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Genmais
Die Pflanze leidet unter dem Eingriff

Ungefähr 80 Prozent des in Brasilien angebauten Mais ist gentechnisch verändert. Eine Wissenschaftlerin dort hat nun sehr differenziert untersucht, wie sich die Genmanipulation auf die Pflanze auswirkt - mit überraschenden Ergebnissen, denn die Pflanzen bilden wohl zusätzliche Eigenschaften aus.

Von Gudrun Fischer | 11.08.2015
    In einem biotechnologischen Labor an der staatlichen Universität von Florianópolis im Süden Brasiliens zieht die Biologin Sarah Agapito-Tenfen ein Gestell aus einem Schüttelschrank. Es sieht aus wie ein Fach aus einer Spülmaschine. Darin stehen Reagenzgläser mit einer wässrigen Flüssigkeit. Die Schüttelmaschine hält die Suspensionen in den Gläsern gleichmäßig in Bewegung. Der Raum ist abgedunkelt und auf 25 Grad temperiert. In den Reagenzgläsern sind Zellen von gentechnisch veränderten Maispflanzen gelöst.
    "Wir schütteln im Dunkeln, damit sich kein Chlorophyll oder andere sekundäre Stoffwechselprodukte bilden. Wir interessieren uns für das Proteom, die Gesamtheit aller Proteine der Pflanze. Bei Tests zur Verträglichkeit von gentechnisch verändertem Mais konzentriert man sich normalerweise immer auf das neu eingebaute Gen und das Protein, das es erzeugt - zum Beispiel, um herauszufinden, ob es Allergien auslöst. Wir gehen einen anderen Weg. Wir schauen, ob das neu eingebaute Gen bewirkt, dass die normalen Proteine der Pflanze anders aussehen. Auch das könnte Allergien hervorrufen."
    Vergleich von verschiedenen Sorten
    Sarah Agapito-Tenfen untersuchte insgesamt fünf Sorten von Maispflanzen: Erstens einen gentechnisch veränderten Mais, der eine Resistenz gegen das glyphosathaltige Herbizid Roundup Ready aufweist. Zweitens einen gentechnisch veränderten Mais, der ein Gift gegen Raupen produziert. Er heißt "Bt-Mais". Die Abkürzung Bt steht für Bazillus thuringiensis, weil aus dieser Bakterie das Gen für das Raupengift stammt. Außerdem untersuchte die Biologin einen Mais, der beide neuen Eigenschaften in sich trägt. Sie verglich diese drei Sorten mit einem konventionellen Mais und zusätzlich mit einer alten, lokalen Sorte. Der Biologe Broder Brekling, der sich an den Universitäten Vechta und Bremen mit der Überwachung gentechnisch veränderter Pflanzen befasst, hat sich Sarah Agapito-Tenfens Arbeit angesehen
    "Sie ist so vorgegangen, dass sie die verschiedenen Pflanzen unter identischen Gewächshausbedingungen angebaut hat. Und hat aus diesen Pflanzen Proben genommen, hat die sofort eingefroren und dann die funktionellen Eiweiße extrahiert. Es gibt mehrere Tausend verschiedene Proteine in der Zelle, die ganz verschiedene Eigenschaften haben. Und da hat sie 22 dieser Proteine extrahiert. Da hat sie festgestellt, dass Pflanzen mit ansonsten gleichem genetischem Hintergrund mit einem Transgen oder mit mehreren Transgenen sich unterscheiden hinsichtlich ihrer Stoffwechseleigenschaften, die mit dem Transgen eigentlich gar nichts zu tun haben. Dazu gibt es bisher wenige Untersuchungen. Und dies ist eine der ersten und eine der differenziertesten, die vorgelegt wurde."
    Unterschied ist eine Überraschung
    Dass sich gentechnisch veränderte Sorten im Proteingehalt von identischen konventionellen Pflanzen unterscheiden, ist eine Überraschung. In der Folge weisen auch Pflanzen, bei denen mehrere Gene modifiziert wurden, ein verändertes Proteom auf. In Brasilien lässt eine Biosicherheitskommission gentechnisch veränderte Pflanzen zu. Sie geht bisher davon aus, dass eine Pflanze mit einer gentechnisch veränderten Eigenschaft A, gekreuzt mit einer Pflanze mit der gentechnisch veränderten Eigenschaft B, die neuen Eigenschaften zu AB bündelt. Deswegen, so das Expertengremium, seien keine weiteren Tests nötig. De facto entstehe bei der Kreuzung aber offenbar die neue Eigenschaft C, so Agapito-Tenfen:
    "Wir hatten bereits Hinweise, dass gentechnisch veränderte Pflanzen auf abiotischen Stress anders reagieren. Dass sie bei starkem Wind eher umknicken. Es könnte also sein, dass sie ihre Zellwände weniger stabil ausbilden. Doch keine Genehmigungsbehörde ließ das je untersuchen. Wir haben nun herausgefunden, dass die gebräuchlichen Proteine in der gentechnisch veränderten Pflanze in anderen Mengen vorkommen als in der konventionellen Pflanze. Deswegen ist dann der Energiehaushalt, also wie die Pflanze Kohlenstoff und Stickstoff verarbeitet, bei beiden Pflanzen unterschiedlich."
    Agapito-Tenfens Hypothese lautet, dass die künstlich eingebauten Gensequenzen die Pflanzen Energie kosten. Und dass auch deswegen das Proteom anders ist. Die Biologin veröffentlichte ihre Arbeit in der Zeitschrift "BMC Plant Biology".
    "Ich fand es eine ausgesprochen fleißige Arbeit, sehr aufwendig und sehr gründlich gemacht. Wenn es solche Unterschiede gibt, ist es aus wissenschaftlicher Sicht immer wünschenswert, zu verstehen, was sie tatsächlich bewirken. Gerade, wenn es um Pflanzen geht, die nicht im Labor gehalten werden sollen, sondern Pflanzen, die eine ganz wesentliche Grundlage für die Welternährung darstellen. Wie der Mais. Aus meiner Sicht wäre es sehr wünschenswert, wenn diese Art von Untersuchung Grundlage zur Beurteilung neu zuzulassender Pflanzen werden würde. Wenn nicht nur Summenparameter wie Vitamingehalt, Stärkegehalt oder sonstige Ertragsparameter im Mittelpunkt stehen, sondern man sich tatsächlich physiologische Abläufe in transgenen Pflanzen genauer anschauen würde."
    Eines der großen Probleme in Brasiliens Landwirtschaft ist, dass das Bt-Gift im gentechnisch veränderten Mais nicht mehr zuverlässig gegen Raupen wirkt. Sarah Agapito-Tenfens Forschungsarbeit liefert eine mögliche Erklärung: Die Konzentration des Bt-Gifts im Mais könnte zu niedrig sein. Es müssten weitere Untersuchungen folgen.