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Gemeinsame Stimme

Die Friedensverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern stagnieren. Die Palästinenser wollen vor die UN ziehen, um dort für die Anerkennung als Staat zu kämpfen. Auch auf der unbürokratischen Ebene regt sich Protest. Juden und Araber demonstrieren gemeinsam.

Von Fredy Gareis | 16.07.2011
    Der junge Mann mit der grünen Kippa auf dem Kopf hat schon einige Demonstrationen organisiert, doch keine war so groß wie diese hier.

    Mehr als tausend Menschen haben sich am Jaffa Gate, einem der Zugangstore zur Jerusalemer Altstadt am gestrigen Freitag eingefunden. Trotz der brennenden Sonne sind sie fröhlich, vielleicht weil sie wissen, dass der bevorstehende Marsch etwas besonderes ist.

    Juden und Araber gehen gemeinsam auf die Straße. Hillel Ben Sasson, der junge Mann mit der Kippa, fasst es in seinem in Berlin gelernten Deutsch so zusammen:

    "Das Ziel ist, mit einer gemeinsamen Stimme von Israelis und Palästinensern zu sprechen. Wir sagen jetzt: erst Unabhängigkeit, dann können wir weiter verhandeln."

    Um kurz nach zwei setzt sich der Tross in Bewegung. Hillel ist einer der Organisatoren und läuft deswegen vorne weg, an den vielen Fotografen vorbei, und schafft Platz. Er gehört zu einer Gruppe, die sich Sheikh Jarrah Solidarity Movement nennt, benannt nach einem Stadtteil in Ost-Jerusalem. Der ist immer wieder in den Nachrichten ist, weil dort jüdische Siedler versuchen auf palästinensischem Gebiet, Fuß zu fassen.

    In der israelischen Presse wird der Marsch mit jenen Protesten aus der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der 60er-Jahre verglichen. Und während die israelische Knesset mehr und mehr Gesetze erlässt, die das Recht zu demonstrieren weiter beschneiden, bekommt dieser Marsch eine zusätzliche Bedeutung.

    Unter den Demonstranten befindet sich auch Avraham Burg, ehemaliger Sprecher der Knesset und Berater von Shimon Peres. Burg ist eine Ikone der Linken und setzt sich immer wieder vehement für die Rechte Aller ein.

    "Erst vor ein paar Wochen ist hier die religiöse Rechte entlang marschiert und hat dabei Verachtung für Bürgerrechte und Frieden gezeigt. Jetzt laufen wir den gleichen Weg lang, aber wir sagen: Doch, es gibt Hoffnung. Und wir machen es zusammen. Es ist nicht so, dass die Israelis die Oberhand haben, oder die Palästinenser sich etwas diktieren lassen. Hier marschieren Menschen einfach mit anderen Menschen."

    In den Friedensverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern bewegt sich nichts. Eigentlich ist der Prozess tot, nur keiner will es zugeben. Im Herbst wollen die Palästinenser vor die UN ziehen, und sich als Staat anerkennen lassen. Es ist ein Versuch, Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen zu bringen.

    Avraham Burg unterstützt diesen Plan, wie alle, die hier an der Stadtmauer entlang Richtung Ost-Jerusalem ziehen. Einige halten Schilder hoch, auf denen steht: Nur freie Menschen können verhandeln.

    "Wir sagen unserer Regierung und auch der palästinensischen: Der September ist keine Bedrohung; er ist kein Tsunami und keine Katastrophe. Der September wird eine große Gelegenheit sein. Wenn die Resolution verabschiedet wird, wird es zwei Staaten zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer geben. Und nur dann können echte bilaterale Verhandlungen zwischen zwei Völkern und Ländern aufgenommen werden."

    Solch gewaltlose Proteste, wie auch gestern wieder, beunruhigen die israelischen Behörden. Als am 15. Mai, dem so genannten Nakba-Tag, unbewaffnete Palästinenser von Syrien aus zur israelischen Grenze marschieren, reagieren überforderte Soldaten mit scharfer Munition. In den vergangenen Wochen war das große Thema die geplante Flotilla, die Gaza anfahren sollte. Allerdings kamen die Schiffe nie aus dem griechischen Hafen. Stattdessen versuchten die Aktivisten, über den Flughafen Tel Aviv einzureisen, um dann in das Westjordanland zu gelangen.

