriet der spanische Passagierdampfer Valbanera vor Kuba in einen starken Hurrikan. Weil der Hafen von Havanna geschlossen worden war, musste die Valbanera den Sturm über sich ergehen lassen. Alles, was man nachher fand, war das leer gefegte Schiff.

Von Mirko Smiljanic | 09.09.2009
    Barcelona, 10. August 1919. Unter dem Kommando des 34-jährigen Kapitäns Ramón Martin Cordero läuft der Passagierdampfer Valbanera der Reederei Pinillos Izquierdo y Compañía in Richtung Karibik aus. An Bord sind 1142 Passagiere und 88 Besatzungsmitglieder.

    "Es gab Kabinen der Ersten Klasse, Zweiten Klasse und Dritten Klasse, aber vor allem wurden auf der Valbanera Auswanderer, oder man könnte auch sagen Gastarbeiter, transportiert, im Zwischendeck, das waren natürlich Katalanen, weil die Valbanera aus Barcelona auslief, das waren aber Asturier, die den weiten Weg von Asturien bis zum Hafen von Barcelona gemacht haben",

    erzählt Ulrike Mühlschlegel vom iberoamerikanischen Institut Berlin. Die Fahrt der Valbanera verlief planmäßig, es gab Zwischenstopps in Málaga, Cádiz und auf den Kanarischen Inseln, wo ein Teil der Passagiere von Bord ging und neue Fahrgäste aufgenommen wurden. Anschließend überquerte der Dampfer den Atlantik in Richtung Karibik und erreichte Santiago de Cuba am 5. September. Hier geschah etwas Eigentümliches: Die meisten Passagiere verließen das Schiff, schreibt José Gregorio González, ein Kenner der Valbanera-Katastrophe.

    "Die Legende erzählt, dass beim Verlassen des Hafens von Santa Cruz de La Palma, die Valbanera durch ein plötzliches Manöver einen Anker verlor. Für die Matrosen war dies ein schlechtes Omen. Nach der Ankunft in Santiago de Cuba verließen deshalb 742 Menschen das Schiff, obwohl die meisten von ihnen Tickets nach Havanna hatten."

    Die Valbanera stach wieder in See und näherte sich am 8. September Havanna, dem endgültigen Ziel der Reise. Auf dieser kurzen Strecke geriet der Dampfer in die Ausläufer eines Hurrikans. Die Valbanera konnte weder einen Lotsen an Bord nehmen noch im Hafen anlegen – sie musste auf dem offenen Meer abwarten. Was dann geschah, weiß niemand genau. Sicher ist: Seit dem 9. September 1919, nachdem der Hurrikan weitergezogen war, fehlte von der Valbanera jede Spur. Eine groß angelegte Suchaktion begann, an der auch ein U-Boot-Jäger der US-Marine teilnahm.

    "Die Untersuchung des Schiffs zwischen Key West und Havanna, das im Orkan heute verloren gegangen ist, überzeugte Admiral Decker, dass es sich um den spanischen Dampfer Valbanera handelt, der 400 Passagiere an Bord hatte. Überlebende wurden nicht gefunden”,

    schrieb die New York Times am 21. September 1919. Als die Rettungsmannschaften das Schiff genauer untersuchten, waren sie überrascht: Es war menschenleer!

    "Damit beginnt die Mythenbildung um diesen Schiffsuntergang. Das Schiff ist weitestgehend intakt, die Rettungsboote sind alle in ihren Verankerungen und Taucher sagen, man findet nicht diese üblichen Trümmerspuren von der Ladung, die um Schiffswracks herum auf dem Meeresgrund liegen."

    Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht vom Untergang der Valbanera in der Karibik. Terry Tomalin hat die Geschichte von Schiffswracks untersucht hat.

    "Es gab Theorien, die Überlebenden seien in Städten von Florida gelandet und hätten dort ein neues Leben angefangen, sie seien entführt worden oder Opfer des Bermuda Dreiecks.”

    Realistischer scheint aber diese Theorie,

    "dass sich niemand mehr retten konnte, und dann aber auch so schnell im Inneren vom Treibsand zugedeckt wurde, dass die Leichen nicht an die Oberfläche trieben und vor einigen Jahren hat man auch erstmals Knochenreste gefunden im Inneren des Schiffes aber ganz stark von Treibsand zugedeckt."

    Für Spanien – und natürlich auch für die Angehörigen der Opfer – war der Untergang der Valbanera eine Katastrophe; die Reederei Pinillos stand vor dem Ruin. Außerdem warf die Katastrophe ein grelles Schlaglicht auf die zum Teil furchterregend schlechten hygienischen Verhältnisse damaliger Emigrantenschiffe. Beengt und schlecht ernährt entflohen die Auswanderer der heimischen Armut, das Cubanische Einwanderungsmuseum in Havanna hat viele ihrer Geschichten dokumentiert. Wie auch die Geschichten derer, die den letzten Teil der Reise einer inneren Stimme folgend an Land zurückgelegt haben und so einer der schlimmsten Schifffahrtskatastrophen der Karibik entkommen sind.