Freitag, 29. März 2024

Archiv

Georgien
Personenkult im Stalin-Museum

Im Stalin-Museum in Georgien erfährt man viel Gutes über den sowjetischen Diktator Josef Stalin. Die geschätzten 20 Millionen Todesopfer seiner Politik spielen hingegen kaum eine Rolle - [*] eine gründliche Aufarbeitung der Sowjetzeit hat noch nicht stattgefunden.

Von Peter Sawicki | 18.12.2019
Stalinmuseum in Georgien
Hübsche Bilder von Stalin gibt es reichlich, über die Straflager des Diktators wird nur in einem Raum informiert (Deutschlandradio / Peter Sawicki)
Das Gewusel ist groß, die Gespräche erzeugen im fast sakralen Säulen-Foyer ein Echo. In Gori im Zentrum Georgiens wartet eine Reisegruppe aus Thailand auf die Museumsführung. Einige bekommen vom Knipsen schon jetzt nicht genug. Abwechselnd posieren sie vor der mit rotem Teppich belegten Treppe. Das Motiv auf der Halbetage ist die Statue eines uniformierten Mannes aus weißem Marmor, aufrecht stehend und mit festem Blick.
Sie zeigt Josef Wissarionowitsch Dschugaschwili – besser bekannt unter dem Kampfnamen Stalin. Er wurde in Gori geboren. Und schon der Eingangsbereich deutet an, dass der Diktator hier wohlwollend präsentiert wird. Was die thailändischen Besucher über ihn wissen?
"Ich weiß nicht viel über ihn. Unser Guide hat aber gesagt, dass er ein bedeutender Mann gewesen ist."
"Ich habe ein sehr düsteres Bild von Stalin. In Geschichtsbüchern steht oft, dass er einer der größten Massenmörder ist. Aber die Architektur hier ist großartig."
Im Hauptsaal erzählt die Museumsführerin von Stalins Jugend, er sei damals ein talentierter Dichter gewesen. Die Reiseleiterin übersetzt.
Die 20 Millionen Todesopfer kommen kaum vor
Der Saal wirkt wie ein Anachronismus. Durch die meterhohen, einfach verglasten Fenster dringt viel Licht, aber auch Kälte hinein. Die Exponate zeichnen ein einseitiges Bild Stalins. An den Wänden hängen unzählige Porträts des Sowjetführers. Auf einem davon hält er ein Mädchen zärtlich auf dem Arm, im Hintergrund ist der Rote Platz in Moskau. Eine Landkarte illustriert die industrielle Entwicklung der UdSSR während Stalins Herrschaft.
Stalinmuseum in Georgien
Museum mit der Anmutung eines Wallfahrtsortes (Deutschlandradio / Peter Sawicki)
Die geschätzten etwa 20 Millionen Todesopfer seiner Politik, die Straflager oder der Hitler-Stalin-Pakt – all das erwähnt die Museumsführerin nicht. Sie konzentriert sich auf die vielen Aufnahmen des jungen Stalin. Die Gruppe staunt.
Wie sehr dem Sowjetherrscher speziell in seiner Heimatstadt bis heute viele Menschen wohlgesonnen sind, erfährt man im Gespräch mit Mzia Georgievna. Sie ist leitende Angestellte im Stalin-Museum und bittet in einen Sitzungsraum.
Georgievna kommt selbst aus Gori. Sie ist eine betont adrette Frau, vielleicht um die 60, mit Perlenohrringen, beiger Strickjacke und nackenlangen Haaren. Im Museum arbeitet sie schon lange. Mehr als ein Jahrzehnt, sagt sie augenzwinkernd. Dass das Museum Stalin zu positiv darstellt, verneint sie:
"Wissen Sie – das Museum ist weltweit einzigartig. Ein bisschen was haben wir ergänzt. Allgemein spiegelt es aber die sowjetische Zeit wider. Also das, was real gewesen ist. Und Stalin war eine interessante Persönlichkeit. Um ihn richtig zu bewerten, muss man die positiven und die negativen Aspekte berücksichtigen. Einseitig geht es nicht."
Eröffnet wurde das Museum 1957, vier Jahre nach Stalins Tod. Nach dem Ende der Sowjetunion war es kurzzeitig geschlossen. Heute, sagt Mzia Georgievna, kommen jährlich etwa 150.000 Besucher. Wozu also etwas ändern? Sie betont auch, dass das Museum sehr wohl auf – wie sie sagt – "Fehler" Stalins eingeht. Es gebe einen Raum, der von den Gulags erzähle. Sie selbst spricht aber lieber über vermeintliche Erfolge:
