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Gemeingüter und Ressourcenkonflikte früher und heute

In Mainz ging am Samstag der 49. Deutsche Historikertag zu Ende. Leitthema war der Konflikt um Ressourcen in der Zukunft. Für das Geschichtsbild sei es wichtig, dass Historiker einen besseren Zugang zu audiovisuellen Quellen bekommen können", sagte Mitorganisator Andreas Rödder.

Andreas Rödder im Gespräch mit Dina Netz | 29.09.2012
    Dina Netz: Der Deutsche Historikertag ist einer der größten geisteswissenschaftlichen Kongresse Europas. Von Dienstag bis gestern haben in Mainz 400 Referenten bei 130 Veranstaltungen in 68 Fachsektionen gesprochen, ungefähr 3000 Besucher haben zugehört. So eine gigantische Veranstaltung ist schwer auf einen Nenner zu bringen. Ich habe das versucht mit dem Historiker Andreas Rödder, der auch Mitorganisator des Historikertags ist, und ihn gefragt: Herr Rödder, beginnen wir mal mit dem Leitthema des Kongresses: Ressourcenkonflikte. Konflikte um zum Beispiel Wasser und Energie werden die wichtigsten Konflikte der Zukunft sein, das ist klar. Aber damit meint man materielle Ressourcen, und so eng war das Thema in Mainz ja nicht gefasst. Welche Arten von Ressourcenkonflikten sind denn beim Historikertag untersucht worden?

    Andreas Rödder: Der Historikertag ist natürlich von diesen materiellen Ressourcen ausgegangen, die im Zentrum gegenwärtiger, künftiger und - natürlich für uns von Interesse - vergangener Konflikte gestanden haben. Aber wir haben uns nicht nur um Öl und Wasser und Bodenschätze gekümmert, sondern einen breiteren Begriff von Ressourcen angelegt. Wir haben über die Ressource Zeit, über die Ressource Vertrauen oder über die Ressource Werte gesprochen, um auf diese Art und Weise in einem breiten Zugriff Mittel zu identifizieren, über die oder anhand derer und mit denen Konflikte geführt werden. Wir haben darüber historische Konstellationen aufzeigen können und im Grunde ist das, was wir jetzt als Historiker machen, ja wie ein rückwärts gewandtes Labor aufzubauen und darin Konstellationen zu beobachten, wie sich Menschen in verschiedenen Situationen verhalten haben. Daraus leitet man keine direkten Entscheidungsvorlagen für heute ab, aber man begreift die Gegenwart in einem viel breiteren Zusammenhang.

    Netz: Das wollte ich Sie gerade fragen, Herr Rödder. Sind denn die Erkenntnisse aus all den verschiedenen Sektionen und Epochen, die da beim Historikertag besprochen wurden, irgendwo zusammengeführt worden, sodass man irgendwie Strukturen erkennen kann für Ressourcenkonflikte?

    Rödder: Sie haben ja selbst gesagt, wir hatten 68 Fachsektionen, 3000 Besucher. Wenn das jemand unternähme zusammenzuführen, dann wären wir alle glücklich. Das können Sie bei so einem Kongress gar nicht leisten. Und es kommt auch nicht die historische Weltformel über Ressourcenkonflikte dabei heraus. Was ich aber immer mehr gelernt habe, ist, dass Meinungsbildungsprozesse auch nicht so funktionieren, dass man irgendwann auf einen Knopf drückt und dann hat man das Ergebnis auf dem Zettel stehen, sondern diese Meinungsbildungsprozesse, die funktionieren differenzierter, und so ist es auf diesem Historikertag auch gelaufen – übrigens nicht nur im Hinblick auf Ressourcenkonflikte, sondern der Historikertag hat ja auch Stellung bezogen zu aktuellen Fragen wie beispielsweise der Europakrise, und daran können Sie das ja im Moment ganz genau beobachten. Da hat auch nicht einer die Formel oder die Lösung parat, sondern solche Meinungsbildungsprozesse müssen sich entwickeln, und ich glaube, da haben wir eine Menge dazu beitragen können.

