Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Generalstaatsanwalt a.D. Christoph Schaefgen
Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen als Lebensthema

Einige Wochen vor der Deutschen Einheit wird der 1937 geborene Jurist Christoph Schaefgen gefragt, ob er die Verfolgung der DDR-Regierungs- und Vereinigungskriminalität strafrechtlich übernehmen kann. "Diese Arbeit hatte in der alten Bundesrepublik kein gutes Image", sagte er im Dlf - sei aber wichtig gewesen.

Christoph Schaefgen im Gespräch mit Birgit Wentzien | 29.07.2021
Christoph Schaefgen wird 1937 in Trier geboren und studiert im nahen Bonn Jura. Er ist Referendar in Berlin, als die Mauer gebaut wird – eine prägende Erfahrung, die tiefe Spuren hinterlässt. Als die Mauer 1989 fällt, ist er Staatsanwalt – zuständig für Standes- und Berufsrecht – und Vertreter des Generalstaatsanwalts beim Berliner Kammergericht. Ein paar Wochen vor der Deutschen Einheit wird er gefragt, ob er die DDR-Regierungs- und Vereinigungskriminalität strafrechtlich verfolgen wolle. Ein Auftrag, um den sich damals niemand reißt. Schaefgen sagt dennoch zu und wird später von den spannendsten zehn Jahren seines Berufslebens sprechen. Als Chefankläger blickt er auf fast 23.000 Verfahren zurück, nur ein kleiner Teil von ihnen führt zur Anklage, knapp 300 Urteile werden gesprochen – unter anderem gegen Erich Honecker und Erich Mielke. Die Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen wird für ihn zu einer Art Lebensthema, das ihn bis heute begleitet.
Die strafrechtliche Aufarbeitung des DDR-Unrechts
Birgit Wentzien: Sie haben Erich Honecker angeklagt, Herr Schaefgen, den Generalsekretär des Zentralkomitees der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, man kann auch sagen: den DDR-Staats- und Parteichef. Und Sie haben die Anklage damals im Gerichtssaal in Moabit in Honeckers Anwesenheit verlesen. Erinnern Sie sich noch an diesen Moment?
Christoph Schaefgen: Ja, daran erinnere ich mich mit sehr gemischten Gefühlen. Die Anklage wurde ja nicht von mir persönlich gefertigt, sondern einer ganzen Mannschaft meiner Mitarbeiter, die natürlich auch alle dieses Amt des Staatsanwaltes in diesem besonderen Verfahren ausüben wollten. Die damalige Justizsenatorin, Jutta Limbach, bestand aber darauf, dass ich als der Leiter der damaligen Arbeitsgruppe diese Aufgabe übernehmen musste und sollte. Und dem konnte ich mich natürlich auch nicht entziehen. Ich habe es nicht mit Freude gemacht, sondern ich wollte das, was die Kollegen erarbeitet haben, auch von diesen Kollegen vorgetragen wissen und sehen, weil ich wusste, mit wie viel Herzblut sie das gemacht hatten und wie sie sich auch auf diesen Tag gefreut hatten.
Wentzien: Haben Sie mal ganz kurz aufgeschaut und in die Gesichtszüge … Haben Sie die Gesichtszüge von Erich Honecker wahrnehmen können?
Schaefgen: Ich konnte ihn natürlich nicht die ganze Zeit im Blick haben, sondern mein Blick galt der Anklageschrift in erster Linie. Aber er saß regungslos auf der Anklagebank. Und man sah ja mehr Verteidiger als den Angeklagten selbst.
Wentzien: Sie waren der Chefermittler auch gegen Erich Mielke, den Minister für Staatssicherheit der DDR. Und wer, Herr Schaefgen, Ihre Interviews, Ihre Aufsätze, auch die Berichterstattung liest, der liest die Geschichte der Arbeit der Staatsanwälte. Es ist die Geschichte der Verfolgung der DDR-Regierungskriminalität, sachlich, klar, distanziert. Ich habe versucht, vieles von dieser Geschichte zu lesen, und ich bin ins Stocken geraten an einer Stelle, da nämlich, wo Ihr Ton sehr persönlich wurde. Da ging es um Bärbel Bohley, eine Frau, die zentral war für die Bürgerrechtsbewegung der DDR, eine der Begründerinnen des Neuen Forums. Und Sie kannten sie gut, sehr viel mehr habe ich dazu nicht gelesen, von daher will ich jetzt wissen, wie gut und woher kannten Sie sie?
Schaefgen: Ich habe sie auf einem Flug von Berlin nach Bonn kennengelernt. Da waren wir eingeladen zu einer Konferenz, die der damalige Justizsenator Kinkel zu diesem Thema, strafrechtliche Aufarbeitung, ausgerichtet hatte. Auf diesem Flug hatte ich mich auch mit ihr unterhalten, weil wir Sitznachbarn in dem Flugzeug waren. Und darüber hinaus gab es auch Einladungen, die Frau Bohley ausgesprochen hatte in ihrem Haus, zu der also die DDR-Prominenz des Widerstandes anwesend war. Da hat sich der Kontakt etwas verfestigt.
Bärbel Bohley, Mitbegründerin des Neuen Forums in der DDR, bei einer Diskussion in Wien am 24.11.1989
Bärbel Bohley, Mitbegründerin des Neuen Forums in der DDR, in Wien im November 1989 (picture alliance / APA / picturedesk.com / B. Gindl)
Wentzien: Wenn Sie sagen, Sie kennen jemanden gut in der Öffentlichkeit, dann muss ich nachfassen. Sie haben kurz erwähnt, dass Sie mit ihr auf einem Flug Seite an Seite saßen und da auch Zeit hatten. Was haben Sie von dieser Bürgerrechtlerin erspürt? Sie war ja nicht unbedingt dafür, dass wir jetzt da sind, wo wir sind, nämlich zwei Staaten haben.
Schaefgen: Ich war nicht nur auf dem Flug mit ihr räumlich zusammen, sondern auch auf vielen Veranstaltungen, die sich mit diesem Thema beschäftigten. Von daher weiß ich, dass sie die Arbeit, die die Strafjustiz zu leisten hatte, unterstützte und ihr auch nicht kritisch gegenüberstand. Ich weiß auf der anderen Seite auch, dass sie politisch anders ausgerichtet war als die Parteien in der alten Bundesrepublik und dass es ihr lieber gewesen wäre, wenn die DDR nicht der Bundesrepublik beigetreten wäre, sondern ein eigenständiger Staat geblieben wäre – allerdings eben auf demokratischer Grundlage.
Wentzien: Bärbel Bohley war Künstlerin, wurde in der DDR verhaftet, wurde abgeschoben in den Westen und erzwang die Rückkehr in die DDR. Und ihr Wort ist zentral, wir alle, glaube ich, erinnern uns gut, Bärbel Bohley hat damals gesagt: Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat. Haben Sie sie darauf mal angesprochen, weil das ist ja eine Attacke quasi auf Ihre Arbeit und Ihr Tun?
Schaefgen: Ja, das habe ich. Es war keine Kritik an der Arbeit der Strafjustiz, sondern es war eine Kritik an der Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die sie mit diesen Worten zum Ausdruck gebracht hat, das hat sie mir gesagt.

