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Genügend Platz für Wirtschaftsliberalismus im Parteienwettbewerb

Der Wähler werde immer unberechenbarer und reagiere situativer, sagt der Trierer Politik-Professor Uwe Jun. Bei Wahlen seien künftig viele verschiedene Regierungskonstellationen möglich, nach wie vor auch Zweier-Bündnisse, zum Beispiel Rot-Grün. Auch die FDP sei noch nicht tot.

Uwe Jun im Gespräch mit Martin Zagatta | 27.03.2012
    Dirk Müller: Die Große Koalition wird kommen im Saarland, keine große Überraschung nach dem Ergebnis an diesem Sonntag. Spannender für die Beobachter hingegen wohl der große Erfolg der Piraten und die desaströse Niederlage der FDP. Mein Kollege Martin Zagatta hat über die Saar-Wahlen und die Konsequenzen mit dem Trierer Politikwissenschaftler Uwe Jun gesprochen. Inwieweit hat das Ergebnis im Saarland Auswirkungen auf die Bundespolitik?

    Uwe Jun: Ich glaube, wenig. Es war sehr stark geprägt von landesspezifischen Besonderheiten, von der Aussage der Großen Koalition beider Parteien, sowohl SPD als auch CDU vor der Wahl. Von Oskar Lafontaine, der immer noch eine starke Rolle im Saarland einnimmt und immer noch hohe Popularitätswerte genießt, und einer in einem schlechten Zustand sich befindenden saarländischen FDP, die von Personalquerelen arg gebeutelt war und dem Bundestrend noch mal was draufgesetzt hat, was die fehlende Popularität oder Akzeptanz derzeit bei den Wählern betrifft. Lediglich die Piraten, die haben vom Bundestrend profitiert, von der medialen Aufmerksamkeit, die ihnen derzeit zuteil wird, dem anders sein und davon, dass die Wähler eben genau danach im Moment (zumindest ein Teil der Wähler) nachgefragt haben.

    Martin Zagatta: Und die sind ja mit der große Gewinner dieser Wahl. Wenn man über den Tag hinausblickt, gibt es denn dann neben der Piratenpartei aus Ihrer Sicht überhaupt einen Gewinner? Denn realistisch gesehen hat die CDU zwar gewonnen, aber jetzt ja auch nur noch einen Koalitionspartner, nämlich nur noch die SPD.

    Jun: Richtig, sie ist in einer strategisch schwierigen Position. Das wusste Frau Kramp-Karrenbauer. Ihr Mut ist allerdings letztlich belohnt worden mit dieser Neuwahl und der anschließenden Möglichkeit, jetzt das Amt der Ministerpräsidentin in einer stabilen Koalition behalten zu können. Insofern kann man noch Frau Kramp-Karrenbauer persönlich als Gewinnerin dieser Wahl ansehen.

    Zagatta: Und bundespolitisch?

    Jun: Bundespolitisch gibt es da sicherlich keine großen Gewinner. Nun werden sicherlich auch die Grünen sehen, dass es mit den fünf Prozent für sie auch kein großer Erfolg ist. Sie sind zwar wieder in den Landtag eingezogen, aber sie zahlen doch noch die Zeche für die Jamaika-Koalition und gleichzeitig müssen sie erkennen - und das ist vielleicht auch ein bundespolitischer Trend -, dass ihr Hoch, was wir noch im letzten Jahr gesehen haben, doch ein vorläufiges Hoch war und sie jetzt wieder in normaleren wahlpolitischen Zeiten ankommen.

    Zagatta: Bedeutet das auch, wenn gleichzeitig die Piratenpartei derart im Aufwind ist, dass das in Zukunft rot-grüne Mehrheiten fast unmöglich macht?

