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"Geordnete-Rückkehr-Gesetz"
"Abschiebungen werden seit Jahren torpediert"

Alexander Mitsch, der Vorsitzende der Werteunion, hat die Abschiebepolitik in Deutschland als zu schwach kritisiert. Die Zahl der Abschiebungen stagniere seit Jahren, sagte der CDU-Politiker im Dlf. Dies werde sich auch durch neue Gesetze nicht ändern, da viele Personen am Abschiebetag einfach verschwänden.

Alexander Mitsch im Gespräch mit Martin Zagatta | 16.05.2019
Ein Stempel mit der Überschrift "Abgeschoben" in einem serbischen Pass.
Ein Stempel mit der Überschrift "Abgeschoben" in einem serbischen Pass. (picture alliance / dpa / Sebastian Willnow)
Martin Zagatta: Nachdem die Union beim Fachkräfte-Einwanderungsgesetz dem Koalitionspartner SPD in vielem nachgegeben hat, läuft es heute umgekehrt. Der Bundestag beschäftigt sich mit dem "Geordnete Rückkehr-Gesetz", mit dem Innenminister Seehofer Abschiebungen erleichtern und beschleunigen will.
Der Opposition und nicht wenigen in der SPD geht Seehofers Abschiebegesetz viel zu weit. In den Reihen von CDU und CSU hätten sich viele allerdings weit härtere Maßnahmen gewünscht. Zu den Kritikern dieses "Geordnete Rückkehr-Gesetzes" gehört auch die Werteunion, ein bundesweiter Zusammenschluss von Mitgliederinitiativen in der CDU und in der CSU. Alexander Mitsch, der Vorsitzende der Werteunion ist jetzt am Telefon. Guten Tag, Herr Mitsch!
Alexander Mitsch: Einen schönen guten Tag, Herr Dr. Zagatta.
"Dass Recht wird nicht durchgesetzt"
Zagatta: Herr Mitsch, Innenminister Seehofer sagt ja, mit den Neuregelungen würden Abschiebungen jetzt erleichtert und beschleunigt. Wieso sprechen Sie von einem weichgespülten Gesetz?
Mitsch: Es stimmt, das Gesetz ist ein erster richtiger Schritt in die richtige Richtung. Aber dieser erste Schritt reicht bei weitem nicht aus.
Wenn man sich anschaut: Wir haben in Deutschland etwa eine Viertelmillion Ausreisepflichtige, und die Zahl der Abschiebungen stagniert seit Jahren bei rund 25.000 pro Jahr. Das heißt, wir bräuchten, selbst wenn keine weiteren Abschiebefälle dazukämen, ungefähr zehn Jahre, um diesen Berg abzuarbeiten. Das heißt auch, dass das Recht, was wir im Grunde haben in Deutschland, nicht durchgesetzt wird, und das halte ich für ein Armutszeugnis für den Rechtsstaat.
Wenn man jetzt dieses Thema angeht mit diesem "Geordnete Rückkehr-Gesetz", dann blockiert hier die SPD und die Union gibt im Kabinett nach.
Beispiel, Thema Abschiebehaft: Viele Abschiebungen scheitern daran, dass die Leute, die abgeschoben werden sollen, schlicht und einfach verschwinden am Abschiebetag. Die SPD hat jetzt dafür gesorgt, dass die Fluchtgefahr als Grund für Abschiebehaft nicht vorkommt. Das ist aus meiner Sicht ein Weichspülen und die Union hat das im Kabinett leider mitgemacht.
Zagatta: Warum? Was glauben Sie? Warum macht die Union das mit? Sie muss doch auf den Koalitionspartner Rücksicht nehmen.
Mitsch: Genau! Das ist das Thema. Man hat hier die Koalitionsdisziplin, den Koalitionsfrieden anscheinend über das Thema der Problemlösung gestellt, was wir für falsch halten.
