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Geldgeschenke für den Osten

"Kasse gegen Hoffnung" nannte der damalige FDP-Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff, was der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß vor 25 Jahren einfädelte: Die Bundesrepublik übernahm die Bürgschaft für einen Milliardenkredit an die DDR - und das ohne Gegenleistung: eine Wende in der Politik und ein Skandal für viele Bundesbürger.

Von Rolf Wiggershaus | 29.06.2008
    Durch den Aufmacher der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 29. Juni 1983 erfuhr die Öffentlichkeit erstmals von jenem Vorgang, der seitdem in keiner Darstellung der Geschichte der deutsch-deutschen Beziehungen fehlt:

    "Bonn setzt deutschlandpolitische Akzente. Der Bund verbürgt Milliardenkredit an die DDR"

    Der Kommentar dazu unterstrich die Brisanz erster bekanntgewordener Einzelheiten:

    "Der nebenstehende Bericht unseres Bonner Korrespondenten über einen ungebundenen, frei verfügbaren und von der Bundesregierung verbürgten Milliardenkredit an die DDR wird manchem wahrscheinlich die Sprache verschlagen. Insbesondere, wenn er hört, dass solche Bürgschaften bisher stets nur liefergebunden, also geknüpft an die Finanzierung großer Projekte, gewährt wurden und dass außerdem der Kreditzusage keine fassbare Gegenleistung der DDR, etwa im Reiseverkehr, beim Zwangsumtausch oder bei anderen 'menschlichen Erleichterungen' gegenübersteht."

    Die christlich-liberale Koalition unter Kanzler Helmut Kohl war 1982 angetreten als Vollstreckerin einer geistig-politischen Wende. Dies erwarteten viele auch auf dem Gebiet der Deutschland- und Ostpolitik.

    Am schärfsten hatte der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß der sozialliberalen Vorgängerregierung immer wieder den Vorwurf gemacht, sie betreibe eine viel zu nachgiebige Politik der Vorleistungen ohne entsprechende politische Zugeständnisse der DDR. Nun schien diese Forderung aufgegeben zu sein. Und ausgerechnet Strauß hatte bei der Aushandlung des Milliardenkredits aktiv mitgewirkt und bekannte sich dazu.

    "Ich möchte mit allem Nachdruck darauf hinweisen, dass die Einfädelung - wenn man sich so ausdrücken will - von mir stammt. Die Behauptung, ich hätte gesagt, dass Kohl und Genscher die ganze Sache eingefädelt und dann mich hineingezogen hätten, ist völlig falsch und steht in Gegensatz zur Wahrheit, auch zu allen meinen bisherigen Äußerungen zu dem Thema. Ich habe die ganze Angelegenheit vermittelt und einen solchen Abschluss befürwortet."

    Der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident war als Kanzlerkandidat gescheitert und nach der "Wende" von seinem erfolgreicheren Konkurrenten Kohl durch die Koalition mit der FDP auf Distanz zur Bonner Regierungsmannschaft gehalten worden.

    Offenbar versuchte er nun, von Bayern aus - durchaus mit Wissen Kohls - mit ungewöhnlichen Mitteln ein Stück erfolgreicher Deutschlandpolitik vorzuführen. Sein Verhandlungspartner war der damalige sogenannte "Devisenbeschaffer" der DDR, Alexander Schalck-Golodkowski. Das erste geheime Treffen der beiden am 5. Mai 1983 verlief nach dem Bericht Schalck-Golodkowskis geradezu harmonisch:

    "Ich sprach sofort die Frage an, wie die Gespräche zur Gewährung eines Finanzkredits in Höhe von einer Milliarde ohne Junktim zu anderen Fragen weitergeführt werden könne. Daraufhin erwiderte Strauß eindeutig: Ich verstehe gut, dass für die DDR ein Junktim unannehmbar ist. Ich schlage vor, dass Staatsratsvorsitzender Erich Honecker zu einem Zeitpunkt, den er für angemessen hält, seine Gegenleistungen erbringt, ohne dass es dazu irgendwelche schriftlichen Vereinbarungen gibt."

    Strauß war sogar bereit, selbst über die Erwähnung eines solchen Junktims zu schweigen. An das Thema Gegenleistungen in Form menschlicher Erleichterungen nicht zu rühren, war der DDR-Seite besonders wichtig zu einem Zeitpunkt, da durch Zahlungsprobleme Polens und Rumäniens die Bonität kommunistischer Regime insgesamt infrage gestellt war. Ostdeutsche Spitzenfunktionäre wie Gerhard Schürer, Chef der Plankommission, sahen klar die Hauptfunktion eines von der Bundesregierung verbürgten Milliardenkredits:

    "Er polierte das Image der DDR im internationalen Zahlungsverkehr auf. Er brachte uns wieder die Möglichkeit, langfristige Kredite zu bekommen, nicht nur diesen, sondern andere auch, mit normalen Zinsen. Und er brachte uns die Möglichkeit, wieder freie Kredite zu bekommen, also keine warengebundenen, und wir brauchten ja einen Teil des Kredits zur Zurückzahlung und konnten gar nichts dafür neu einkaufen."

    Sowohl der DDR-Führung wie dem bundesdeutschen Kanzler, der auf Fortsetzung der Entspannungspolitik in Zeiten spannungsverschärfender Nachrüstungsdebatten bedacht war, war es sehr willkommen, dass Strauß in das Milliardenkredit-Projekt eingebunden war. So konnte der CSU-Vorsitzende, der im Ruf eines antikommunistischen Hardliners stand, nicht zum Störfaktor werden.

    Für die Banken war der Milliardenkredit, auf den im darauffolgenden Jahr ein zweiter zu den gleichen Bedingungen folgte, ein äußerst günstiges Geschäft. Strauß machte sich durch seine inkonsequente Deutschland- und Ostpolitik bei vielen seiner Anhänger politisch unglaubwürdig. Dass westliche Hilfeleistungen wie die Milliardenkredite wesentlich zum Untergang der DDR beitrugen, indem sie die ganz auf die Erhaltung ihrer Macht fixierten Spitzenfunktionäre zum dauernden Aufschub überfälliger Reformen und der Ruinierung des von ihnen beherrschten Landes verführten, wurde den meisten erst später klar. Die von der DDR-Führung aufgebaute Fassade täuschte wirksam. Ihr Zusammenbruch und die deutsche Wiedervereinigung kamen für die Deutschlandpolitiker jeglicher Couleur völlig überraschend.