    Jun: Ich glaube, das kann man so nicht sagen. Wenn wir etwa derzeit die Wählerumfragen in Nordrhein-Westfalen uns angucken, dann würde es da ja für eine SPD-Grüne-Mehrheit noch reichen. Was man nur sagen kann, ist, dass der Wähler immer unberechenbarer wird, immer situativer reagiert, und diese situativen Reaktionsweisen, die können dann auch völlig andere Koalitionskonstellationen, auch möglicherweise mal Zweierkonstellationen, eben SPD und Grüne, ermöglichen. Je nachdem wie gerade die Stimmungslage beim Wähler ist in der Bevölkerung, da können sich dann so Ad-hoc-Mehrheiten auch in den Ländern bilden und möglicherweise auch im Bund, je nach Stimmungslage, die dann bei der Bundestagswahl vorherrschen könnte.

    Zagatta: Jetzt ist die FDP die ganz große Verliererin dieser Wahl. Ist die FDP für Sie tot? Sie war ja schon so oft totgesagt.

    Jun: Sie ist noch nicht endgültig tot und man wird auch sehr gespannt darauf blicken, wie die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und eine Woche davor in Schleswig-Holstein ausgehen werden. Wenn allerdings sie dort in beide Landesparlamente nicht einzieht, ich glaube, dann kann auch die FDP nicht mehr umhin, wohl eine der größten Krisen ihrer Parteigeschichte zu konstatieren. Aber ich glaube, dass für den Liberalismus, auch für den Wirtschaftsliberalismus genügend Platz im Parteienwettbewerb wäre, wenn man den Wirtschaftsliberalismus klarer akzentuiert und ihn nicht nur einseitig auf etwa die Frage von Steuersenkungen reduziert. Man müsste ihn noch kombinieren tatsächlich mit einem bürgerlichen Verständnis von Liberalismus.

    Zagatta: Aber dann müsste sich die FDP jetzt auch stärker profilieren. Einige befürchten ja jetzt in der Koalition, dass die FDP sogar Amok laufen könnte aus dieser Nervosität heraus. Wie sehen Sie das?

    Jun: Es ist ja schon seit einiger Zeit beobachtbar, dass die FDP mit dem Rücken zur Wand Handlungen vollzieht, die sie sicherlich vor einiger Zeit noch nicht vollzogen hätte - denken Sie etwa an die Nominierung von Joachim Gauck zum Präsidentschaftskandidaten. Denken Sie auch an die Frage, dass die FDP ungewöhnlicherweise nun die Praxisgebühren abschaffen möchte, oder für die Abschaffung der Praxisgebühren eintritt, gegen die Mehrheitsmeinung innerhalb der Union. So haben sie jetzt schon verschiedene Punkte, ich habe zwei genannt, man könnte auch Vorratsdatenspeicherung und andere nennen, wo offenkundig jetzt die FDP versucht, sich gegen die CDU, gegen die Union zu profilieren, um beim Wähler wieder besser ankommen zu können.

    Zagatta: Herr Professor Jun, wenn es nicht noch ganz große Überraschungen gibt bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr, geht es dann eigentlich nur noch darum, wer stärkste Partei wird in einer Großen Koalition?

    Jun: Das sehe ich wie gesagt aufgrund dessen, dass der Wählermarkt fluider geworden ist, dass der Wähler unberechenbarer wird und immer situativer reagiert, nicht so. Es sind da verschiedene Konstellationen durchaus noch denkbar. Wie gesagt: Natürlich ist eine Große Koalition immer eine denkbare Alternative und die letzte Große Koalition hat ja entgegen vieler Unkenrufe im politischen Alltag doch ganz gut funktioniert. Insofern werden auch diese beiden oder drei Parteien weiterhin diese Möglichkeit sich offen halten. Aber auch andere Konstellationen wären in der derzeitigen Situation denkbar, beispielsweise dass eben doch, je nachdem wie die politische Lage aussieht, eine rot-grüne Option sich auftut. Jedenfalls wäre das eine Prognose, die ich mal an dieser Stelle wage.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.