"Mein Maßstab war das Recht und nicht die Politik"

Wentzien: Klaus Kinkel, Sie haben ihn schon erwähnt, war damals Justizminister. Und Bärbel Bohley soll ihren Satz, wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat, in einem Gespräch mit dem damaligen Bundesjustizminister gesagt haben. Und ich habe noch ein Zitat dabei, Herr Schaefgen, nämlich das von Kinkel: Ich baue auf die deutsche Justiz. Es muss uns gelingen, das SED-System zu delegitimieren, die Aufgabe, die vor uns steht, ist gewaltig. Wie lesen Sie diesen Satz?
Schaefgen: Das war der Satz eines Politikers, der auch Justizminister war. Allerdings habe ich die Aufgabe der Strafverfolgung der Verbrechen dieses DDR-Regimes nicht darin gesehen, ein System zu delegitimieren, sondern es war die Aufgabe, herauszufinden, ob Handlungen, Unterlassungen begangen worden sind, die Strafgesetze im Tatbestand erfüllten. Der Anspruch der Delegitimierung eines Systems hat für mich eine politische Dimension. Und in einen Zusammenhang mit der Politik gebracht zu werden, das mochte ich überhaupt nicht. Mein Maßstab war das Recht und nicht die Politik.
Wentzien: Haben Sie Herrn Kinkel das mal gesagt?
Schaefgen: Das weiß ich nicht mehr, ich glaube nicht. Wenn, dann nur indirekt, indem ich es bei Diskussionen oder in Vorträgen mal zum Ausdruck gebracht habe.
Vom Mauerfall zur Berufung als Chefankläger
Wentzien: Ich würde Sie jetzt mal verorten zwischen Bärbel Bohley auf der einen und Klaus Kinkel auf der anderen Seite mit Ihrer Geschichte. Und ich weiß, dass für Sie all die Aufgaben, die Sie dann übernommen haben, auch, sagen wir mal, relativ überraschend kamen, nämlich mit einem Abend in diesem Land, das ist der 9. November 1989, als die Mauer aufging. Haben Sie damals geahnt, was auf Sie zukommt?
Ein Gruppe junger Männer sitzt mit einer zerschnittenen DDR-Fahne auf der Mauer am Brandenburger Tor in Berlin.
In der Nacht des 9. November 1989: Die Mauer fällt (picture alliance/ imageBROKER)
Schaefgen: Nein. Also, der 9. November war ja ein Tag oder besser ein Abend, an dem noch überhaupt keiner in die Zukunft blicken konnte und wahrscheinlich auch niemand schon Gedanken entwickelt hat, wie die Zukunft mal aussehen wird, sondern es war ein Tag der Freude. Und selbstverständlich war ich auch unter denjenigen, die dorthin eilten, wo nach den Medienberichten etwas los war, also die Grenzen geöffnet wurden. Und auch in den folgenden Tagen habe ich mir hier in Berlin das angesehen, was da geschehen ist, nämlich dass diese Menschen in großen Scharen hier in den Westteil der Stadt kamen, alle mit freudigen Gesichtern und den vielen Umarmungen, die dort unter wildfremden Menschen stattgefunden haben. Das war schon sehr beeindruckend.

