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Geldregen aus dem Süden

Im Dezember wollen sieben lateinamerikanische Staaten die Bank des Südens gründen. Das Startkapital soll rund sieben Milliarden Dollar betragen: Geld, mit dem vor allem Infrastrukturprojekte finanziert werden sollen, aber auch Firmenkredite, denn viele Unternehmer brauchen sechs Jahre nach der Wirtschaftskrise in Argentinien dringend finanzielle Hilfe.

Von Victoria Eglau | 01.12.2007
    Ein Betrieb in Avellaneda, einem Vorort der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires. Die Firma Intergom stellt Kunststoffwalzen her, unter anderem für Druckmaschinen und Fotokopierer. Francisco dos Reis, Chef von zehn Mitarbeitern, sieht in der Werkstatt nach dem rechten, geht dann zurück in sein Büro. Dos Reis ist stolz darauf, dass er seine Angestellten während der schweren Wirtschaftskrise in Argentinien vor bald sechs Jahren nicht entlassen hat, obwohl der Betrieb damals am Boden lag. In den letzten vier Jahren hat sich Intergom wieder hochgerappelt und Francisco dos Reis zahlt Schulden ab. Einen Kredit hat er nicht aufgenommen.

    "Aus Angst - es ist sehr riskant, einen Kredit aufzunehmen. Wir könnten in vier oder fünf Jahren wieder eine Krise erleben. Außerdem ist es schwierig, in Argentinien einen Kredit abzuzahlen. Die Zinsen sind enorm hoch und es ist hier anders als in Deutschland oder Finnland, wo die Inflation, das Wachstum, die Lohnentwicklung und die Exportmengen für die nächsten zehn Jahre vorausberechnet werden. Da kann man planen. Das gibt es hier nicht. Und die Steuerlast ist für die kleinen und mittleren Unternehmen so hoch wie für die großen."

    Francisco dos Reis ist auch Präsident von APYME, einer Vereinigung kleiner und mittelständischer Unternehmer. 97 Prozent der Firmen in Argentinien sind klein oder mittelgroß, sie stellen siebzig Prozent der Arbeitsplätze. Die Bedeutung des Mittelstands für die Wirtschaft ist also riesengroß. Doch drei Viertel der Betriebe nehmen für Investitionen keine Bankkredite in Anspruch. Um den Zugang des Mittelstands zu Krediten zu erleichtern und damit sein Wachstum zu fördern, fordert APYME von der neuen argentinischen Regierung gezielte Maßnahmen:

    "Es müsste eine große Kreditmasse zur Verfügung gestellt werden, zu geringen Zinsen und ohne so viele Garantien zu fordern wie sonst. Dadurch könnte die Wirtschaft erheblich wachsen. Wir reden von knapp drei Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren, die dafür aufgewendet werden sollen, die meisten Argentinier zu ernähren, die jetzt unter der Armutsgrenze leben. Knapp drei Milliarden Euro für die Entwicklung des Mittelstandes."

    Szenenwechsel: das Vorzimmer eines Bankpräsidenten in Buenos Aires. Carlos Heller leitet die argentinische Genossenschaftsbank Credicoop. Sie vergibt drei Viertel ihrer Kredite an kleine und mittlere Betriebe. Das Problem sei nicht, dass es keine Kredite gebe, sagt Carlos Heller:

    "Die Schwierigkeiten des Mittelstandes, an Kredite zu kommen, hat eher mit anderen Dingen zu tun. Viele Unternehmen leiden bis heute unter den Folgen der Krise. Zum Beispiel haben sie Probleme mit dem Finanzamt oder der Sozialversicherung, die die Aufnahme eines Bankkredits unmöglich machen. Auf der anderen Seite haben viele kleine und mittlere Unternehmen Schwierigkeiten, die geforderten Garantien vorzuweisen. Deshalb ist es so wichtig, dass in den südamerikanischen Staaten die Systeme der Garantiefonds gestärkt werden."

    Der Genossenschaftsbank-Präsident nennt eine Zahl, die zeigt, wie tief das Problem eigentlich liegt: Vierzig Prozent der kleinen und mittleren Betriebe in Argentinien können keinen Bankkredit aufnehmen, weil sie dem informellen Sektor angehören, das heißt, gar nicht als Unternehmen registriert sind. Das trifft auch für die sogenannten Mikrounternehmen zu: Einzelpersonen oder Familien, die sich mit irgendeiner wirtschaftlichen Aktivität über Wasser halten.