"Stalin hat den Zweiten Weltkrieg gewonnen. Ist das etwa keine positive Facette? In der Zeit der Kollektivierung der Landwirtschaft lief einiges falsch. Aber – ist es etwa nicht positiv, dass Russland, wo Menschen in Strohschuhen herumliefen, einen solchen industriellen Fortschritt erlebt hat?"
Georgien habe davon auch profitiert, ergänzt sie. Wirklich negativ äußert sie sich über Stalin nicht: "In Georgien bewerten die Menschen Stalin unterschiedlich. Die junge Generation weiß nichts über ihn. Viele Ältere schätzen ihn aber. So ähnlich geht es mir auch. Ich kenne seine schlechten und guten Seiten. Stalin aber nicht zu respektieren – das ist unmöglich."
Eine NGO arbeitet an der Aufarbeitung
70 Kilometer weiter östlich, in einer schlichten Wohnung in Tiflis, ist der Blick auf Stalin kritischer. Irakli Khvadagiani blättert in einem dicken Lederalbum. Darin sind Schwarzweißfotos eines georgischen Ingenieurs, der in den 1920ern den Bau eines großen Wasserkraftwerks plante. Später fiel er Stalins politischen Säuberungen zum Opfer. Khvadagiani arbeitet für SovLab – eine Nichtregierungsorganisation, die sich mit der Aufarbeitung des Stalinismus und allgemein der sowjetischen Vergangenheit Georgiens befasst – und ist in Georgien damit eine Ausnahme:
"Wir hatten 1991 keinen friedlichen Wandel. Es gab einen Bürgerkrieg und die Wirtschaft kollabierte. Es war zunächst kein Platz für einen Blick zurück – Menschen verhungerten, in Archiven gab es nicht mal Strom. Unter Eduard Schewardnadse kehrten ab 1992 zudem Teile der sowjetischen Elite zurück an die Macht. In politischen Diskussionen war Aufarbeitung deshalb kein Thema."
Irakli Khvadagiani von der NGO SovLab
Irakli Khvadagiani von der NGO SovLab (Deutschlandradio / Peter Sawicki)
Bis heute seien im Staatsapparat Personen tätig, die Angst hätten, ihre Familiengeschichte offenzulegen. Auch deshalb habe SovLab ein geradezu winziges Budget. So lange es dieses Schweigen gebe, könne auch der Stalin-Mythos nicht aufgearbeitet werden:
"Umfragen zeigen, dass immer noch bis zu 40 Prozent der Georgier Stalin positiv betrachten. Das sind überwiegend ältere Menschen. Für sie ist Stalin aber eher ein Symbol. Ein tiefes historisches Wissen ist praktisch nicht vorhanden."
Hitler-Stalin-Pakt - Russlands Heroisierung der Vergangenheit
Am 23. August 1939 unterzeichneten Hitler-Deutschland und die Sowjetunion einen Nichtangriffspakt. Stalin wird dafür nach heutiger russischer Lesart kein Vorwurf gemacht.
Schon zu Stalins Lebzeiten habe man in Georgien nur begrenzt über seine Verbrechen Bescheid gewusst. Weil sie nach seinem Tod nie fundiert aufgearbeitet wurden, hält sein Personenkult bis heute an, erklärt Khvadagiani. Das Museum in Gori sei Ausdruck davon:
"Das ist ein Mikrokosmos. Seit den 1970ern hat sich dort nichts wesentlich verändert. Wir haben mal vorgeschlagen, ein Museum über dieses Museum einzurichten – das wurde abgelehnt. Wir verstehen, dass Aufarbeitung weh tut. Bis heute leidet unsere Gesellschaft aber unter dem gewaltsamen Erbe der damaligen Strukturen."
In Gori hat sich die Museumsführung nach draußen verlagert. Die Gruppe schreitet über den weiten Platz zu einem tempelartigen Pavillon. Innen steht Stalins Geburtshaus, eine schlichte Holzhütte.
Warum die negativen Seiten des Diktators nicht zur Sprache kamen? "Meine Gruppe wollte, dass es nicht zu lange dauert", so die Museumsführerin. Bei ihrem Vortrag haben die jungen Thailänder vor allem eines gelernt – wie Stalin ein großer Anführer geworden sei.
[*] Redaktioneller Hinweis: An dieser Stelle haben wir einen Halbsatz gelöscht, denn es wurde hier ein missverständlicher Bezug zu Russland hergestellt.