Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Generaldebatte im Bundestag
Viel Uneinigkeit innerhalb der Großen Koalition

Bei der Generalaussprache im Bundestag zeigten sich erneut Differenzen zwischen den Koalitionspartnern. Insbesondere die SPD versuche, ihr Profil gegenüber der Union zu schärfen, sagte der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer im Dlf. Wichtiger wäre allerdings momentan, als Regierung geschlossen aufzutreten.

Gero Neugebauer im Gespräch mit Martin Zagatta | 16.05.2018
    15.05.2018, Berlin: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Olaf Scholz (SPD), Bundesfinanzminister, nehmen zu Beginn der Plenarsitzung des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebäude ihre Plätze ein. Hauptthemen der 31. Sitzung der 19. Legislaturperiode sind der Bundeshaushalt 2018, die Finanzplanung des Bundes für die Jahre 2017 bis 2021 sowie einzelne Ressort-Etats. Foto: Wolfgang Kumm/dpa | Verwendung weltweit
    Viel Einigkeit ist aktuell nicht zwischen den Regierungspartnern Union und SPD (dpa)
    Martin Zagatta: Die Generalaussprache ist traditionell der Höhepunkt der Haushaltsberatung im Bundestag, eine Art Regierungserklärung von Angela Merkel mit einem Schlagabtausch über die Regierungspolitik. Eine Debatte, die für uns Volker Finthammer verfolgt. Mitgehört hat der Berliner Politikwissenschaftler Gero Neugebauer. Guten Tag, Herr Neugebauer!
    Gero Neugebauer: Guten Tag, Herr Zagatta!
    Zagatta: Herr Neugebauer, wenn man sich diese Debatte jetzt auch wieder anhört, wer ist denn im Moment die größte Oppositionspartei, die AfD oder die SPD?
    Neugebauer: Wenn man unseren Bundestag begreift als ein Parlament, in dem die Regierungsfraktionen die Regierung stützen und die Opposition die Regierung kritisieren soll, ist die AfD die lautere. Wenn man es von der konstruktiven Seite her betrachtet, ja, dann sind die anderen Oppositionsparteien eher konstruktiver, und insofern haben wir eine gespaltene Opposition.
    Zagatta: Sie sprechen jetzt von der Opposition, aber wir haben ja auch jetzt wieder gehört, was Frau Nahles da sagt, die wettert da ja gegen den eigenen Koalitionspartner. Ist das normal in so einer Debatte oder ist das jetzt was Neues?
    Neugebauer: Das ist schon neu, denn wir haben es an drei Stellen erlebt: zuletzt als Herr Dobrindt in seiner Rede auf einmal in die SPD hinein die kritisierte, die da den Finanzminister Scholz kritisieren, weil er nicht genügend SPD-Politik machte. Das wirft die Frage der Erneuerung in der Regierung durch Regierungsarbeit oder eben doch außerhalb auf. Wir haben die Bemerkung von Frau Merkel, die die SPD kritisiert, weil dort die Aussage von Herrn Lischka über die Politik der Bundesanstalt für Migration und Flüchtlinge kritisiert wird, und wir haben dann wiederum die Bemerkung, die eben gerade Herr Finthammer zitiert hat, von Frau Nahles über die Frage Rückkehr Teilzeit, und dann hätte man noch ergänzen können Verteidigungshaushalt. Also so einig ist die Koalition in der Tat nicht.
    Öffentlichkeitswirksame Themen "künstlich hochgepusht"
    Zagatta: Sie haben eben gesagt, die AfD sei – das ist wahrscheinlich auch unbestritten – die lauteste dieser Oppositionsparteien, aber gelingt es der AfD mit diesen ausländerfeindlichen Äußerungen, wie heute auch wieder von Alice Weidel, nicht auch, der Debatte ihren Stempel aufzudrücken? Das ist doch das, was jetzt wieder die Öffentlichkeit erreicht, ob man will oder nicht.
