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Geraubte Schätze
Deutsche Sammlungen in russischen Museen

Viele Kunstwerke sind während oder nach Ende des Zweiten Weltkriegs nach Russland gebracht worden. Die russische Haltung ist kompromisslos, seit das Duma-Gesetz 1998 sämtliche Raubkunst zu russischem Eigentum erklärte.

Von Thomas Franke | 05.01.2014
    Die Erben der Privatsammlungen werden wohl genauso leer ausgehen, wie die staatlichen Museen. Russland plant in absehbarer Zeit nicht, die Kunsttrophäen wieder herzugeben. Und generell ist Kooperation an der Stelle bei dem Thema äußerst schwierig. Julia Kantor, Expertin der Eremitage und Fachfrau für Beutekunst, die in Russland Trophäenkunst genannt wird, macht die Politik dafür verantwortlich.
    "Gott sei Dank gibt es in den Museen in Deutschland, in Polen, natürlich auch in Russland, in der Ukraine, überall Leute, die verstehen, dass dieser Dialog, das ist sehr wichtig, entpolitisiert werden muss. Lasst uns doch gemeinsam arbeiten. Die Grenzen sind so gut, wie offen, lasst uns die Sammlungen, die in aller Welt verstreut sind, zusammentragen, wie bei der Bronzezeitausstellung. In der zeigen drei russische Museen und zwei Deutsche ihre Sammlungen. Das sind historische Sammlungen. Alles ist erklärt, man kann die Ausstellungsstücke studieren, und es ist in den Kontext eingeordnet."
    Derzeit ist die Ausstellung in Moskau. In ihr wird unter anderem der Goldschatz von Eberswalde gezeigt. Die Bronzezeitausstellung war von russischen und deutschen Museumsfachleuten über Jahre vorbereitet worden. Dann verdarben Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Putin die Eröffnung. Sie konnten sich nicht einigen, wie das geschehen sollte, was wann gesagt werden durfte. Eine Entpolitisierung ist nicht in absehbar.
    Denn die Sichtweisen auf den Zweiten Weltkrieg könnten in Russland und in Deutschland nicht unterschiedlicher sein. In Russland wird der "Große Vaterländische Krieg" zurzeit benutzt, um nationales Selbstbewusstsein aufzubauen. Es werden Helden geehrt, und es wird beschworen, dass es die Sowjetunion war, die Europa vom Faschismus befreit habe. Eigene Verbrechen spielen keine Rolle.
    Politiker beider Seiten untermauern ihre Haltung mit juristischen Argumenten. Deutschland ist der Ansicht, dass diese Kunsttrophäen völkerrechtswidrig geraubt wurden. Russland sieht sie als Wiedergutmachung.
    "Zwischen den Staaten werden praktisch überhaupt keine Verhandlungen geführt. Die Gesetze in der Europäischen Union und bei uns widersprechen sich. Aber wir haben eine Verfassung und müssen, wie alle, auf der Basis der Gesetze handeln. Wie in der Sowjetunion, wo Staatschefs willkürlich entscheiden konnten, geht es nicht mehr. Nun, die Gesetze sind halt unterschiedlich."
    Die konstruktive Zusammenarbeit zwischen Museen leidet darunter. In Russland kommen noch Rivalitäten unter den Museen dazu. Julia Kantor gilt als gemäßigt, anders, als ihre Moskauer Kollegin Irina Antonowa vom Moskauer Puschkin-Museum. Von ihr heißt es, dass ausgehandelte Kompromisse just in dem Moment, in dem sie den Raum betrete, null und nichtig seien.
    "Wenn wir uns selbst innerhalb nicht einig sind, wie wir das aufteilen oder, wie Museen miteinander kooperieren, wie soll man das dann international. Wenn wir über "historische Gerechtigkeit" reden, welches Jahr legen wir da zugrunde? 1948, 1941, 37, 33, 1917?"
    Kantor liegt in dem Kontext aber noch ein anderes Thema am Herzen: Die Kunst, die das Dritte Reich auf dem Feldzug Richtung Osten erbeutet hat und die heute noch in Deutschland ist. Genannt seien zum Beispiel Bücher aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die die Deutschen aus dem Schloss Pawlowsk bei St. Petersburg raubten und die in diesem Sommer wieder aufgetaucht sind.
    "Hitler hat ja nicht nur gegen das sowjetische Volk gekämpft. Sondern gegen die slawische Kultur. Alles, was nützlich schien, wurde ins Reich transportiert, aus Novgorod, Pskow, Roskoje Selo, Smolensk und so weiter. Es ging darum, das genetische Gedächtnis zu vernichten. Nämlich die Kultur. Das, was den Kern der Gesellschaft bildet, das nationale Gedächtnis. Und natürlich interessiert mich das Schicksal der Schätze, die nach dem Krieg spurlos aus der Sowjetunion verschwunden sind."
    Den Einwand hört man in Russland häufig, wenn die Rückgabe von Beutekunst gefordert wird. Kantor ist da ganz pragmatisch.
    "Man muss nichts neu verteilen. Ich wäre für den Status quo. Wie es jetzt ist, so soll es sein. Andernfalls machen wir es nur noch schlimmer."