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Gelbe Karte für Portugals Regierung

In Portugal ist man erstaunt, wie schnell Politiker in Brasilien auf die Forderungen der Demonstranten dort eingegangen sind. Am Donnerstag soll nun ein Generalstreik das öffentliche Leben in Portugal lahmlegen. Experten bezweifeln jedoch, dass sich die Regierung dadurch beeinflussen lassen wird.

Von Tilo Wagner | 26.06.2013
    Streiks und Proteste sind in diesem Frühsommer in Portugal zu einem alltäglichen Phänomen geworden. Seit Wochen bestimmt die Auseinandersetzung zwischen Regierung und Gewerkschaften die politische Debatte: Ein Vorspiel für den Generalstreik, der an diesen Donnerstag das öffentliche Leben in Portugal lahmlegen soll. Zum vierten Mal in der portugiesischen Geschichte haben die beiden großen Gewerkschaftsverbände zu einem gemeinsamen Arbeitskampf aufgerufen. Der Generalsekretär der gemäßigteren UGT, Carlos Silva, erklärt, dass seinem Verband diese Entscheidung nicht leicht gefallen ist.

    "Unser Gewerkschaftsverband organisiert einen Arbeitskampf nicht einfach, weil wir Spaß daran haben. Uns geht es darum, die Verhandlungsposition der Arbeiter zu verbessern. Wir ziehen es vor, in der Sozialpartnerschaft einen schlechten Kompromiss auszuhandeln als überhaupt keinen. Der Generalstreik ist wie eine Gelbe Karte für die Regierung: Wir zeigen, wir sind unzufrieden, aber wir sind bereit, uns mit der Regierung an einen Tisch zu setzen. Doch es gibt eine Bedingung: Die Regierung muss in einigen Punkten nachgeben."

    In den vergangenen zwei Jahren hat die UGT den Reformkurs der Regierung in entscheidenden Momenten mitgetragen, zum Beispiel als sie der Liberalisierung des Arbeitsrechtes zustimmte. Anders als der kommunistische Gewerkschaftsverband, der sich von Beginn an gegen eine Kooperation mit der Mitte-rechts-Koalition entschieden hatte, war der Dialog zwischen UGT, Regierung und Arbeitgebern auch ein wichtiges Zeichen an die Geldgeber aus Brüssel und Washington: Trotz des harten Reform- und Sparkurses schien ein Mindestmaß an sozialem Frieden in Portugal garantiert. Damit ist jetzt vorerst Schluss. Die Gewerkschaften fordern ein Ende der Sparpolitik und eine Neuverhandlung mit der Troika aus EU, IWF und Europäischer Zentralbank, um die Laufzeiten der Kredite zu verlängern und die Zinsen zu senken. Und sie wehren sich dagegen, dass die Regierung eine lang angekündigte Staatsreform jetzt mit aller Gewalt durchsetzen will, ohne dabei auf die Sozialpartner zu hören. Gewerkschaftsführer Carlos Silva:

    "Diese Regierung zeigt eine große soziale Gefühlslosigkeit, Sturheit und Arroganz. Ich halte es für einen großen Fehler, mit dem Rücken zur Bevölkerung zu regieren, so wie es diese Regierung tut. Die Bürger verspüren deshalb manchmal die Notwendigkeit, ihre Entrüstung über diesen Kurs öffentlich zu machen."

    Die Regierungsparteien scheinen sich zurzeit nicht wirklich Mühe zu geben, um den Konflikt mit den Gewerkschaften zu entschärfen. Der Regionalvorsitzende der regierenden sozialdemokratischen Partei auf Madeira, Alberto João Jardim, ließ in einem Meinungsartikel erkennen, dass er gewisse Streiks am liebsten verbieten würde – nicht nur beim Militär und bei der Polizei, sondern im Gesundheits- und Justizbereich sowie bei den Verkehrsbetrieben.
    Der Generalstreik werde nichts daran ändern, dass die Regierung weiter an ihrem Spar- und Reformprogramm festhalten werde. Das sagt die Historikerin Raquel Varela, die die Arbeiterbewegung Portugals erforscht und beobachtet:

    "Je weniger Geld der Staat zur Verfügung hat, umso größer müssen die Proteste sein, um irgendetwas zu bewegen. Einzelne Massendemonstrationen oder eintägige Generalstreiks werden nichts ändern können. Die Regierung wird sich nur bewegen, wenn es massive, lang anhaltende, radikale Proteste gibt."

    Der Einfluss der Gewerkschaften nimmt in Portugal ab. Bei steigender Massenarbeitslosigkeit und zunehmenden prekären Arbeitsverhältnissen sind immer weniger Arbeiter in Portugal in den Gewerkschaften organisiert. Die Arbeitnehmerverbände vertreten vor allem die Interessen von älteren Erwerbstätigen, die zur Zeit der sogenannten Nelkenrevolution oder in den Boomzeiten der 1980er und 1990er Jahre in das Arbeitsleben eingetreten sind. Raquel Varela glaubt deshalb nicht, dass Portugals Gewerkschaftsverbände zum Träger einer effizienten Protestbewegungen werden:

    "Wenn die Gewerkschaften tatsächlich das umsetzen wollen, was von einem Großteil der Bevölkerung gefordert wird, dann scheitern sie an sich selbst und ihrem eigenen Bürokratieapparat. Eine neue Generation von Gewerkschaftsführern müsste ans Ruder und die Strukturen müssten entbürokratisiert werden. Und dadurch würde die Arbeit derjenigen, die jetzt das sagen haben, infrage gestellt werden."

    Der Generalstreik wird nicht zum Ausgangspunkt eines wochenlangen Arbeitskampfes werden. Doch er gibt ein klares Zeichen an die Regierung und die internationalen Geldgeber, dass der soziale Frieden in Portugal in Gefahr ist.