    Neugebauer: Die Reden im Bundestag sind ja auch dazu da, an die Adressaten in der Öffentlichkeit, das heißt bei den Sympathisanten Zustimmung zu erwecken, die sagen, ja, die erfüllen unsere Aufgaben, und wenn man sieht, wofür die AfD gewählt wird, dann wird die in der Tat nicht für eine konstruktive Opposition gewählt. Das ist die Aufgabe der Opposition zu kritisieren, aber nicht im Detail Alternativvorschläge zu machen, aber bei der AfD ist ja allein die Verwendung von Zahlen schon sehr beliebig, und die Art und Weise wie sie hier agiert, heißt eigentlich, dass sie einen Platz im Parlament gefunden hat, den sie selbst bestimmen will und den sie ausschließlich so bestimmen will, dass sie sagt, ich will, dass in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, was wir sagen, und die zum Teil affektiven Reaktionen unterstützen diese Haltung auch noch.
    Zagatta: Aber jetzt abgesehen von ausländerfeindlichen Äußerungen oder auch solchen Provokationen, ist denn nicht in der Tat die Ausländerpolitik, die Flüchtlingspolitik das Thema, das die Menschen, ob zu Recht oder nicht, in diesem Land immer noch umtreibt, und greift die Regierung oder greifen die größeren Parteien das nicht genügend auf?
    Neugebauer: Das ist in der Tat ein Problem, was im sogenannten Problemhorizont der Deutschen weit oben ist, dass aber bestimmte Aspekte, die von der AfD hochgezogen werden, überhaupt nicht mehr diese Rolle spielen, zum Beispiel Fragen der inneren Sicherheit und des Terrorismus. Das wird künstlich hochgepusht, und insofern geht die AfD mit ihrer Propaganda auch an der Realität vorbei. Die Themen, die sie wählt, sind eben Themen, mit denen sie mobilisieren will. Das ist die Flüchtlingsfrage, das ist auch die Anti-Europa-Position, die in der AfD vertreten wird. Und wenn man bedenkt, dass vor einiger Zeit noch Positionen, wie sie in dieser Diskussion von Frau Petry vertreten worden sind, eher näher an der alten Lucke-AfD waren, nämlich zu sagen Steuerfragen, Einkommensverteilung und solche Sachen mehr, dann sieht man, dass die AfD einen Weg geht, der eigentlich darauf gründet, dass sie mehr polarisiert und dadurch ihre Anhänger versucht auch zu mobilisieren.
    Frontlinien "im Moment eher zwischen Union und SPD"
    Zagatta: Aber geht man denn mit dem Thema Flüchtlingspolitik tatsächlich so an der Realität vorbei? Also, ich will jetzt nur erinnern, der FDP-Chef Lindner, der hat ja gerade mit seinen Äußerungen, beim Bäcker wisse man nicht, ob es sich bei Ausländern um qualifizierte Entwickler handelt oder höchstens geduldete Ausländer, da ist ihm ja auch in der Öffentlichkeit Ausländerfeindlichkeit vorgeworfen, und dem stimmen, jetzt nach einer – dem, was Lindner da gesagt hat –, dem stimmen jetzt nach einer Umfrage 72 Prozent der Deutschen zu, nicht nur AfD-Anhänger, sondern vor allem auch Anhänger der FDP. Also das beschäftigt doch die Bevölkerung.
    Neugebauer: Na gut, der spezifische FDP-Aspekt ist ja der, dass die FDP manchen sich als AfD light darstellt, ungefähr auch in dieser Frage, und Herr Lindner hat nicht umsonst den Entwicklungsingenieur angesprochen, weil das der AfD-…, pardon, der FDP-Einwanderungspolitik entspricht, nämlich qualifizierte Ausländer nach Deutschland zu lassen und sie hier auch arbeiten zu lassen. Aber ich sage noch mal: Es ist in der Öffentlichkeit… der Stellenwert ist weitaus höher, als er real ist. Das soll heißen, die Zustimmung zu solchen Aussagen ist eine momentane, die nicht notwendigerweise eine Grundhaltung in der deutschen Öffentlichkeit widerspiegelt, die auf der einen Seite für die Medien interessant ist, weil es Berichte gibt, weil man da viel aufhängen kann. Aber auf der anderen Seite, wenn Sie sehen, inwieweit heute das akzeptiert wird, was als Flüchtlingspolitik kommt von diesen ganzen anderen Sachen, inwieweit Sie sehen, welche Wählerunterstützung die AfD hat, dann kann man schlicht und einfach sagen, für die Mehrheit der deutschen Bevölkerung sind diese Themen interessant, aber nicht so polarisierend und vor allen Dingen nicht so negativ besetzt, wie es die AfD versucht darzustellen.
