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Genklempner vor Ort

Medizin.- Oftmals führte eine Gentherapie in der Vergangenheit nicht zur gewünschten Heilung. Das liegt auch daran, dass die Gentherapeuten bislang mit einer Art Schrotschussverfahren gearbeitet haben: Die therapeutischen Gene landeten irgendwo im Erbgut, nur nicht dort, wo sie hin sollten. Eine neue Methode soll mehr Präzision ermöglichen.

Von Volkart Wildermuth | 27.06.2011
    Ein kleiner Schnitt, ein Kratzer, ein blauer Fleck. Für Menschen mit der Hämophile B eine ernste Gefahr. Statt zu verschorfen, bluten ihre Wunden immer weiter. Der Grund: Mutationen im Gen für den sogenannten Faktor IX, der in der Blutgerinnung eine zentrale Rolle spielt. Heute ist es möglich, den fehlenden Faktor IX vorbeugend zu spritzen. Das aber ist belastend und teuer. Eine Alternative wäre, mithilfe von speziellen Viren zusätzliche, gesunde Faktor-IX-Gene in die Zellen zu übertragen. Damit wäre der Defekt dauerhaft ausgeglichen.

    An dieser Form der Gentherapie forschen viele Wissenschaftler, ganz vorne dabei Dr. Katherine High vom Howard Hughes Medical Insitute in Philadelphia. In ersten Studien an Hämophilie B Patienten wurde die Gentherapie zwar gut vertragen, die heilenden Gene waren aber nur für kurze Zeit oder in geringer Menge aktiv. Ein Grund:

    "Man kann man nicht beliebig viel genetische Information in die Viren packen. Deshalb fehlen viele Steuerelemente, die in ihren oder meinen Zellen da sind."

    Und die heilenden Faktor-IX-Gene sind nicht lange aktiv. Katherine High erprobt deshalb einen neuen Ansatz. Sie will nicht einfach mithilfe von Viren zusätzliche Faktor IX Gene irgendwo in die Zellen bringen. Sie will das kranke Gen selbst reparieren.

    "Wenn man das Gen direkt im Erbgut der Leberzellen repariert, funktionieren die normalen Steuerelemente weiter. Das ist ein Vorteil."

    Diese Reparatur vor Ort bietet auch einen Sicherheitsgewinn: Bei manchen Formen der klassischen Gentherapie werden die künstlichen Gene zufällig ins Erbgut eingebaut. Dabei können sie gesunde Gene zerstören, gelegentlich lösen sie sogar Krebs aus. Theoretisch ist die Genreparatur vor Ort also attraktiv, offen war aber, ob sie sich auch praktisch umsetzen lässt. Katherine Highs Ansatz geht dabei in zwei Schritten vor. Die dafür nötigen Werkzeuge werden von harmlosen Viren in die Zellen transportiert.

    "Das erste Virus enthält eine Zink-Finger-Nuklease, eine Art Schere, die die DNA an einer definierten Stelle zerschneidet."

    Und zwar genau vor dem Fehler im Erbgut. Solche Brüche in der DNA entstehen immer mal wieder, die Zellen besitzen deshalb ein ganzes Arsenal an Reparaturmöglichkeiten. Bei einer wird eine intakte Kopie des Gens als Vorbild für die Reparatur der Lücke genutzt. Normalerweise fehlt bei der Hämophilie B ein intaktes Faktor-IX-Gen, deshalb liefert es Katherine High mit ihrem zweiten Virus von außen zu.

    "In dem zweiten Virus steckt eine gesunde Kopie des Gens. Sie hat Anschlusstücke, die genau an den Rand der Lücke passen. Deshalb wird unser Gen von den Reparaturmechanismen verwendet. Also wir setzen gezielt eine Lücke und die gesunde Version wird eingebaut. Die ursprüngliche Mutation ist zwar noch da, wird aber nicht länger benutzt."

    Besonders elegant: Die Methode funktioniert, egal welche der vielen Mutationen im Faktor-IX-Gen vorliegt. Schließlich wird die gesunde Genversion zwischen den Steuersequenzen und dem defekten Bauplan für den Faktor IX eingebaut. Ihren Ansatz hat Katherine High zunächst an Mäusen mit der Bluterkrankheit erprobt. Sie bekamen die beiden Viren gespritzt, die sich dann in den Leberzellen ansammelten.

    "Die Zink-Finger-Scheren sind sehr effektiv, sie zerteilen die DNA in fast der Hälfte der Leberzellen. Unsere gesunde Genversion wurde dann in drei bis sieben Prozent der Zellen eingebaut. Im Blut fanden sich entsprechend etwa drei bis sieben Prozent der normalen Faktor-IX-Menge. Das reicht, um eine schwere Bluterkrankheit in eine milde Form zu überführen."

    Bei der Bluterkrankheit muss der Gendefekt nicht komplett ausgeglichen werden, schon kleine Verbesserungen haben für die Patienten eine große Bedeutung. Bislang hilft die Gentherapie vor Ort allerdings nur Mäusen. Und die sind so klein, das bei ihnen sehr viele Behandlungsverfahren funktionieren, die dann später am Menschen wenig bewirkten. Deshalb will Katherine High ihr Konzept als nächstes an Hunden erproben.

    "Wissen Sie, Mäuse wiegen 25 Gramm, Hunde 20 Kilo. Wenn uns das in einem 20-Kilo-Hund gelingt, dann ist es wahrscheinlich auch in Menschen möglich."

    Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Ob sich die Gentherapie vor Ort letztlich durchsetzt ist ungewiss. In Philadelphia, am Labor von Katherine High, werden aber viele Ansätze der Gentherapie erprobt. Sie ist sich sicher, einer davon wird einmal Bluter heilen können.