Wir haben jetzt die große Chance, mit diesem neuen Gesetz, was ja übrigens ein Gesetzespaket ist, einige Probleme zu lösen, und die dürfen wir uns jetzt nicht dadurch aus der Hand nehmen lassen, dass an dieser Stelle zu viel Rücksicht auf den Koalitionspartner SPD genommen wird, der hier versucht, dieses Gesetz oder mehr Abschiebungen letztendlich zu blockieren.
07.04.2018, Baden-Württemberg, Schwetzingen: Alexander Mitsch, Bundesvorsitzender der "WerteUnion", steht vor der Jahrestagung des konservativen CDU-Flügels "WerteUnion" am Palais Hirsch. 
Alexander Mitsch, Bundesvorsitzender der "WerteUnion" (picture-Alliance / dpa / Uwe Anspach)
Zagatta: Aber abgelehnte Asylbewerber beispielsweise in Haftanstalten unterzubringen, um sie effektiver abschieben zu können, da sagen ja Kritiker jetzt schon, das verstoße gegen europäisches Recht. Sie selbst nennen sich Werteunion. Haben Sie da keine Bauchschmerzen?
Mitsch: Ich habe dann Bauchschmerzen vor allen Dingen, wenn wir in Deutschland nach wie vor zu viele Ausreisepflichtige haben, die nicht abgeschoben werden. Das widerspricht meinen Werten, das widerspricht dem Thema, dass wir einen Rechtsstaat haben sollten.
Wenn wir wissen, dass Abschiebungen seit Jahren konsequent torpediert werden und auch viele einfach daran scheitern, dass wir zu wenig Abschiebekapazitäten haben, dann müssen wir uns überlegen, wie wir dieses Thema angehen können.
Zagatta: Haben wir da eine Herrschaft des Unrechts?
Mitsch: Wenn Sie so wollen, haben wir hier eine Toleranz gegenüber dem nicht Durchsetzen von Recht, und das ist eine Toleranz im Grunde gegenüber dem Unrecht.
"Seehofer hat zu wenig Durchsetzungskraft"
Zagatta: Das hat ja Horst Seehofer seinerzeit bemängelt. In der Vergangenheit hat die Werteunion die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel immer wieder kritisiert und sich hinter Seehofer gestellt. Sehen Sie das jetzt nicht mehr so?
Mitsch: Wir stellen fest, dass Herr Seehofer hier auf dem richtigen Weg ist, aber einfach zu kleine Schritte macht. Er hat zu wenig Durchsetzungskraft.
Aber was wir auch feststellen: Er bekommt anscheinend zu wenig Unterstützung durch die Kanzlerin in dieser Frage. Die Kanzlerin müsste ihre Richtlinienkompetenz hier deutlich nutzen, um das Problem der zu wenigen Abschiebungen anzugehen beziehungsweise Herrn Seehofer da den Rücken zu stärken.
Zagatta: Aber eine schärfere Abschiebepolitik, eine schärfere Asylpolitik scheitert ja - Sie haben das ja selbst gesagt - am Widerstand des Koalitionspartners. Können Sie denn da in einer Großen Koalition mehr erwarten? Da muss man sich doch auf Kompromisse einlassen.
Mitsch: Das ist richtig. Man muss sich auf Kompromisse einlassen. Aber es gibt natürlich Fragen, die von enormer Wichtigkeit sind. Dazu gehört das Thema Einwanderungspolitik. Das ist das Thema Nummer eins, was die Menschen beschäftigt. Wir müssen an dieser Stelle dann als Union auch klare Kante zeigen und den Bürgern auch klarmachen, warum sie Union wählen sollen, welche Position die Union vertritt, und wer derjenige ist, der blockiert.
Es gibt einfach Themen, da muss sich die Union durchsetzen. In anderen Themen mussten wir ja auch nachgeben. Ich erwarte einfach, dass wir hier mehr Mut und Entschlossenheit haben und den Koalitionsfrieden nicht über die Problemlösung stellen.
"Die Große Koalition hat sich irgendwo festgefahren"
Zagatta: Wenn Sie sagen, das ist nach wie vor das Thema Nummer eins für Sie, das wichtigste Thema, müsste man dann aus Sicht der Union zur Not auch die Koalition platzen lassen, wenn man da nicht weiterkommt mit der SPD?
