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Geld verdienen mit NC-Flüchtlingen

Wer in Deutschland ewig auf einen Medizinstudienplatz warten muss, der überlegt sich Alternativen. Ins Ausland gehen ist eine: Mehr als 380 angehende Mediziner aus dem Ausland werden so in diesem Semester an der Stradina Universität in Riga ausgebildet.

Von Birgit Johannsmeier | 22.04.2011
    Histologie-Stunde an der lettischen Stradina Universität in Riga. 85 Studierende aus Deutschland, Schweden und Norwegen sitzen an ihren Mikroskopen und zeichnen die Umrisse einer Nervenzelle ab. Sie alle wollen Ärzte werden, haben aber zu Hause keinen Studienplatz erhalten.

    "Mein Name ist Viktoria Chemnitz, ich bin 20 Jahre alt und ich komme aus Straubing in Niederbayern. Viele meiner Freunde sind nach Ungarn gegangen, ich wollte auch weg von zu Hause und nicht schon wieder mit Leuten aus meinem Dorf. Man kennt sich, es wird geredet, und das ist es im Prinzip in Ungarn wieder dasselbe und deswegen habe ich mich für Riga entschieden."

    "Ich heiße Maria Berendt*, ich bin 19 Jahre alt und komme aus Berlin. Ich hab einen Abiturschnitt von 2,1 und bin damit nicht rein gekommen, ich bin auf Wartelistenplatz 500 für irgendeinen Platz, und dann stand noch das Ausland auf dem Plan und dann war Riga an erster Stelle, weil Anton hier war."

    Marias Freund Anton Pitzen studiert bereits im vierten Semester Physiologie bei Liga Aberberga. Die Professorin hat seit Lettlands Unabhängigkeit vor 20 Jahren am Aufbau des englischsprachigen Studiengangs mitgewirkt und bereits viele hundert
    Ärzte ausgebildet.

    "Ich war sehr überrascht. Wir hatten doch früher Studenten aus Sri Lanka oder Pakistan, aber jetzt haben wir Deutsche. In der ersten Gruppe waren drei Studierende, dann im nächsten Jahr waren es doppelt so viele. Neuerdings beginnt das Studium sowohl zum Winter als auch zum Sommersemester, deshalb werden es mehr und mehr, es gibt sogar rein deutsche Gruppen."

    Anton Pitzen gehört noch zu den Pionieren an der lettischen Uni. Im Kreise von nur vier Mitstudenten genießt er die volle Aufmerksamkeit seiner Professorin. Trotzdem muss Anton nach dem Physikum im Sommer zurück.

    "Im ersten Jahr zahlt man 7000, dann zahlt man 7500 im zweiten Jahr und dann steigt das rapide. Das ist schon ne Menge Geld. Und das wird von meiner Mutter finanziert und die kann das nur noch dieses Jahr finanzieren und dann muss ich zurück. Deshalb hoffe ich, dass ich in Deutschland einen Studienplatz bekomme."

    Besser als Anton geht es den Studierenden aus Norwegen, die für Riga ein Auslandsdarlehen erhalten. Mehr als 380 angehende Mediziner aus dem Ausland werden in diesem Semester an der Stradina Universität in Riga ausgebildet. Auch wenn die meisten nur bis zum Physikum bleiben - ein riesiger Erfolg für die Dekanin Smuidra Zermanos. Sie wirbt seit Jahren auf Bildungsmessen für das lettische Medizinstudium. Immerhin könnte die Hochschule von den Studiengebühren ihr gesamtes Lehrpersonal finanzieren.

    "Wir spüren einen großen Wettbewerb. Allein in Osteuropa werden jährlich 20 neue Medizinstudiengänge aufgemacht. In Lettland hat keine Hochschule so viel Studierende aus dem Ausland, wie wir. Jeder Zweite kommt aus Deutschland. Ich erhalte täglich Anrufe aus anderen lettischen Hochschulen, die mich nach unserem Erfolgsrezept befragen."

    Im lettischen Bildungsministerium werde genau über die ausländischen Studierenden Buch geführt, erklärt die Referentin Gita Revalde. Denn bis zum Jahr 2015 sollte jeder zehnte Hochschüler in den Ländern der europäischen Union ein Ausländer sein, so sieht es die Bologna Reform.

    "Die ausländischen Medizinstudenten sind heute das Aushängeschild unserer lettischen Hochschulbildung. An den meisten Fakultäten fehlen diese englischsprachigen Studiengänge und damit die Ausländer. Wir müssen viel Geld in unsere Bildungsreform stecken, damit wir nicht als Provinzuni verlacht werden."

    Visite in der Kinderchirurgie. Julia Schümann ist eine der wenigen, die auch nach dem Physikum in Lettland geblieben ist und einen Studienplatz in Deutschland ausgeschlagen hat. Ihre Hoffnung gelte in Riga der Zweiergruppe, die ein intensives Lernen ermögliche.

    "Es ist fast Privatunterricht, da wird man mal mitgenommen in den OP und darf mal assistieren oder man kann auch schwierige Fälle sehen, wo es normalerweise nicht möglich wäre, dass da zehn Leute herumstehen. Insofern ist das auch ein großer Vorteil."

    Lange wird dieser Luxus wohl kaum noch bestehen. Immer mehr Medizinstudierende entdecken Riga, viele sind mittlerweile sogar zum Vollstudium bereit.
    *Der Name ist der Redaktion bekannt.