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Geld gegen Medaille

In einem neuen Grundsatzpapier namens "Neues Steuerungsmodell Spitzensport" sind sogenannte Zielvereinbarungen des DOSB mit den 33 olympischen Verbänden verabredet. Die allerdings werden unter Verschluss gehalten.

Von Grit Hartmann | 08.11.2009
    Die Vorgeschichte der Zielvereinbarungen ist einigermaßen turbulent. Noch Mitte der 90er-Jahre musste Geldgeber Staat den autonomen Sport zu ähnlichen Planungen nötigen. Damals verlangte Bundesinnenminister Manfred Kanther im Tausch gegen horrende Ausgaben mehr Medaillen. Die, so lautete seine Legitimationsformel, seien Ausweis für das Leistungsvermögen eines Volkes. Mehrfach – und stets mit heimlichem Einverständnis der hauptamtlichen Leistungsplaner im Sport-Dachverband – schwang er die Keule einer Haushaltssperre. Am Ende stand das "Förderkonzept 2000". Es honorierte Medaillen und strafte weniger erfolgreiche Verbände mit Geldentzug.

    Kritiker sahen darin eine Analogie zur DDR. Das traf zu auf die Mentalität, Siege für politisch notwendig zu halten und für zentralistisch planbar. Für die Methode stimmte es nicht: Ostdeutschen Strategen wäre es nie in den Sinn gekommen, olympische Sportarten zu bestrafen – eher hätten sie zugebuttert.

    Der Fehler im Versuch, das DDR-System zu kopieren, ist mit dem "Neuen Steuerungsmodell Spitzensport" behoben. Das segneten die Verbände Ende 2006 ohne Murren ab, obgleich der DOSB darin Platz 1 bei den Winterspielen in Vancouver proklamierte. Über die Sinnhaftigkeit solcher Großmachtgelüste in Zeiten von Dopingskandalen wurde schon nicht mehr diskutiert. Versprochen war den Fachsparten schließlich die Entschärfung des Bestrafungsprinzips, dazu weniger Gängelung und Bürokratie.

    Ob das tatsächlich der Kern der neuen Steuerung ist, darf bezweifelt werden. Denn das maßgebliche Kleingedruckte fehlte noch: die sogenannten Zielvereinbarungen zwischen dem DOSB und den olympischen Verbänden. Sie gelten bis heute als top secret, obwohl auf ihrer Basis die Steuermillionen verteilt werden. Dem Deutschlandfunk liegen einige vor. Auch das wichtigste Papier, gewissermaßen die Mutter aller Zielvereinbarungen, der bis 2012 gültige Vertrag zwischen BMI und DOSB.

    Die sechs Seiten sind verräterisch: Was der Sport als eigenes "Steuerungsmodell" anpreist, entpuppt sich als Dirigismus des Staates in Reinkultur. Geldgeber BMI trifft nicht nur sportpolitische Grundsatzentscheidungen, sondern auch Einzelentscheidungen über "Art und Umfang der Förderung". Folgerichtig reden die Ministerialen auf jeder Stufe mit: wenn der DOSB mit den Verbänden Ziele für den olympischen Vierjahreszyklus verabredet, nach jeder Saison beim Bilanzieren. Auch das Verfahren bei "Zielabweichung" lässt keinen Zweifel an der Kommando-Hoheit des BMI: Der Sport darf lediglich "einvernehmliche Lösungsansätze" vorschlagen.

    Wie konfliktfreudig diese Konstellation tatsächlich ist, zeigen die Vereinbarungen mit den Verbänden. Sie schreiben Medaillenzahlen für Olympia und für Saisonhöhepunkte vor. Die Höhe der Schecks für Projektmittel variiert entsprechend. Dem Bob- und Schlittenverband etwa bewilligten die Planer für Vancouver sechs neue Planstellen und 612.000 zusätzliche Euro für Projekte, von Lehrgängen bis zur Materialentwicklung.

    Zum Vergleich: Der Tischtennisbund erhält für London ein eher bescheidenes Plus von 107.000 Euro. Er muss auch nur eine Medaille liefern. Auf Bob, Rodel und Skeleton hingegen sind neun olympische Plaketten einzufahren, darunter vier Goldene, fast ein Viertel der 34 mit der Wintersportbranche vereinbarten Medaillen. Neun lautete schon die Vorgabe für die letzte Weltmeisterschaft. Der Verband holte zehn, die Rodler jedoch eine weniger als geplant. Sportdirektor Thomas Schwab sagt, man habe mit dem DOSB "hart diskutiert", warum die Frauen Einzelgold verpassten, aber keine Mittelkürzung hinnehmen müssen. Der DOSB teilt dazu mit, Verbände könnten künftig selbst bei ausbleibenden Medaillen mehr Geld bekommen, etwa nach Vorlage überzeugender Zukunftskonzepte.

    Allein: Nichts davon ist auch nur ansatzweise transparent. Ob ein Konzept als überzeugend durchgeht, beurteilen die Planer in BMI und DOSB. Wer verhindert beispielsweise überdimensioniertes Sponsoring von Rand-Sportarten, die zwar medaillenträchtig sind, aber zur Bewegungskultur eher wenig beitragen? Anders formuliert: Wer kontrolliert eigentlich die Kontrolleure der Verbände aus BMI und DOSB?

    Derlei Fragen könnten sich bald nach Vancouver und London stellen, wenn die Fördermillionen umverteilt werden. Andere, nicht minder spannende nach den Folgen der Konzentration auf den Olympiasport haben dessen Freunde vorerst beiseite geschoben. Auch dafür ist die DDR ein anregendes Studienobjekt: An deren Ende motivierte das Zählen der Medaillenerbsen immer weniger Athleten. Und bei Nichtolympischem, erst recht beim Breitensport war man auf dem Niveau eines Entwicklungslandes angekommen.