"Der Bau der Mauer hat tiefe Spuren in mir hinterlassen"

Wentzien: Sie waren damals schon in Berlin?
Schaefgen: Ich bin seit 1964 Berliner.
Wentzien: Hand aufs Herz, was wussten Sie 1989 von der DDR?
Schaefgen: Was die inneren Verhältnisse anbetraf, habe ich mich mit der DDR nicht beschäftigt. Ich habe aber miterlebt, als ich als Referendar in Berlin war, den Bau der Mauer im August 1961. Und das hat tiefe Spuren hinterlassen, die Bilder, die ich dort gesehen habe, wie die Menschen auseinandergerissen wurden, was ich mir in der ganzen Tragweite, wie sie ein Berliner oder eine Berlinerin empfunden haben muss, gar nicht vorstellen konnte, weil die Grenzziehung ja bis dahin immer noch so war, dass normale menschliche Kontakte aufrechterhalten wurden. Und dass man von heute auf morgen total getrennt ist, das war ein schrecklicher Vorgang.

"Es gab ja keine Verpflichtung, so etwas zu übernehmen"

Wentzien: Und wie muss ich mir das praktisch vorstellen, 9. November 1989, dann das Vorhaben, Regierungskriminalität zu ermitteln. Kommt dann ein Brief oder kommt dann ein Anruf und kann man dann auch nein sagen? Also, wie kam das Amt zu Ihnen und wie kamen Sie zum Amt?
Schaefgen: Ich war zu der Zeit stellvertretender Generalstaatsanwalt beim Berliner Kammergericht. Selbstverständlich wurden nach dem 9. November Überlegungen angestellt, was strafrechtlich, justiziell auf die Berliner Justiz zukommen würde. Und auch dazu, dass die Strafjustiz eingeschaltet werden musste. Wie man das organisatorisch machen sollte, das wurde in der Justizverwaltung besprochen. Es gab dort einen sehr fähigen, leitenden Oberstaatsanwalt, der sich in seinem Berufsleben auch mit dem DDR-Unrecht schon befasst hatte, weil es in der Zeit vor der Öffnung schon Verfahren gab, die das Unrecht der DDR beinhalteten. Da ging es auch um Entschädigungen und dergleichen von Flüchtlingen. Der war von seinem beruflichen Werdegang daher in erster Linie prädestiniert, aber der wollte nicht richtig. Und Frau Limbach wollte dann auch nicht. Und dann fiel die Wahl auf mich.
Der Berliner Generalstaatsanwalt Christoph Schaefgen äußert sich am 5.1.1999 in Berlin-Moabit zur Diskussion über eine Amnestie für DDR-Unrecht. 
Christoph Schaefgen im Januar 1999 in Berlin-Moabit bei einer Diskussion über eine Amnestie für DDR-Unrecht (picture-alliance / dpa / Dirk Lässig)
Wentzien: Konnten Sie, hätten Sie nein sagen können?
Schaefgen: Ich hätte nein sagen können, selbstverständlich, es gab ja keine Verpflichtung, so etwas zu übernehmen.
Wentzien: Es hat sich niemand gedrängelt, so kann man es vielleicht zusammenfassen. Wenn Sie mit dem Wissen von heute noch mal auf das Geschehen und die Arbeit schauen, würden Sie den Job noch mal übernehmen?
Schaefgen: Ja. Ich stehe zu dem, was ich gemacht habe, ich finde das im Prinzip richtig, dass man schwere Menschenrechtsverletzungen nicht ungeahndet lassen kann. Ob ich alles wieder so machen würde, wie es gelaufen ist, das ist eine ganz andere Frage.

"Rechtlich keine guten Vorgaben und personell ganz schlecht aufgestellt"