    Zagatta: Der FDP-Chef Lindner, der hat ja in seiner Rede – das haben wir vorhin gehört – auch die Uneinigkeit in der Regierung bemängelt. Sind denn jetzt, abgesehen von der AfD mit diesem Thema, sind denn da klare Frontlinien für Sie zwischen der Regierung und der Opposition auszumachen, oder spielt sich das tatsächlich jetzt im Moment eher zwischen Union und SPD ab?
    Neugebauer: Ich denke, das spielt sich im Moment eher zwischen Union und SPD ab. Die SPD ist auf verschiedenen Feldern noch nicht so richtig hervorgetreten, das heißt, sie kann bei manchen Sachen – das gilt unter anderem auch für Flüchtlingspolitik, da hat sie nie eine eigene "Flüchtlingserzählung" gehabt, das gilt auch für die Steuerpolitik, das gilt unter anderem aber eben auch für Arbeitsmarktpolitik, das gilt auch für Sicherheitspolitik –, da ist sie noch nicht so weit, dass sie sagen, hier hätten wir Positionen, mit denen wir auftreten können. Aber im Moment denke ich, es ist wichtiger für die Koalition, sich zusammenzufinden und sagen, wir stellen uns erst einmal als geschlossen da, und wir negieren möglicherweise auch die im Vorfeld von Wahlen – Bayern und Hessen – notwendigen Auseinandersetzungen zwischen den Parteien. Man redet im Bundestag nicht davon, um den Wettbewerber von seinen Argumenten zu überzeugen, sondern man will halt in der Öffentlichkeit Punkte holen, die dann nützlich sein können. Nach der Wahl ist immer vor der Wahl, Herr Zagatta.
    "SPD darf Fehler aus der alten Koalition nicht wiederholen"
    Zagatta: Aber die Wahlen sind ja erst im Herbst, und dann stehen im nächsten Jahr schon die nächsten wichtigen an. Wie sehen Sie denn, jetzt mittelfristig gesehen, sagen wir mal: die Rolle der SPD? Die Umfragen sind ja da immer noch katastrophal.
    Neugebauer: Die Umfragen werden auch katastrophal bleiben, solange die SPD nicht deutlich macht, was die Erneuerung bedeuten soll, wie sie vonstatten gesehen soll und wie sie in der Rolle als Koalitionspartner doch versuchen muss, ein eigenes Profil zu machen, auch alternative Politikangebote zu machen, die nicht jetzt für diese Regierungszeit gelten, sondern für die nächstfolgende, das heißt für die Perspektive der SPD als Regierungspartei. Sie darf den Fehler aus der alten Koalition nicht wiederholen, einfach sich anpassen, sagen, was sozusagen der CDU lieb ist, sich, wenn man bösartig will: zum Pudel der CDU machen und da Frau Merkel auch erlauben, die Erfolge der Koalition als die Erfolge von Frau Merkel auszugeben. Das ist schwierig. Das muss man lernen, und es hat noch einige Zeit vor sich. Das Problem ist eben auch, die Personen, die in der Regierung agieren, beispielsweise Herr Scholz, die Person, die zwischen Regierung und Fraktion agiert, Frau Nahles, und die Personen, die in der Partei agieren, die sind sich, glaube ich, noch nicht so ganz darüber im Klaren, welche Rolle sie auch in Zukunft in der Partei spielen wollen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.