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Gemeinsam jeder für sich

In dieser Woche steht der EU-Lateinamerika-Gipfel an. Treffen dieser Art gibt es inzwischen mit allen wichtigen Ländern und Regionen der Welt: In welchen Teilen der Welt will und muss die EU sich künftig engagieren? Und wie ist es eigentlich bestellt um eine gemeinsame Außenpolitik der 25? Darüber macht sich in unserer heutigen Europa-Kolumne Alois Berger Gedanken. Er ist freier Journalist in Brüssel.

08.05.2006
    Die Europäische Union versteht sich als friedliche Weltmacht. Sie ist kein waffenstrotzender Koloss wie die USA, ständig bereit, überall auf der Welt den eigenen Willen notfalls mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Nein, so ist die Europäische Union nicht. Sie pflegt in erster Linie diplomatische Kontakte, fördert den Handel, hilft hier und da bei der regionalen Entwicklung und müht sich um einen netten Eindruck.

    Das ist schön und vernünftig, Aber ein Konzept ist das nicht. Die europäische Außenpolitik ist bisher vor allem eine Ansammlung nationaler Politikvorstellungen. Frankreich und Belgien drängen die EU zu mehr Engagement in Afrika, Deutschland und Österreich sorgen in Brüssel dafür, dass die EU Russland, den Balkan und Osteuropa im Auge behält, Spanien und Portugal setzen sich für einen Ausbau der Beziehungen zu Lateinamerika ein. Die meisten EU-Staaten sehen die europäische Außen- und Sicherheitspolitik als Neubelebung ihrer eigenen kraftlos gewordenen nationalen Außenpolitik.

    Manchmal kommt dabei sogar etwas Sinnvolles heraus. Der EU-Lateinamerika-Gipfel in dieser Woche ist ein gutes Beispiel. Seit vielen Jahren kämpfen Madrid und Lissabon für eine engere Zusammenarbeit der EU mit den Regierungen Lateinamerikas. Jedes Jahr gibt es einige Treffen europäischer mit südamerikanischen Politikern. Die spanischen Zeitungen schreiben lang und breit darüber, doch im übrigen Europa bekommt keiner etwas mit von diesen so genannten Gipfeltreffen. Es interessiert sich auch niemand dafür. Der deutschen Regierung waren diese EU-Lateinamerika-Gipfel bisher bestenfalls gleichgültig, manchmal auch lästig, weil die Spanier für ihre ehemaligen Kolonien gerne Finanzhilfen der EU herausschlagen würden.

    Doch diesmal ist alles ein bisschen anders. Die bolivianische Regierung hat gerade ein paar Ölgesellschaften verstaatlicht und damit alle Welt daran erinnert, dass es erstens auch in Südamerika Erdöl gibt,
    und zweitens, dass diese Ölquellen auch dort von unzuverlässigen Regimen kontrolliert werden. Und schon lobt der deutsche Außenminister die vorausschauende Politik der EU in Lateinamerika, weil damit der Zugang zu Rohstoffen gesichert werde. So geht das. Man könnte auch sagen: Außenpolitik durch Zufall. An dieses Prinzip hält sich die Europäische Union auch in anderen Weltgegenden. Die europäische Ostpolitik wird weitgehend von Deutschland formuliert, die Balkanpolitik von Österreich, die Kongopolitik von Belgien und Frankreich. Das macht sogar ein bisschen Sinn, weil es schon hilft, wenn man sich in einer Region auskennt.

    Es ist nur so, dass man dabei auch immer Gefahr läuft, für die außenpolitischen Sonderinteressen einiger EU-Partner missbraucht zu werden. Frankreichs Drängen auf einen militärischen Einsatz im Kongo zum Beispiel hat nur teilweise humanitäre Motive. Paris hat in Zentralafrika auch machtpolitische Interessen, die nicht immer leicht zu durchschauen sind.

    Während der Jugoslawienkriege haben die EU-Länder erkannt, dass mit nationaler Außenpolitik nichts mehr zu holen ist. Deshalb haben sie eine Europäische Außenpolitik geschaffen, haben den Spanier Javier Solana zum EU-Chefdiplomaten gekürt. Nur die nötigen Kompetenzen haben sie ihm nicht gegeben. Die europäische Außenpolitik wird noch immer von den Hauptstädten aus ferngesteuert. Im Fall von Lateinamerika mag das zufällig gut gehen. Doch militärische Einsätze wie im Kongo werden zu Abenteuern, wenn sie nicht richtig vorbereitet sind. Es ist leichtsinnig, sich darauf zu verlassen, dass die belgische und die französische Regierung die Lage in Zentralafrika schon richtig einschätzen.

    Die Regierungen der EU müssen sich endlich entscheiden, welche Außenpolitik die EU machen soll. Für ein bisschen Zufallsdiplomatie reichen die derzeitigen Mittel. Wenn die EU aber zunehmend auch militärisch auftreten soll, dann braucht sie mehr als ein paar Soldaten. Dann müssen die Außenministerien endlich Kompetenzen und Personal nach Brüssel abgeben. Sonst ist das humanitäre Engagement zwar gut gemeint, aber nicht zu verantworten.