Wentzien: Fällt Ihnen spontan eine Situation, ein Umstand ein, den Sie gerne noch mal reloaden würden?
Schaefgen: Es war ja so, dass wir personalmäßig miserabel aufgestellt waren, als die Wiedervereinigung erfolgte, und ja praktisch ein System mit Unrecht, das in über 50 Jahren begangen wurde, dastand. Das war keiner da, der sagte, was nun im Einzelnen strafrechtlich verfolgt werden sollte. Also, rechtlich keine guten Vorgaben und personell ganz schlecht aufgestellt. Unter diesen Bedingungen würde ich es nicht noch mal machen.
Wentzien: Wir kommen auf die praktische Arbeit, auf Ihren Arbeitsplatz. 75.000 Verfahren, 1.700 Anklagen, aber nur die Hälfte davon endeten dann in Urteilen. Die Frage muss kommen, Sie haben sie einige Male schon beantwortet, bitte noch einmal: Warum so wenig Urteile?
Schaefgen: Ja. Das hat eben damit zu tun, auch damit zu tun, dass die Rechtslage nicht so war, dass man große, also viele Verurteilungen erwarten konnte. Wir mussten erst mal prüfen, ob das, was in der DDR gemacht wurde, auch nach dem Recht der alten DDR einen Straftatbestand erfüllte. Dann mussten wir weiterhin prüfen, ob das Geschehen auch nach dem Recht der Bundesrepublik strafrechtlich relevant war. Und die dritte Prüfung war dann, welches Recht, das DDR-Recht oder das Recht der Bundesrepublik, ist für den Täter das günstigste. Und dieses Recht musste dann angewandt werden. Das ist nun eine Sache, die also Juristen können müssen, das gehört zum Handwerk, auch mit fremden Rechtsordnungen umzugehen.
Schwierig wurde es dann, wenn man zu der Frage kam, ob die Handlungen dann gerechtfertigt waren, die unter ein normales Strafgesetzbuch fielen, weil es nach dem DDR-Recht eine Rechtfertigung für dieses Handeln gab. Ich denke da vor allen Dingen an das Geschehen an der innerdeutschen Grenze, die Tötungen von Flüchtlingen, da hatte die DDR eine Rechtsgrundlage, nämlich zunächst Verordnungen, die aber Gesetzeskraft in der DDR hatten, und später das Grenzgesetz, wonach es also den Grenzsoldaten erlaubt war, mit der Schusswaffe durch gezielten Einsatz Grenzdurchbrüche, wie es damals hieß, zu verhindern.
Das war ein jahrelanger Klärungsprozess, bis über den Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht hinaus zu dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Und der hat letztendlich einstimmig entschieden, dass es sich nicht um einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot handelt, wenn man Tötungshandlungen, die keinen wirklichen rechtlichen Grund haben, also willkürlich sind, von Staats wegen durchführt.

"Die DDR hatte schon angefangen, ihre Vergangenheit strafrechtlich aufzuklären"

Wentzien: Und das alles – jetzt im Nachgang betrachtet – in einer Situation, wo natürlich immense Erwartungen auf Sie aufgeladen waren, was die rechtliche Bearbeitung anbelangt. Lassen Sie uns ganz kurz in den praktischen Karton auch schauen. Wie haben Sie arbeiten können, wie viele Ermittler hatten Sie, ich habe schon ein bisschen rausgehört, dass Sie viel zu wenige hatten. Und wie kamen die zu Ihnen, konnten Sie die anrufen und einsammeln? Beschreiben Sie mal ein bisschen Ihren Arbeitsplatz, das ist, glaube ich, auch wichtig zum Verständnis.
Schaefgen: Also, ich gehe mal zurück auf den 3. Oktober. Am 3. Oktober hatten wir eine kleine Arbeitsgruppe, die bei der Staatsanwaltschaft bei dem Kammergericht angesiedelt war, die bestand aus sieben Personen für ein Unrecht in der DDR, das seit 1949 bis 1989 ausgeübt worden sei. Und wir fingen auch am 3. Oktober an, zu arbeiten – an dem Tag, an dem sich alle in Berlin freuten. Es war ein wunderbarer Herbsttag, wir saßen in dem Gebäude der ehemaligen Generalstaatsanwalt der DDR und durchforsteten deren Akten, denn die DDR hatte ja schon angefangen, ihre Vergangenheit strafrechtlich aufzuklären, Wahlfälschungen, Amtsmissbrauch und diese Sachen, und hatte auch in einer für unsere Verhältnisse übertrieben harten Art von dem Recht, Beschuldigte in Untersuchungshaft zu nehmen, Gebrauch gemacht. Das betrifft nicht Herrn Mielke, den sie auch eingesperrt hatten, aber viele, viele andere, die nur dem Bereicherungsvorwurf ausgesetzt waren.

"Es wurde teilweise von der Altpapierabteilung gesprochen"

