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Genfer See
Schwimmbad als Ort des Widerstands

Ein öffentliches Schwimmbad am Genfer See wird zum Zentrum des Widerstands gegen den Kapitalismus. Die von UNO und internationalen Konzernen beherrschte Stadt sieht sich der Gentrifizierung ausgesetzt. Die ärmere Bevölkerung kann sich ein Leben in Genf kaum noch leisten.

Von Werner Bloch | 03.08.2014
    Panorama der Stadt Genf, fotografiert von einem Boot aus
    Eine öffentliche Badeanstalt am Genfer See wehrt sich gegen die Gentrifizierung der Stadt. (picture-alliance/ dpa / Fredrik von Erichsen)
    Sechs Uhr morgens in Genf, eine Badeanstalt mit kleinen Sandstränden auf einer künstlichen Insel mitten im See, nur wenige Meter vom Zentrum und vom Hotel "Beau Rivage" entfernt. Hier beginnt jeden Morgen pünktlich ein Open-Air-Konzert, Klassik, Jazz, Weltmusik oder Chanson - mit Sonnenaufgang. Trotz der frühen Stunde kommen täglich rund 300 Zuhörer. Das Ganze ist gratis, einen Kaffee bekommt jeder umsonst und schon wegen der einmaligen Atmosphäre zwischen Ruderbooten, Enten und ersten Sonnenstrahlen sind diese Konzerte ganz besonders.
    Genf gilt als drittteuerste Stadt der Welt
    Das "Bain de Paquis" ist in Genf eine Institution. Es bedeutet zugleich Widerstand gegen eine internationale, von UNO und Konzernen beherrschte Stadt, die als drittteuerste der Welt gilt. In der Badeanstalt, die sich senkrecht ans Zentrum von Genf andockt, im eleganten und zugleich natürlichen Ambiente, treffen sich Menschen, die nicht damit einverstanden sind, dass die kleine Weltstadt am Genfer See immer weiter gentrifiziert wird.
    Das Bad sollte Ende der Achtzigerjahre auch schon einmal abgerissen werden, Luxusbäder mit Warmbecken entstehen. Doch die Einwohner wehrten sich, bei einer Volksabstimmung mit "fast sowjetischem Ausgang", wie der Leiter Philippe Constantin erzählt, von über 80 Prozent wurden die Pläne eines Großinvestors abgelehnt.
    Kultur zum Niedrigpreis
    Man sehe sich selbst ein wenig als "gallisches Dorf", sagt Constantin. Statt des Großprojekts sanierte sich das Bad selbst, ist heute soziale Anlaufstation und Lebensort aller Schichten in Genf. Ganzjährig geöffnet, im Winter gibt es hier Sauna und Hamam, ist es im Sommer Ort eines zwanglosen und doch auf seine Art feinen Lebensstils. Ganze zwei Franken kostet der Eintritt tagsüber, die Morgenkonzerte sind frei.
    Geht das, ein Konzert um sechs Uhr morgens, das pünktlich um sieben Uhr endet? Kann man an einem Strand zum Sonnenaufgang großartige Musik machen? Er komme wegen der "Schönheit des Ortes", sagt ein Mann, der nach dem Konzert gleich baden geht. "So früh am Morgen ist alles anders, die Musik, die Geräusche, die Tier- und Pflanzenwelt. Das Konzert versetzt mich in gute Laune für den ganzen Tag."
    Konzept gegen den Kapitalismus funktioniert
    Aber auch die Musiker sind begeistert, egal ob sie Lieder von Kurt Weill singen oder afrikanische Tanzmusik darbieten. Colette Grand etwa war in den Achtzigerjahren Hausbesitzerin, heute verdient sie ihr Geld als Designerin, ist aber auch in der Schweiz eine bekannte Sängerin und erfreut sich besonders an Brecht und Weill.
    Das Erstaunliche: Es funktioniert. "Es geht hier um mehr als um Musik", sagt Philippe Constantin, der Vorsitzende der "Association des Usagers du Bain de Paquis", denn das Bad wird von seinen Benutzern selbst verwaltet. "Jeder kann zu uns kommen, und es ist erstaunlich, welche Atmosphäre sich bei uns bildet - in einer Gegenwelt zum Kapitalismus, wie er überall in Genf um sich gegriffen hat."