    "In einer normalen Bank würde man sie nicht einmal anschauen. Die Diskriminierung ist groß. Die Bank gibt dir Geld, wenn sie sieht, dass du Geld hast. Wenn Du mittellos bist, hast Du bei einer normalen Bank keine Chance. Deshalb beginnt hier in Argentinien gerade ein Boom der Mikrofinanzanbieter, deren Zielgruppe Kleinstunternehmer mit wenig Geld sind. Es gibt einen großen Markt","

    erklärt Carmina Navarro, ehrenamtliche Mitarbeiterin der Grameen Stiftung in Argentinien. Die Stiftung ist ein Ableger der Grameen Bank des Friedensnobelpreisträgers Muhammad Yunus in Bangladesch und arbeitet nach dem selben Prinzip. Sie vergibt Mikrokredite und verlangt dafür keine Garantien. Bedingung ist, dass sich die Kreditnehmer in Gruppen zusammen tun und gegenseitig unterstützen.

    Villa Rosa, ein Ort in der Nähe von Buenos Aires, an einem Samstagmorgen um neun: In einem schäbigen Raum sitzen zehn Frauen um einen Tisch herum. Sie alle haben einen Kleinstkredit der Grameen Stiftung erhalten.

    An Carmina Navarro zahlen die Frauen, wie jeden Samstag, ihre Zinsen. Eine ältere Frau überreicht Carmina das Geld der Gruppe. Es sind kleine Beträge, wenige Pesos. Die Frau heißt Sara und nimmt bereits den dritten Kredit der Grameen Stiftung in Anspruch.

    ""Vor drei Jahren nahm ich den ersten Kredit auf. Ich verkaufte damals Kleidung und wollte mein Sortiment auf Taschen, Schuhe und Kurzwaren ausweiten. Mein erster Kredit half mir sehr. In meiner Gruppe gibt es außerdem eine Frau, die Eis verkauft, und eine andere, die einen Kiosk eröffnen will. Claudia verkauft Bettwäsche und Reinigungsmittel, und Rosalia stellt Blumentöpfe her. Mein erster Kredit betrug 350, der zweite 450 und der dritte 620 Pesos."

    Umgerechnet 135 Euro, die Sara in fünfzig Wochen abstottert. Bekanntermaßen ist die Rückzahlungsquote bei den Grameen-Mikrokrediten hoch; sie liegt bei mehr als 98 Prozent. Mariana, ein anderes Gruppenmitglied, erklärt, warum sie die Abzahlung ihres Kredits so ernst nimmt:

    "Von dem wenigen, was ich verdiene, versuche ich, genug zusammenzukratzen, um die Raten zu zahlen. Wenn mir das gelingt, kann ich später einen weiteren Kredit beantragen, um meinen Betrieb voranzubringen, einen sehr kleinen, bescheidenen Betrieb."

    Die Zinsen der Grameen-Kredite sind hoch, sie liegen bei durchschnittlich zwanzig Prozent jährlich.

    "Diese Zinsen dienen nur dazu, unsere operativen Kosten zu decken. Wir finden den Zinssatz auch hoch. Ich wünschte, er wäre niedriger","

    sagt Norberto Kleinman, Präsident der Grameen Stiftung Argentinien, bedauernd. Vor allem wegen der hohen Zinsen sieht Carlos Heller, Präsident der Genossenschaftsbank Credicoop, die Mikrokredite kritisch.

    ""Ich halte nicht allzu viel von diesem Weg. In diesen Kleinstunternehmen gibt es im Allgemeinen eine enorme Selbstausbeutung ganzer Familien, aber in der Regel gelingt ihnen dadurch nicht der Weg aus der Armut."

    Um die Armut zu bekämpfen, müssten Arbeitsplätze geschaffen werden, meint Heller. Das Potenzial dafür gebe es in den kleinen und mittleren Betrieben. Die Bank des Südens, die im Dezember gegründet werden soll, werde zwar in erster Linie ein Finanzierungsinstrument für große Infrastrukturprojekte sein, doch könne möglicherweise auch der Mittelstand von ihr profitieren.