Wentzien: Das sollten wir ganz kurz festhalten: Die DDR-Volkskammer, die letzte und erste frei gewählte, hat sich quasi schon auf die juristische Suche gemacht.
Schaefgen: Also, weniger die Volkskammer. Schon zu Zeiten der DDR fing die DDR an, ihr eigenes Handeln kritisch zu hinterfragen, was die Wahlfälschungen angelangt und diese Bereicherungsgeschichten wie Wandlitz oder die Sonderversorgung oder die Datschen, die sich die Großkopferten da alle in schönen Gegenden der DDR zugelegt hatten. Das war ja durch die Westpresse erst in das Bewusstsein der DDR-Bevölkerung gebracht worden. Dann konnte die Staatsanwaltschaft auch nicht mehr still zusehen, sondern musste zugreifen. Und da haben Sie heftig zugegriffen.
Aber um diese Menschenrechtsverletzungen wurde sich so gut wie nicht gekümmert, das kam alles erst später. Und das sollte alles mit sieben Mann dann bewältigt werden. Das sah natürlich jeder ein, dass das nicht geht, dass man die Berliner Justiz da nicht alleine lassen kann, nur weil der Tatort, nach dem sich das immer richtet, wer dran ist als Verfolger, hier lag. Und dann wurde das eben eine gesamtdeutsche Aufgabe. Das hieß für die Strafverfolgung, die Länder verpflichteten sich, Kontingente aus ihren eigenen Reihen, Staatsanwälte und Juristen, zu stellen, die die Arbeit in Berlin mit bewältigen sollten. Und da gab es eine Zahl von 60, diese 60 Staatsanwälte sind aber nur für einen ganz geringen Zeitraum wirklich hier gewesen. Es war nicht so einfach, Menschen, die in ihren eigenen Behörden ihrer Arbeit nachgingen und die auch nicht wussten, was sie hier erwartete, dafür zu begeistern. Es musste schon Anreize geschaffen werden, das war die sogenannte Bush-Zulage. Aber die löste das Problem natürlich auch nicht. Und dann hatte auch diese Arbeit hier kein gutes Image in der alten Bundesrepublik. Auch in Berlin wollte nicht jeder diese Arbeit machen. Es wurde da teilweise von der sogenannten Altpapierabteilung gesprochen. Die Personalausstattung war bis auf einen ganz geringen Zeitraum stets prekär. Und es kamen zwar gut qualifizierte Leute hierher, aber vielfach auch Berufsanfänger, die noch überhaupt keine Erfahrung im Umgang mit Strafrecht hatten.
Ein Stück Rechtsgeschichte und die Grenzen der Aufarbeitung
Wentzien: Es war und ist eine Mammutaufgabe, und es gibt jede Menge Kritik. Wir haben auch schon ein bisschen was angedeutet. Siegerjustiz sagten die einen, viel zu wenige Urteil meinten die nächsten, die Kleinen hängt man, die Großen werden laufengelassen, das bezog sich auf die Mauerschützen, die verurteilt wurden, viel zu wenige indes von den politisch Verantwortlichen. Nehmen Sie den Titel an, Herr Schaefgen, Sie haben Rechtsgeschichte geschrieben? Und verbunden, Sie können noch kurz nachdenken, mit dem zweiten Teil dieser Frage, Sie haben auch gesagt, Sie würden meinen, das seien die zehn spannendsten Jahren Ihres Berufslebens gewesen und Sie hofften, dass die Arbeit nicht vergebens war. Bleiben Sie bei dieser Hoffnung?
Schaefgen: Ja.
Wentzien: Rechtsgeschichte haben Sie geschrieben.
Schaefgen: Ich wollte zunächst noch etwas sagen, da zu diesen Anwürfen, die da erhoben wurden, Siegerjustiz, die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. Damit wurde in den Anfangsjahren viel von Seiten der täterorientierten Medien gearbeitet. Aber ich glaube, das wird heute keiner mehr so behaupten. Zum ersten ist der Wille zur Strafverfolgung nicht von der Bundesrepublik, sondern von der DDR ausgegangen, es war also nicht der Westen, der darüber bestimmt hat, sondern es waren die Bürger der DDR, die einen Rechtsstaat wollten – und dazu gehört auch die Strafverfolgung.
Zum zweiten Vorwurf: Im Anfang war es so, dass nur die Schützen verfolgt werden konnten, weil man erst einen Sachverhalt braucht, der einen Straftatbestand darstellt, der also durch eine natürliche Person verursacht worden ist, der Schütze, ehe man an die Befehlsgeber in der politischen und militärischen Ebene herangehen kann. Denn sie standen ja alle nur im Hintergrund, sie standen nicht an der Kalaschnikow und drückten ab. Und dieses Bild hat sich doch für jeden, meine ich, auch sehr gewandelt nach der Anklage gegen Honecker und andere Politbüromitglieder und nach der Anklage gegen die Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates und gegen die oberste Militärführung in der DDR. Es sind Freiheitsstrafen bis zu siebeneinhalb Jahren verhängt worden, während man die Schützen alle mit Strafen davonkommen ließ, die zur Bewährung ausgesetzt werden konnten, es sei denn, es waren Exzesstäter, die es unter den Soldaten natürlich auch gab. Insofern meine ich, sind diese Vorwürfe heute absolut obsolet.
Gäste der Gedenkfeier zum 30. Jahrestag des Mauerfalls erinnern an der Gedenkstätte Bernauer Straße in Berlin mit Blumen an die Mauertoten 
Die Toten am Eisernen Vorhang
Mauer, Todesstreifen, Schießbefehl: Der Fluchtversuch aus der DDR hat Hunderte das Leben gekostet. Über die exakten Opferzahlen an Mauer und innerdeutscher Grenze wird bis heute gestritten. Viele dieser Einzelschicksale bleiben weiterhin ungeklärt.

