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Genetische Mechanismen der Infektionen

Mikrobiologie. - Als vor mehr als 50 Jahren das Penicillin entdeckt wurde, glaubte man endlich am Ziel zu sein, den Kampf gegen die Bakterien gewinnen zu können. Eine Fehleinschätzung, denn Mikroorganismen lernen schnell, mit Antibiotika fertig zu werden. Wie sie das schaffen, war bislang nur in Umrissen bekannt. Seitdem es aber möglich ist, das Genom mit Hilfe der Sequenzierung vollständig zu erfassen, haben auch die Mikrobiologen ganz neue Einsichten in die Strategie pathogener Bakterien gewinnen können. So stand auf der Jahrestagung der "Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie" in Braunschweig das Thema "genetische Pathogenese" auf oben auf dem Programm.

Von Michael Engel | 31.03.2004
    Nur 5000 Bakterienklassen sind bis heute bekannt; bei 500.000 vermuteten Klassen eine eher kleine Zahl. Rund 200 dieser Organismen sind pathogen - sie machen Menschen, Tiere und Pflanzen krank - und nicht zuletzt deswegen zählen diese Bakterien zu den ersten, deren Erbgut komplett untersucht wurde.

    Die Bakterien sind ungeheuer trickreich und können genetische Informationen in hoher Frequenz austauschen. Diese Austauschprozesse passieren zufällig im Darm oder in der Umwelt, wo sich Bakterien aufhalten. Es gibt bestimmte genetische Einheiten, die ausgetauscht werden, diese Einheiten nennen wir auch "genomic islands", weil sie bestimmte Eigenschaften im Genom manifestieren.

    Die "genomic islands" - Inseln im Erbgut der Bakterien - spielen eine Schlüsselrolle bei der Anpassung an die Umwelt, sagt Professor Jörg Hacker vom Institut für Molekulare Infektionsbiologie der Universität Würzburg.

    Wir wissen eigentlich erst seit kurzem, dass bei den krankmachenden Bakterien diese Austauschprozesse eine ganz große Rolle spielen, um unterschiedliche Varianten und auch unterschiedliche Resistenzmuster auszubilden, gegen Antibiotika beispielsweise. Diese GEIs, diese "genomic islands", oder "pathogenicity islands" spielen eine große Rolle bei der Etablierung von Genomen, die dann für krankmachende Bakterien charakteristisch sind.


    "Genomic islands" liegen in den Randbereichen des bakteriellen Genoms. Rund 20 Prozent der Gene befinden sich in diesem "flexiblen Genpool" und können durch den so genannten "horizontalen Gentransfer" auch über Artgrenzen hinweg ausgewechselt werden. Gelangen fremde Gene ins Innere, werden andere dafür abgegeben. Medikamente, die mit diesen Genen interferieren - wie Antibiotika - können also schnell ins Leere stoßen. Anders ist die Situation im genetischen Kernbereich des Bakteriums. Dieser umfasst rund 80 Prozent des Genoms. Hier findet keinerlei Austausch von Genen statt, weil diese die Grundfunktionen des Bakteriums regeln. Professor Singh Chhatwal von der Gesellschaft für Biotechnologische Forschung macht sich die Erkenntnisse zunutze, um neue Vakzine zu entwickeln:

    Die Streptokokken haben sehr viele Faktoren, aber wegen des horizontalen Gentransfers können diese Faktoren nicht als Impfstoffkandidaten fungieren, weil es mehrere Hundert gibt. Deswegen untersuchen wir den Mechanismus, wie heften sich diese Bakterien an und wie gehen sie in die Zelle rein. Jetzt haben wir einen Faktor identifiziert, der sehr konserviert ist, aber trotzdem sehr wichtig für das Bakterium. Ohne diesen Faktor können sie nicht leben. Und wir benutzen jetzt diesen Faktor als einen Impfstoffkandidaten. Die Vorversuche sind sehr viel versprechend.

    Viel versprechend vor allem aber auch deshalb, weil die neuen Strategien unabhängig machen von Antibiotika, zumal viele Bakterien bereits multiresistent sind. Das Wissen über "genomic islands" steht am Anfang, etwa bei der Frage, wie Bakterien den Genaustausch eigentlich organisieren. In gewisser Weise "reden" Bakterien miteinander, sagt Professor Jörg Hacker.

    Da kennen wir im Einzelfall einige dieser Systeme, die wir hier beschreiben können. Man spricht von so genannten quorum sensing, dass Mikroorganismen in der Lage sind, ihre Anzahl, wenn man so will, zu messen, und nur wenn die Anzahl groß genug ist, werden bestimmte Faktoren produziert, dann wird auch Genaustausch in Gang gesetzt. Das ist eine relativ komplizierte Interaktion, die wir erst zu verstehen beginnen.

    Auch wenn die Erkenntnisse ganz neue Behandlungsmöglichkeiten gegen Infektionskrankheiten eröffnen, in einem Punkt sind die Mikrobiologen völlig überzeugt: Bakterien werden sich nicht so schnell geschlagen geben und neue Überlebensstrategien entwickeln. Professor Chhatwal hat die Formel bereits gefunden:

    Sie sind schlauer als der Mensch.