    Doch von den mehreren hundert Aktivisten, kamen die meisten gar nicht erst an. Die israelischen Behörden hatten zuvor schwarze Listen erstellt und diese an die Fluglinien weitergegeben. Die Namen der Aktivisten hatten sie ausgerechnet auf Facebook in Erfahrung gebracht, indem sie die Nachrichten auf den Seiten der Organisatoren lasen.

    Auch hier in Jerusalem beobachtet ein Polizeiaufgebot nicht nur den Marsch, sondern auch Organisationen wie die Sheikh Jarrar Bewegung selbst. Hillel ist sich dessen bewusst, doch so wirklich Sorgen macht er sich nicht.

    "Also sie beobachten uns, natürlich, aber wir haben nichts zu verstecken. Wir sind eine pro-demokratische Bewegung und was wir hier wollen ist eine bürgerliche Qualität für alle, Nichtjuden und Juden."

    Am Damaskustor stoppt der Demonstrationsmarsch. Sprechgesänge ertönen. Die friedlich Protestierenden halten Schilder in die Höhe, um sie den im Stau stehenden Autofahrern zu zeigen. Einer hält nur seinen Arm aus dem Fenster und zeigt den Demonstranten demonstrativ den Stinkefinger.

    Mohammad, einer der zahlreichen Ladenbesitzer, die rund um das Damaskustor angesiedelt sind, reagiert indes gelassener. Er hat seine Illusion schon längst verloren, sagt er.

    "So etwas wurde doch schon tausendmal gemacht, aber es bringt nichts. Wir haben immer noch das gleiche ungelöste Problem."

    Ein paar Meter weiter geht es den Hügel hoch. Auf der anderen Straßenseite liegt das ultra-orthodoxe Viertel Mea Sharim. Einige Bewohner haben eine kleine Gegendemonstration organisiert.

    "Ich stehe hier, weil das die jüdische Hauptstadt, die Hauptstadt Israels ist. Dies ist ein jüdischer Staat. Es gab doch nie einen palästinensischen Staat und wir wollen auch keinen. Wir sind dagegen. Deshalb sind wir hier mit unseren israelischen Flaggen."

    Schließlich kommt der Marsch im Stadtteil Sheikh Jarrah an. Polizisten in Sturmausrüstung sichern die Straße, doch es bleibt friedlich.

    Wie viel kann so ein Marsch überhaupt ändern, wenn er überhaupt etwas ändern kann? Die Linke scheint in Israel zu schwach und die immer weiter rechts ausscherende Regierung Benjamin Netanjahus als zu stark. Die junge Palästinenserin Natalie ficht das jedoch nicht an.

    "Es ist auf jeden Fall ein Anfang. Heute sind schon Tausende gekommen, und wer weiß, vielleicht werden es im nächsten Monat noch viel mehr sein. Ich denke, das hat schon eine große Bedeutung, dass wir hier israelische Partner haben, die ebenfalls für ein freies Palästina eintreten."

    Der Demonstrationszug endet auf einem Fußballplatz. Die Teilnehmer setzen sich in kleinen Gruppen zusammen und beginnen zu diskutieren.

    Plötzlich ertönen Schüsse. Einige ducken sich, halten instinktiv schützend ihre Hände über den Kopf. Doch die Schüsse entpuppen sich als ein Feuerwerk.
    Zwischen all dem läuft Hillel Ben Sasson, der Mitorganisator auf und ab und schüttelt Hände. Er ist sichtlich zufrieden. Alles war friedlich geblieben, es gab keine gewalttätigen Zwischenfälle. Hillel sieht sich und alle Mitstreitenden auf dem richtigen Weg.

    "Im Grunde müssen wir, Palästinenser und Israelis, miteinander die Probleme lösen. Wir können alle Hilfe aus der ganzen Welt kriegen, aber am Ende sind wir verantwortlich."