"Schwerste Verletzungen schreien nach einem Schuldausgleich durch Strafe"

Das andere, das wird schon ein geschichtliches Ereignis sein und hoffentlich auch bleiben, ein einmaliges. Solche Zustände erhoffe ich mir für Deutschland in der Zukunft nicht. Die Strafverfolgung von schweren Menschenrechtsverletzungen, die Codierung dieses Rechts ist durch die Aufgabe, die die Berliner Justiz bewältigt hat, schon gefördert worden. Das kann man nachlesen. Es ist ja inzwischen ein Völkerstrafrecht entwickelt worden nach dem römischen Statut. Und in dieses Völkerstrafrecht sind auch Rechtserkenntnisse eingeflossen, die hier gewonnen worden sind. Und das Völkerstrafrecht befasst sich ja nur mit einem Mindeststandard an strafrechtlichem Menschenrechtsschutz. Und das wird für notwendig gehalten aus Abschreckungsgründen. Ob das wirklich so ist, das mag man bezweifeln, und bezweifele ich manchmal, wenn ich die Entwicklung sehe. Ich kann das nicht numerisch festmachen, aber ich habe nicht den Eindruck, dass es seit dem römischen Statut, also dem internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, wirklich eine Reduzierung von schwersten Menschenrechtsverletzungen gibt. Auf der anderen Seite ist es für mich auch unerträglich und meines Erachtens auch in der menschlichen Natur verankert, dass schwerste Verletzungen nach einem Schuldausgleich durch Strafe schreien. Insofern ist das, was da geschehen ist, nicht vergeblich. Man muss aber immer weiter daran arbeiten.
Blick auf das Gebäude des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag (ICC)
Internationaler Strafgerichtshof - Das "Weltgericht" in der Kritik
Mit dem neuen Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) sind große Hoffnungen verbunden. Bisher wurden in Den Haag weniger Verfahren abgeschlossen, als einst erhofft.
Wentzien: Da kommen wir gleich drauf, das heißt auf Ihre Wunschträume und das Weiterarbeiten – übrigens auch beim Blick über den kleinen, deutschen Gartenzaun in andere Richtungen. Ich halte fest, Herr Schaefgen, Sie sagen, ich habe Rechtsgeschichte geschrieben und meine Arbeit war nicht vergebens. Warum hat man damals, eine Idee, nicht versucht, die SED, die verantwortliche Partei in Haft zu nehmen? Sie gestatten diese ganz lapidaren journalistischen und nicht juristischen Formulierungen. Warum hat man nicht die wirkliche Zentrale, die Machtzentrale, die verantwortliche Instanz in Haft genommen?
Schaefgen: Jetzt meinen Sie in strafrechtliche Haft oder?
Wentzien: Genau, in all ihren Verantwortungsstrukturen, weil sie ja praktisch, nicht die Stasi, sondern sie, die SED, hat ja angeordnet, was in diesem Land passierte.
Schaefgen: Da muss ich zurückkommen auf das, was anfangs schon gefragt und von mir gesagt wurde: Wir waren an Recht gebunden, an Straftatbestände. Und in der DDR gab es keinen Straftatbestand, der die Mitgliedschaft oder die Funktion in der SED unter Strafe stellte. Das ging alleine aus diesem Grunde schon nicht. Ob es politisch Maßnahmen hätte geben sollen und müssen, das ist eine andere Frage, für die ich nicht so kompetent bin.

"Es wurde viel getan, um die Opfer zu entschädigen und zu versöhnen"

Wentzien: Wenn man jetzt ein Buch schreiben würde, so geht Wiedervereinigung, würde da zum Beispiel drinstehen, die Politik hat sich bei der Aufarbeitung des SED-Unrechts zu sehr auf die Strafjustiz verlassen? Oder sagen wir mal, die Verantwortung dafür als Arbeit auch zu sehr auf die Schultern der Strafjustiz gelegt?
Schaefgen: Nein, das glaube ich nicht. Es ist sehr viel getan worden, um die Opfer des Systems zu entschädigen und zu versöhnen. Es ist sehr viel Wiedergutmachung von strafrechtlich nicht fassbarem Unrecht wie den Enteignungen und Vertreibungen geleistet worden. Und es ist auch, jedenfalls kann ich das für die Justiz sagen, versucht worden, diese Institutionen, die Gerichte und Staatsanwaltschaften, von Funktionären, die lediglich die Robe trugen, aber keine echten Justizleute waren, zu säubern. Es sind dann Dinge passiert, für die ich nicht kompetent bin. Also, die Entwicklung der SED über andere Parteien, die Aufnahme von SED-Funktionären in die etablierten Bonner Parteien. Ob das sein musste, das wage ich zu bezweifeln.
Evelyn Zupke (re.) und Roland Jahn, Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, nehmen auf der Besuchertribüne an der Sitzung des Bundestags teil. Zupke steht zur Wahl als künftige Bundesbeauftragte für die Opfer der SED-Diktatur.
Wie die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit weitergeht
Evelyn Zupke ist die erste Bundesbeauftragte für die Opfer der SED-Diktatur. Die bisherige Behörde für die Unterlagen der DDR-Staatssicherheit wird aufgelöst. Die Aufarbeitung geht jedoch weiter.

