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Geothermie-Bohrungen
Nebenwirkung Erdbeben in den Griff bekommen

Die tiefe Geothermie droht in Verruf zu geraten - der spürbaren Erdbeben wegen, die bei Bohrungen immer wieder aufgetreten sind. Weil die Geothermie aber eine wichtige Rolle bei der Dekarbonisierung der Strom- und Wärmeerzeugung spielen soll, haben Forscher ein neues Konzept entwickelt.

Von Dagmar Röhrlich | 02.05.2019
Geothermie-Borturm in Kirchwaidach
In Südkorea verletzte ein durch Erdwärmebohrungen herbeigeführtes Beben über 5.000 Menschen - Forscher wollen nun die Risiken minimieren (imago stock&people / Falk Heller)
"Hot Dry Rock" - so heißt das Verfahren, das Erdwärme aus mehreren Kilometern Tiefe fördern soll. Dabei wird der Untergrund zu einem gigantischen Durchlauferhitzer umfunktioniert: Um ihn dafür zu erschließen, werden große Wassermengen unter hohem Druck ins Gestein gepresst, damit sich durch winzige Erdbeben Risse darin öffnen. Über die soll später im Betrieb Wasser zirkulieren und sich erwärmen. Leider bleibt es nicht immer bei winzigen, nicht wahrnehmbaren Beben:
"Es gibt eine Reihe von Projekten, wo durch das Auftreten von induzierter Seismizität die Projekte sofort gestoppt worden sind."
Das bislang stärkste Beben durch ein Geothermieprojekt ereignete sich 2017 im südkoreanischen Pohang. Es hatte eine Magnitude von fünf, 5.135 Menschen wurden verletzt, der direkte und indirekte Schaden betrug rund 375 Millionen Dollar. Auslöser dieses Bebens war das Verpressen: Es hatte im Untergrund eine unbekannte Störungszone aktiviert. Die Betreiber des Geothermie-Projekts in Helsinki wollten eine solche Überraschung auf jeden Fall vermeiden, erklärt Marco Bohnhoff vom Geoforschungszentrum Potsdam:
"Wir haben jetzt in Kooperation mit dem Betreiber vor Ort in Helsinki und einer Reihe weiterer Firmen ein neues Stimulationskonzept entwickelt, und das wurde in Helsinki erfolgreich getestet und eingesetzt - dahingehend, dass wir die von den Behörden vorgegebene Magnitude unterschritten haben."
Die Bohrung, von der aus der Untergrund stimuliert - sprich, von der aus das Wasser verpresst wurde, reicht mehr als sechs Kilometer tief. Die finnischen Behörden hatten festgesetzt, dass keine Erdbeben stärker als Magnitude 2 ausgelöst werden dürfe. Solche Beben sind normalerweise nicht wahrzunehmen:
"Wir haben jetzt diese Magnitude erfolgreich unterboten. Das maximal auftretende Erdbeben in dem Fall hat eine Magnitude von 1,9 gehabt."
Überwachungsnetzwerk und Pausen für die Erdoberfläche
Um das zu erreichen, wurde an der Oberfläche und in Bohrlöchern ein seismisches Überwachungsnetzwerk installiert. Dieses Netzwerk war sehr viel aufwendiger und dichter ausgelegt als normalerweise. Es registrierte jede noch so kleine Bewegung im Untergrund, leitete die Daten sofort an einen Computer weiter:
"Zudem ist eine Software zum Einsatz gekommen, die mit sehr großer Genauigkeit und in Nah-Echtzeit, das heißt innerhalb von nur wenigen Minuten die Lokation der induzierten Mikrobeben bestimmen konnte. Diese Informationen konnten wir dann nutzen, um sofort rückgekoppelt die Stimulation anzupassen."
Die Forscher haben die Geschwindigkeit, mit der das Wasser injiziert wurde, quasi sofort an das Verhalten der Erdbeben angepasst. Und noch etwas war anders als beim klassischen Vorgehen: Dem Untergrund wurden immer wieder "Ruhezeiten" verordnet, in denen das Verpressen stoppte:
"Wir haben über einen gewissen Zeitraum injiziert, mit reduzierten Raten, und dann Pausen eingelegt, sodass sich der Überdruck in der Formation ausbreiten konnte und verteilen konnte, und dann weiter stimuliert."
Dieser Aufwand sollte vermeiden, dass sich eine Störung, die bereits unter hohem tektonischen Stress steht, mit einem spürbaren Erdbeben entlädt:
"Wir glauben, dass das ein Schlüssel war, dass wir keine größeren induzierten Erdbeben dort generiert haben."
Die Methode ist zwar teurer als das klassische Verfahren, aber sie verringert das Risiko. Wie sehr, wird sich zeigen, wenn künftig die Anwendungsgrenzen ausgetestet werden. Denn die Frage ist, ob sie auch in tektonisch aktiveren Gebieten funktioniert als Finnland - und wie sie weiterentwickelt werden muss.