Mitsch: Na ja. Wir haben ja auch in vielen anderen Bereichen Dauerprobleme in der Großen Koalition. Beispielsweise haben wir ja die höchste Steuer- und Abgabenlast in Deutschland, zusammen mit Belgien, von allen OECD-Staaten. Auch dieses Thema ist ungelöst. Das heißt, die Große Koalition hat sich letztendlich doch irgendwo festgefahren.
Sie ist nicht mehr in der Lage, Probleme zu lösen, und dieser Stillstand muss aufgelöst werden. Entweder wir schaffen es, in den wichtigen Fragen eine Bewegung wieder hinzubekommen, oder aber man muss dann auch personelle Konsequenzen ziehen und das Kabinett umbilden, um auf die Weise den Stillstand aufzulösen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel betrachtet am 19.08.2017 in Ahrenshoop (Mecklenburg-Vorpommern) im Kunstmuseum einen Raum, in dem Exponate der Ausstellung "Ikemura und Nolde" hängen.
Was passiert mit Bundeskanzlerin Angela Merkel nach der Europawahl? (dpa)
Zagatta: Wenn Sie sagen, personelle Konsequenzen, dann haben Sie ja in der Vergangenheit immer wieder den Abgang von Angela Merkel gefordert. Wäre da jetzt der richtige Zeitpunkt, oder was stellen Sie sich da vor?
Mitsch: Ich denke, dass nach der Europawahl sich viele Diskussionen stellen und dass wir nach der Europawahl dieses Thema angehen müssen mit der personellen Erneuerung.
Ich glaube, dass es ein großer Fehler war, zum Beispiel Herrn Merz nicht ins Kabinett zu nehmen schon vor einigen Monaten. Das hätte sicherlich Stillstand auflösen können in Sachen Sozialabgaben und Steuerlast. Und ich glaube, dass es einfach jetzt an der Zeit ist, nach der Europawahl den Übergang auch im Kanzleramt anzugehen.
"Es ist Zeit für inhaltliche Erneuerung - auch im Kanzleramt"
Zagatta: Nach der Europawahl sollte Angela Merkel abtreten aus Ihrer Sicht?
Mitsch: Es wäre wichtig, wenn der Übergang sorgfältig eingeleitet wird, damit das keine Hopphopp-Aktion wird. Ich glaube, dass es an der Zeit ist für inhaltliche Erneuerung, eine umfassende. Das gilt sowohl für das Kanzleramt als auch für das Kabinett.
Zagatta: Herr Mitsch, jetzt gibt es ja neuerdings wieder Spekulationen, Merkel könnte in die EU wechseln, eventuell sogar als neue Kommissionspräsidentin. Würden Sie das befürworten?
Mitsch: Ich befürworte einen inhaltlichen Politikwechsel. Der muss wahrscheinlich jetzt auch mit einer personellen Erneuerung verbunden sein. Und wenn das die Lösung ist, dass Frau Merkel das Kanzleramt räumt und dafür zur EU geht, dann halte ich das für einen überdenkenswerten Schritt.
Zagatta: Würde das dann automatisch auf die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer als Nachfolgerin hinauslaufen? Ich frage das deshalb, weil sonderlich beliebt ist die ja in Umfragen auch nicht.
Mitsch: Es gibt in der Politik aus meiner Sicht keine Alternativlosigkeit und es sollte auch keine Zwangsläufigkeiten diesbezüglich geben. Frau Kramp-Karrenbauer ist CDU-Vorsitzende. Sie hat die Partei gut erneuert. Das hat der Partei gut getan.
Ich glaube, dass sie zusammen mit Merz ein sehr, sehr starkes Duo wäre, und aus dem Grund brauchen wir eine neue Teamleistung an der Stelle. Frau Kramp-Karrenbauer hat sicherlich das erste Zugriffsrecht, sofern die Wahlen vernünftig laufen und sofern diese Beliebtheit, die sie anfangs hatte, auch wiederkehrt. Ich bin da zuversichtlich.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.