"Die meisten waren und blieben Betonköpfe"

Wentzien: Sie haben in diesem Kontext einmal gesagt, man hat geglaubt, das Gerechtigkeitsgefühl dadurch befriedigen zu können, mit strafjustizieller Arbeit. Das musste misslingen.
Schaefgen: Das misslingt täglich. Das ist meine feste Überzeugung. Neulich las ich im "Tagesspiegel", 3.600 Euro für ein Menschenleben. Dem zugrunde lag ein tödlicher Verkehrsunfall zugrunde. Das versteht kein Mensch. Insofern hat die Justiz immer ein Problem, ein Gefühl zu bedienen. Das geht nicht. Es gibt feste Regeln, die in einem Strafprozess beachtet werden müssen.
Wentzien: Wir haben über Erich Honecker, über Erich Mielke gesprochen. Sie hatten auch zu bearbeiten die Militärs im Nationalen Verteidigungsrat. Und mir ist aufgefallen bei Ihren Beschreibungen, dass Sie so etwas wie eine Spur von Nachdenken oder Bewusstheit nur bei Ausnahmen, haben Sie mal gesagt, in den militärischen oberen Rängen festgestellt haben. Das erscheint mir doch sehr, sehr wichtig. Das waren Menschen, die militärisch Verantwortung trugen, die tatsächlich ins Nachdenken kamen nach 1989?
Der ehemalige DDR-Staatschef Erich Honecker (r) und der frühere Stasi-Chef Erich Mielke (l) verabschieden sich nach dem zweiten Prozess-Tag mit einem Händedruck. Der Honecker-Prozess wurde am 16. November 1992 im Kriminalgericht Moabit unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen fortgesetzt. Honecker und Mielke müssen sich mit weiteren Mitangeklagten wegen der Todesschüsse an der innerdeutschen Grenze verantworten.
Erich Honecker und Erich Mielke beim Honecker-Prozess am 16. November 1992 (picture-alliance / dpa / Ralf Succo Pool)
Schaefgen: Ja, das waren aber ganz, ganz wenige. Die meisten waren und blieben Betonköpfe, da bewegte sich nichts. Der Chef der Grenztruppen, das war derjenige, der direkt unterhalb des Nationalen Verteidigungsrates funktionierte, der wurde zu einer Freiheitsstrafe, die er auch verbüßen musste, verurteilt. Und der rechtfertigte das, was er getan hatte, auch noch in der Hauptverhandlung. Dieser Mann wurde dann begnadigt von der Berliner Regierung. Das habe ich nie verstanden. Da spielte Politik mit, das war der misslungene Versuch, durch eine Gnadenakt eine Versöhnung in den anderen Teilen Deutschlands mit zu befördern. Das hat auch der damalige Vorsitzende Richter der Strafkammer, die diese Verurteilung ausgesprochen hatte, nicht verstanden. Nach dem geltenden Recht ist es so, dass ein Verurteilter, nachdem er eine bestimmte Zeit seiner Strafe verbüßt hat, durch einen gerichtlichen Beschluss freigestellt werden kann von der Verbüßung der Reststrafe. Es geht also eine gerichtliche Prüfung voraus, in diesem Fall wurde dieser Angeklagte schon durch die Politik begnadigt, bevor das Gericht über seine Prognose urteilen konnte. Ich sage, das war ein Eingriff in die Justiz.
Wentzien: Man konnte sich als Vertreter der Justiz auch dagegen nicht wehren?
Schaefgen: Dagegen kann man sich nicht wehren.
Wentzien: Haben Sie sich …
Schaefgen: Ich habe mich in einem Interview mit dem "Spiegel" dazu geäußert und bin deswegen diszipliniert worden.
Wentzien: Aber damit können Sie umgehen?
Schaefgen: Das kann ich, ja.
Von Macht und Missbrauch der Justiz
Wentzien: Haben Sie sich selbst verändert in den Jahren der Befassung mit dieser Arbeit, mit diesen Ermittlungen, auch mit diesen Blicken in Abgründe? Das ist natürlich immer eine schwierige Frage, wenn man die jemandem selber stellt, aber …
Schaefgen: Ich blicke wacher auf die Welt, als ich es vorher getan habe. Und insbesondere auf die Justiz in diktatorischen Ländern. Wir haben es ja versucht, die DDR-Richter auch dafür zu bestrafen, dass sie Lappalien mit Freiheitsstrafen ahndeten und dass sie Todesstrafen verhängten für Maßnahmen, für Verhaltensweisen, die keinen großen Schaden angerichtet hatten. Insoweit ist der Bundesgerichtshof auch uns gefolgt. Allerdings haben wir diesen Erfolg nicht in dem Maße erreicht, wie wir ihn erstrebt haben. Es sind nur 181 Richter, glaube ich, wegen Rechtsbeugung verurteilt worden. Wenn ich heute sehe, was getan wird, auch in demokratisch genannten Ländern, um die Justiz an die politischen Zügel zu legen – insbesondere in Polen, in Ungarn und in der Türkei –, dann weiß ich, welche große Macht die Justiz hat, um Freiheitsrechte durchzusetzen und zu schützen. Und dieser Missbrauch der Justiz, damit tue ich mich also sehr, sehr schwer. Ich weiß aber nicht, wie dem zu begegnen ist. Ich würde mir nur wünschen, dass sich wissenschaftliche Einrichtungen wie juristische Fakultäten an Hochschulen oder auch NGOs mal mit der Frage befassen würden, ob es nicht möglich ist, der geistigen Freiheit, die sich durch die Artikulierung von Kritik und anderen Gedanken äußert, auch einen strafrechtlichen Schutz zu bieten, wie sie die körperliche Freiheit im internationalen Völkerstrafrecht inzwischen auch hat.
Wentzien: Polen, Ungarn, Herr Schaefgen, kamen von dort jemals mal Fragen, wie macht ihr das mit juristischen Aufarbeitungen und können wir mal vorbeikommen und miteinander reden? Ich weiß aus dem Gefüge der Stasi-Unterlagenbehörde, dass dort sehr viele Anfragen aus Osteuropa kamen. Also, haben sich zum Beispiel Polen, ungarische Rechtsanwälte, Staatsanwälte an Sie gewandt, und gesagt, gebt uns Material, wir würden uns gerne reiben und auch mal orientieren, was das für uns und unsere Geschichte zu tun hat?
Schaefgen: Von offizieller Seite ist so etwas nach meinem Wissen und Erinnern nicht geschehen. Es gab und gibt in den anderen Ostblockstaaten natürlich viele private Initiativen, die sich damit beschäftigt haben, wie man mit der Vergangenheit umgeht. Mit denen stand ich auch vielfach in meiner aktiven Zeit und auch lange danach im Austausch.

