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Gemeinsam wählen, getrennt leben

In Nordirland sollen Protestanten und Katholiken eine überkonfessionelle Regierung bilden. So sieht es das Karfreitagsabkommen aus dem Jahre 1998 vor. Doch die Regionalregierung brach im Herbst 2002 mit Getöse auseinander. Mit der Wahl am Mittwoch soll ein neuer Anlauf genommen werden. Martin Zagatta berichtet.

05.03.2007
    Kein Gewehrfeuer - ganz im Gegenteil: Es sind Schlagbohrer, die den ohrenbetäubenden Lärm verursachen in dem Städtchen Crossmaglen. Und sie arbeiten für den Friedensprozess. Die britische Armee reißt hier im Bezirk Amagh im Süden Nordirlands nahe der Grenze zur Republik Irland den letzten ihrer gepanzerten Wachtürme ab in der Unruheprovinz, zur Freude der Einwohner, der meisten jedenfalls.

    "Das war ein Schandfleck für die Stadt. Wir haben uns nie mit diesem riesigen Turm hier abgefunden. Aber wir haben gedacht, den reißen sie nie ab. Und jetzt, wo er weg ist, können Sie sehen, wie die Leute, die sich hier versammelt haben, froh sind, dass er verschwunden ist."

    15 Jahre lang hat Jack Stuttard im Schatten des sechs Meter hohen Ungetüms aus Beton und Stahl gelebt. Diesen zweiten Wachturm in Crossmaglen hatten die Briten gebaut, nachdem der Armeeposten mehrfach von Kommandos der katholischen Untergrundorganisation IRA angegriffen worden war. Sein Abriss hat Symbolcharakter. Bis Anfang August soll nun auch der letzte Soldat den Stützpunkt in Crossmaglen räumen.

    Für die Sicherheit in der einstigen IRA-Hochburg soll dann allein die Polizei zuständig sein. Mehr als 2000 Soldaten will die britische Armee bis zum Sommer abziehen. Nur noch 5000 sollen dann in Nordirland verbleiben, wo einst auf dem Höhepunkt des Bürgerkrieges in den 70er Jahren 27.000 Soldaten stationiert waren. Der Truppenabbau wird dadurch erleichtert, dass Sinn Fein, der politische Arm der IRA, sich dazu durchgerungen hat, die ihr einst so verhasste nordirische Polizei nun doch anzuerkennen. Das hat dem für die Vereinigung Nordirlands mit der Republik Irland kämpfen Parteichef Gerry Adams den Vorwurf eingebracht hat, Verrat zu begehen. Wenn man die Zuständigkeit von britischer Polizei auf irischem Boden anerkennt, könne man nicht länger ein Republikaner sein.

    Während es auf katholischer Seite allerdings keine aussichtsreiche Gruppierung gibt, die sich einer Koalition mit den Protestanten widersetzt, rumort es im protestantischen Lager weit stärker. Der DUP, der stärksten Partei in Nordirland, haben zahlreiche Mitglieder den Rücken gekehrt, nachdem der Parteichef, der 80-jährige Ian Paisley, sich grundsätzlich bereit erklärt hat, eine Regierung mit der Sinn Fein zu bilden. Diese Kehrtwende sei unglaublich und auch damit nicht zu rechtfertigen, dass die IRA ihren bewaffneten Kampf inzwischen für beendet erklärt hat, kritisiert Ivan Foster. Der langjährige Weggefährte von Ian Paisley, wie dieser selbst ein Pfarrer, lässt in seiner Kirche nun dafür beten, dass das angestrebte Bündnis mit der Sinn Fein scheitert.

    Der so hoch geschätzte und geliebte Ian Paisley in einer politischen Koalition mit Martin McGuinness von der Sinn Fein - so Ivan Foster, das sei doch wohl herzzerreißend.

    Die DUP gibt sich dennoch zuversichtlich, wieder die meisten Stimmen zu bekommen. Die Paisley-Partei setzt darauf, dass sie Verluste ausgleichen kann, in dem sie Wähler hinzugewinnt, die ihren Kurswechsel jetzt honorieren. Auch Umfragen zufolge kann sie sich auszahlen, die Bereitschaft zu einem Bündnis mit der bisher so verhassten Sinn Fein. Ihm gefalle das. Das sei es, was sie hier alle wollten - der Bürgerkrieg, das sei Vergangenheit -, so ein Mann im Belfaster Protestantenviertel an der Shankill-Road.

    Es sei Zeit, dass sich etwas tut, die Leute hätten einfach genug, pflichtet ihm seine Frau bei, die Toten dürften nicht vergessen werden, aber nun gehe es um Aussöhnung und Zusammenarbeit. Und auch ihre Nachbarin ist für eine Regierung mit den Katholiken. Sie will einfach Frieden.

    Protestanten und Katholiken leben immer noch getrennt voneinander. Nicht einmal fünf Prozent der Kinder besuchen überkonfessionelle Schulen. Aber auf beiden Seiten scheint der Wunsch vorzuherrschen, dass die Politiker Schritt halten mit einer Entwicklung, die zumindest zu einem weitgehenden Ende der Gewalt geführt hat - keine Selbstverständlichkeit in Nordirland.