Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Geistiger Abbau
Höheres Demenz-Risiko bei Diabetikern

Auf der weltweit größten Diabetes-Konferenz in München wird derzeit über ein weitgehend unerforschtes Thema diskutiert: Diabetiker haben ein deutlich höheres Risiko geistig abzubauen und an Demenz zu erkranken. Jetzt gibt es erste Erkenntnisse über die Ursachen.

Von Hellmuth Nordwig | 16.09.2016
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Wenn eine Diabetes schlecht kontrolliert wird, steigt das Risiko vaskulärer Demenz. (dpa/picture alliance)
    Die ersten Hinweise fanden Forscher schon vor fast 20 Jahren in Rochester, Minnesota. Sie werteten die Gesundheitsdaten von insgesamt 75.000 Menschen mit Diabetes Typ 2 aus, also der altersbedingten Zuckerkrankheit. Der Neurologe Geert-Jan Biessels von der Universität Utrecht fasst das Ergebnis so zusammen:
    "Da hatten Diabetiker ein etwas höheres Risiko, an einer Demenz zu erkranken, verglichen mit Menschen gleichen Alters, die nicht zuckerkrank waren. Inzwischen haben mehr als 20 Studien diese frühen Befunde übereinstimmend bestätigt: Das Demenz-Risiko ist bei Diabetikern etwa 70 Prozent höher."
    Bei einer Demenz gehen Nervenzellen in bestimmten Gehirnregionen zu Grunde. Zum Beispiel weil sie nicht ausreichend mit Blut versorgt werden, wenn die Gefäße in diesen Hirnregionen teilweise oder ganz verstopft sind. Für diese sogenannte vaskuläre, also gefäßbedingte Demenz, ist das Risiko bei Zuckerkranken sogar doppelt so hoch wie bei anderen Menschen gleichen Alters.
    Rauchen erhöht das Risiko vaskulärer Demenz für Diabetiker
    Warum, das untersucht Mark Strachan von der Universität Edinburgh. Er untersucht seit mehr als vier Jahren den Verlauf der Zuckerkrankheit bei rund tausend Patienten aus der schottischen Hauptstadt und ihrem Umland. Bei ihnen will er herausfinden, welche Faktoren das Demenz-Risiko für Diabetiker erhöhen:
    "Wir haben herausgefunden, dass es einen deutlichen Zusammenhang mit Zigarettenrauchen gibt. Und auch festgestellt, dass Menschen ein höheres Risiko für geistigen Abbau haben, wenn ihre Diabetes schlechter unter Kontrolle ist. Wenn also ihr durchschnittlicher Blutzuckerspiegel trotz Behandlung höher ist, als wir das anstreben."
    Das ist plausibel, denn Rauchen schädigt genau wie hoher Blutzucker kleine Blutgefäße im Körper und damit auch im Gehirn. Sicher bewiesen ist das als Ursache der Demenz bei Diabetikern aber noch nicht. Denn mit bildgebenden Verfahren können die winzigen Blutgefäße nur mit großem Aufwand dargestellt werden. So fehlen bisher entsprechende Untersuchungen. Ohnehin zeigt die schottische Statistik einen recht schwachen Zusammenhang: Rauchen oder hoher Blutzucker erklären nur neun Prozent der Diabetes-bedingten Demenzfälle:
    "Bis jetzt wissen wir nicht, woher die anderen 91 Prozent kommen. Fast sicher wird es einen genetischen Einfluss geben. Einige von uns werden also wohl die Veranlagung zum geistigen Abbau von ihren Eltern mitbekommen haben. Es könnte aber weitere, bisher unbekannte Risikofaktoren geben. Sie herauszuarbeiten, ist eines der wichtigen Ziele unserer Studie mit Typ-2-Diabetikern und auch von anderen Untersuchungen."
    Neue Studien über geistigen Abbau bei Demenz
    Völlig rätselhaft ist bisher, warum bei Diabetikern auch die Alzheimer-Krankheit deutlich häufiger auftritt als in der gleichaltrigen Normalbevölkerung. Denn diese Form der Demenz hat nichts mit mangelnder Durchblutung zu tun.
    Es ist also eigenartig: Da zeigen Statistiken ganz eindeutig, dass viele Zuckerkranke geistig schneller abbauen als andere Menschen. Warum das so ist, dazu gibt es aber noch keine handfeste Erklärung.
    Und so fehlt es auch noch an gezielten Ansätzen, um einer Diabetes-bedingten Demenz vorzubeugen. Das soll sich jetzt ändern, berichtet Geert-Jan Biessels:
    "Bisher wird bei den Studien zur Diabetesbehandlung vor allem untersucht, wie man Herzinfarkte und andere Herz-Kreislauf-Komplikationen verhindern kann. Jetzt haben auch Studien begonnen, bei denen es darum geht, dem geistigen Abbau bei Diabetes vorzubeugen. In den nächsten Jahren werden wir wissen, ob bestimmte Präparate dazu eher geeignet sind als andere."
    Eines ist beiden Forschern wichtig: Wer geistig nicht mehr fit ist, für den sollte die Diabetes-Behandlung so einfach wie möglich gestaltet werden. Also keine Tabletten oder Spritzen, die sich nach Mahlzeiten oder selbst gemessenen Blutzuckerwerten richten. Damit trotz der Demenz wenigstens die Zuckerkrankheit nicht weiter voranschreitet.