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Gemeinsam für mehr Gewebe

Eine gespendete Herzklappe kann einen Kranken vor dem Tod bewahren. Die Augenhornhaut eines Verstorbenen lässt einen anderen wieder sehen. Jedes Jahr werden in Deutschland Zehntausende unterschiedliche Gewebe gespendet und transplantiert. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Gewebebanken.

Von Marieke Degen | 25.05.2010
    Marco F. Kann sich noch genau an jenen Montag vor acht Jahren erinnern.

    "Ich bin morgens mit hohem Fieber wach geworden, was auf eine Erkältung zurückgeführt wurde, das Fieber hat sich aber kontinuierlich gesteigert über 40 Grad, und ich bin dann nach einem Tag ins Fieberkoma gefallen."

    Marco F wird mit Blaulicht ins Krankenhaus gebracht. Dort stellen die Ärzte eine schwere Endokarditis fest, eine Entzündung der Herzinnenhaut. Seine eine Herzklappe, die Aortenklappe, ist völlig zerstört. Marco F. braucht dringend Ersatz. Aber sein Herz ist so geschädigt, dass eine Herzklappe aus Kunststoff nicht mehr halten würde. Die Ärzte am Deutschen Herzzentrum Berlin setzen ihm eine menschliche Herzklappe ein.

    "Wenn ich diese Spenderklappe nicht bekommen hätte, hätte ich sehr wahrscheinlich den Tag nicht überlebt."

    Herzklappen, Herzbeutel, Hornhäute für die Augen, Knochen, Sehnen, und Blutgefäße. Jedes Jahr werden in Deutschland Zehntausende menschliche Gewebe transplantiert. Die Gewebe stammen von Verstorbenen, die vor ihrem Tod einer Spende zugestimmt haben. Sie werden noch in den Kliniken entnommen und in speziellen Gewebebanken aufbereitet. Axel Pruß leitet die Universitätsgewebebank der Charité. In seinen Händen hält er einen bräunlichen Plastikbeutel, ein bisschen größer als ein Briefumschlag.

    "Ich habe Ihnen hier mal ein Muster einer Aortenklappe mitgebracht, dies ist ein Gewebe, welches aus einem gespendeten Herzen präpariert wurde, und dann in einem sehr umfangreichen Herzstellungsprozess, mit Antibiotikalösungen und letztendlich einer Gefrierschutzlösung unterzogen wurde, und danach wurde diese Klappe in flüssigem Stickstoff gelagert."

    Herzklappen werden bei minus 196 Grad im flüssigen Stickstoff eingefroren, sie sind dann jahrelang haltbar.

    "Und wenn der Bedarf zur Transplantation da ist, wird die Klappe aus dem flüssigem Stickstoff entnommen und in einem 37 Grad warmen Wasserbad im Beutel erwärmt, um danach sofort nach entsprechendem Zuschnitt transplantiert zu werden."

    In Berlin gibt es drei verschiedene Gewebebanken. Die Charité besitzt eine für Augenhornhäute und eine für Knochen und Sehnen. Am Deutschen Herzzentrum Berlin sitzt die deutschlandweit größte Gewebebank für Herzklappen. In Zukunft sollen alle drei Banken unter einem Dach zusammenarbeiten, als Gewebebank Berlin-Brandenburg. Das Ziel: Langfristig mehr Gewebespenden zu gewinnen.

    "Wir haben in bestimmten Situationen, insbesondere bei der Augenhornhaut, Wartelisten. Und um diesen Bedarf, der zunehmend steigen wird, auch im Knochen, die Bevölkerung wird älter, brauchen wir mehr Spender."

    Bislang stammen die Gewebe nämlich hauptsächlich von Organspendern. Solche Patienten müssen strenge medizinische Kriterien erfüllen. Doch Gewebe sind nicht so empfindlich wie Organe, sie können auch von Menschen entnommen werden, die ganz normal im Krankenhaus verstorben sind. Das wird bislang aber kaum gemacht, der Aufwand ist einfach zu hoch. Nach dem Tod haben Ärzte nämlich gerade einmal 24 Stunden Zeit, um Herzklappen oder Hornhäute zu entnehmen. Vorher brauchen sie aber noch die Erlaubnis der Angehörigen.

    "Es ist in Deutschland zwingend erforderlich, dass wenn kein Organ- oder Gewebeausweis vorliegt, was leider nur sehr selten der Fall ist, dann immer die Angehörigen gefragt werden müssen, wie der potenzielle Wille des Angehörigen zur Organ- oder Gewebespende sei."

    Die neue Gewebebank Berlin-Brandenburg soll die komplizierten Abläufe zwischen Angehörigen, Klinik und Gewebebank besser koordinieren. Dabei könne auch jeder einzelne mithelfen, sagt Axel Pruß.

    "Reden Sie über die Frage: Würde ich einer Organspende zustimmen, wäre ich bereit, Gewebespender zu werden, dies allein wäre für uns extrem hilfreich."

    Wenn die Angehörigen wissen, ob man spenden möchte oder nicht, dann können sie im Zweifelsfall schneller entscheiden. Eine gespendete Herzklappe hat Marco F vor acht Jahren das Leben gerettet. Drei Monate nach der Operation konnte er wieder voll arbeiten. Medikamente muss er nicht nehmen. Nur ein Herzspezialist, sagt er, könne jetzt noch erkennen, dass er die Herzklappe eines anderen Menschen trägt.