Der Blick auf Polen und Ungarn

Wentzien: Sie haben es angesprochen: Was passiert da gerade in Ungarn und in Polen? Zwei Länder, Herr Schaefgen, wir erinnern uns – und hoffentlich wird das auch immer so sein –, die ja ganz wesentlich mit Ihrem Freiheitskampf für 1989 und das kleine deutsche Land ja auch entscheidend waren, für Rechtsstaatlichkeit, für Freiheit und für Demokratie. Können Sie sich diese Entwicklungen jetzt erklären?
Schaefgen: Also, es ist eine sehr schwere Frage. Und ich maße mir nicht an, darauf eine wirklich klärende Antwort geben zu können, aber es ist in den beiden Ländern jedenfalls so, dass die beiden Regierungs- und Ministerpräsidenten schon seit vielen Jahren an der Macht sind und sich auch an die Macht klammern. Wer einmal Macht hat, das ist meine Überzeugung, muss inhaltlich schon eine große Stärke haben, sie freiwillig wieder abzugeben. Ich sehe das Ganze als ein Instrument der Machtsicherung.
Viktor Orban und Mateusz Morawiecki begrüßen sich.
Ein neues Bündnis rechtsgerichteter Parteien in Europa
Die Ministerpräsidenten Ungarns und Polens, Viktor Orban und Mateusz Morawiecki, sowie der Chef der italienischen Lega Matteo Salvini getroffen streben ein politisches Bündnis rechtsgerichteter Parteien in der EU an.

"Ich glaube an die Stärke des demokratischen Rechtsstaat"

Wentzien: Ich würde Ihren Wunschtraum einer Weiterentwicklung bei der Befassung mit geistigen Rechten gerne in eine Schlussfrage münden lassen: Sind diese Entwicklungen in Ungarn und Polen und woanders, nicht nur in Europa, auf dieser Welt möglicherweise so etwas wie Polarisierung als Signatur? Und sind die Rechtspopulisten auf dem Vormarsch, und würden Sie sagen, zurück auf Ihre Geschichte bitte, dass möglicherweise die Entwicklung in Ost- und Westdeutschland die Ausnahme ist?
Schaefgen: Diese Frage wird ja in noch stärkerem Maße gestellt im Zusammenhang mit der Entwicklung von China. Das finde ich beängstigend, denn das wäre ein Systemfrage. Ich hoffe, dass der Westen mit seinen Werten, die ja alle in dem Recht des Individuums auf die Wahrung seiner Rechte sich gründen und nicht auf einem Kollektivrecht, dass die sich auch durchsetzen werden in dieser großen Auseinandersetzung. Ein Rückfall in Zeiten, wie wir sie mal im eigenen Land erlebt haben, befürchte ich persönlich nicht, auch wenn mir die Entwicklungen in den von Ihnen angesprochenen Staaten nicht gefallen und auch Sorgen machen. Aber ich glaube an die Stärke des demokratischen Rechtsstaats, dass er sich letztendlich immer durchsetzen wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.