    Netz: Es gab auch noch eine Meinungsäußerung eines belgischen Medienhistorikers, auf die ich jetzt zu sprechen kommen möchte, weil sie uns Rundfunkanstalten betrifft. Der hat nämlich kritisiert, dass wir, die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, unsere Konservierungspflichten vernachlässigen, weil Archivpersonal abgebaut werde, der Zugang für die Bürger zum audiovisuellen Kulturgut unzureichend sei. Teilen Sie seine Kritik?

    Rödder: Jetzt muss ich sagen, dass ich bei dieser Sektion nicht dabei war. Wenn Sie Veranstalter dieses Kongresses sind, sind Sie vor allen Dingen mit rennen und reden beschäftigt und können nicht jede einzelne Sektion besuchen. Aber vom Grundsatz her haben wir ein ganz fundamentales Problem in den Geschichtswissenschaften: Wir reden völlig zurecht vom Medienzeitalter, aber es ist für uns viel, viel leichter, schriftliche Textquellen in Archiven heranzuziehen, als an die audiovisuellen Quellen zu kommen, an die audiovisuellen Archive zum Beispiel der Rundfunkanstalten zu kommen. Das schafft für uns ein Ungleichgewicht in der Herstellung des Geschichtsbildes, weil wir über das audiovisuelle Zeitalter vor allen Dingen mit Textquellen arbeiten. Deshalb ist es für uns in ganz besonderem Maße wichtig und ist es für das Geschichtsbild wichtig, dass wir sehr viel besser Zugang überhaupt zu audiovisuellen Quellen und damit auch zu den Quellen der Rundfunkanstalten bekommen können.

    Netz: Kommen wir zum Schluss noch auf eine Personalie zu sprechen, Herr Rödder: Der Vorsitzende des Verbands der Historiker und Historikerinnen Deutschlands, Werner Plumpe, ist aus dem Amt ausgeschieden und als Nachfolger wurde am Donnerstag der Münchner Historiker Martin Schulze-Wessel gewählt. Wofür steht Herr Schulze-Wessel, welche Akzente hat er denn für seine Arbeit angekündigt?

    Rödder: Herr Schulze-Wessel wird den Verband in der Tradition von Werner Plumpe grundsätzlich weiterführen. Das sind ja keine Konfliktkandidaturen, die dort geführt werden. Dieses Amt wird auch immer wechselnd besetzt von unterschiedlichen Vertretern unterschiedlicher Richtungen. Herr Schulze-Wessel kommt von der osteuropäischen Geschichte, Werner Plumpe war Wirtschaftshistoriker oder ist Wirtschaftshistoriker, da ist kein Kurswechsel insgesamt damit verbunden. Und wenn ich eins hinzufügen darf: Werner Plumpe hat gestern Abend einen großen Vortrag gehalten, in dem er eine große Linie gezogen hat über das Verhältnis von Politik und Wirtschaft vom Merkantilismus der Vormoderne über das 19. Jahrhundert, in dem die Wirtschaft grundsätzlich autonomer war gegenüber der Politik als im 20. Jahrhundert, und er hat die große Paradoxie herausgearbeitet, wie im 20. Jahrhundert seit dem Ersten Weltkrieg die Politik die Wirtschaft, weil die Politik die Wirtschaft als das Schicksal begriffen hat, immer versucht hat, in den Dienst zu nehmen und in der Folge aber Staat und Politik sich dadurch immer weiter verschuldet haben, sich überschuldet haben und Staat und Politik mit ihrem großen Gestaltungsanspruch des 20. Jahrhunderts am Ende im frühen 21. Jahrhundert so dastehen, dass sie sich übernommen haben und dann wieder von den Finanzmärkten und der Ökonomie abhängig gemacht haben. Ich habe den Vortrag von Werner Plumpe gestern Abend gehört, das war ein großes Panorama, das er da vorstellte und, ich denke, ein eindrucksvoller Beleg dafür, wie ein historischer Blick Gegenwart erklären und verständlich machen kann.

    Netz: Sagt Andreas Rödder, Mit-Organisator des Deutschen Historikertags.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.