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Geniale Filmmusik ohne Bilder

Als Edward Elgar im Jahr 1857 im nordwestlich von London gelegenen Worcester geboren wird, scheint es im britischen Imperium um die Kunst der Musik eher schlecht bestellt. Zwar liebt man zeitgenössische Künstler aus Kontinentaleuropa. Doch einen eigenen Komponisten von Rang hatte England zuletzt 200 Jahre zuvor mit Henry Purcell hervorgebracht.

Autor: Stefan Zednik | 23.02.2009
    Auch für Edward Elgar, Sohn eines Orgel spielenden Musikalienhändlers, sind die Bedingungen für eine musikalische Ausbildung ungünstig.

    "Als ich mich entschieden hatte, Musiker zu werden blieb mir nur übrig, mich selbst zu unterweisen. Ich sah und lernte einen Großteil über Musik durch die Flut an Musikstücken, die durch die Firma meines Vaters gingen. Ich las alles, spielte alles und hörte alles, was ich bekommen konnte. Ich bin ein Autodidakt auf dem Gebiet der Harmonie, des Kontrapunkts, der Form, und kurz gesagt, bei allem, was das "Geheimnis" der Musik ausmacht."

    Elgar lernt mehrere Instrumente, spielt in den verschiedensten Besetzungen und dirigiert mit 22 Jahren zum ersten Mal das örtliche Laienorchester. Er veröffentlicht kleine Kompositionen und bringt es zu – allerdings nur lokaler – Bekanntheit. 1889 heiratet der 32-Jährige seine um acht Jahre ältere Klavierschülerin Caroline Alice Roberts. Sie unterstützt seine musikalischen Ambitionen und setzt entscheidende Impulse: Elgar gibt das Unterrichten auf und konzentriert sich auf das Komponieren. Gemeinsam verlassen sie die Provinz und übersiedeln nach London. Hier schreibt er eine Reihe von Orchesterstücken, die 1899 unter dem Bayreuth-Erfahrenen deutschen Dirigenten Hans Richter uraufgeführt werden.

    "Die Variationen haben mir Spaß gemacht, weil ich sie mit den Spitznamen einiger besonderer Freunde überschrieben habe. Ich habe mir dabei einfach versucht vorzustellen, wie der oder die "Beteiligte" die Variation geschrieben hätte – wenn er oder sie dumm genug gewesen wäre, zu komponieren."

    Denn, so seine Klage, durch Musik ließen sich kaum nennenswerte Einkünfte erzielen. Mit dem "Enigma-Variationen" betitelten Werk steht Elgar ab sofort in der vordersten Reihe britischer Komponisten. Er hat einen eigenen Stil entwickelt: Die Verbindung eines kammermusikalischen, persönlichen Tones mit der Form der großen Symphonie, beseelt von einem enormen melodischen Einfallsreichtum. Er schreibt Lieder, Oratorien, Symphonien, erlebt die fruchtbarste Periode seines musikalischen Schaffens. Doch das Jahr 1914 ist für Elgar ein Schock. Unter dem Eindruck des Krieges gegen das Deutschland, dessen Musiktradition er liebt, das er mehrfach besucht und in dem zahlreiche seiner Werke erfolgreich aufgeführt worden sind, komponiert er ein Cellokonzert, das heute zum Standardrepertoire für dieses Instrument zählt. Ein Jahr nach der Uraufführung im Jahr 1919 stirbt Lady Alice Elgar, seine Frau.

    "Alles, was ich getan habe war nur ihr zu verdanken, und ich bin im Augenblick ein trauriger und gebrochener Mann – wie gelähmt."

    Der mittlerweile geadelte und hochgeehrte "Sir" Edward Elgar beschäftigt sich fortan vor allem mit der Aufführung der eigenen Werke. Seine Popularität wächst ständig, seine Musik wird mehr und mehr zum Synonym für einen spezifisch englischen Klang. Die zeitgenössische Musikkritik dagegen betrachtet ihn zunehmend als Komponisten, der einer bereits vergangenen Welt angehört.

    Und in der Tat sind es vor allem Militärmärsche, mit denen sich der am 23. Februar 1934 verstorbene Elgar ins Bewusstsein der Weltmusik eingeschrieben hat. Insbesondere mit einer Melodie, die zu einer Art zweiten Nationalhymne des Königreichs wurde. Es ist, als ob das große Gefühlskino der 40er und 50er Jahre vorausgenommen wäre. Geniale Filmmusik – noch ganz ohne Bilder.