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Gerechtigkeit als moralischer Auftrag an Politik und Gesellschaft

Mit der traditionellen "Hauptveranstaltung" zum Thema Gerechtigkeit in Europa ging heute Abend in Saarbrücken der politische Teil des 96. Deutschen Katholikentags zu Ende. Zwei überzeugte "Europäer", Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker waren nach Saarbrücken gekommen, um diesem Tag einen gewissen politischen Glanz zu geben.

Von Tonia Koch und Hartmut Kriege | 27.05.2006
    Juncker, der am Donnerstag den Internationalen Karlspreis in Aachen erhalten hatte, sprach heute morgen zum Thema "Weltmacht oder Wertemacht Europa", Schüssel, amtierender Ratspräsident der Europäischen Union, sprach auf dem Abschlusspodium des Katholikentages, das vor wenigen Minuten zu Ende gegangen ist.

    " Europa - einig und gerecht? So das Leitwort dieser Diskussion, die der Frage nachspürte: wie einig sich Europa eigentlich ist? Und: zu welcher Vorstellung von Gerechtigkeit sich dieses Europa der so unterschiedlichen Nationen bekennt? Bekennt es sich zu einer legalistisch-laizistischen Vorstellung oder ist der europäische Gerechtigkeitsbegriff doch mehr durchtränkt von einer sozialstaatlich-solidarischen? "

    Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, ließ keinen Zweifel aufkommen, welche Gerechtigkeit der EU gut zu Gesichts steht:

    " Zu einer europäischen Friedenspolitik gehört daher nicht nur, denke ich, die Sorge um die Inner-Europäische Gerechtigkeit, denn die wird alleine nur in diesem Kontinent nicht schaffbar sein. Sondern es gehört die Sorge um die weltweite Eindämmung von Ungerechtigkeit dazu."

    Schüssel appellierte an die Europäer, besonders an das christliche Europa.

    " Man muss aber der Freiheit immer die Gerechtigkeit abringen. Es braucht daher jene Errungenschaft, die neben der Freiheit in Europa unser Markenzeichen geworden ist, nämlich einen Sozialstaat mit menschlichem Angesicht."

    Ein Anliegen, das auf dem Katholikentage alle Foren, Vorträge und Diskussionen durchzog. Wie stellte doch Professor Hans-Joachim Meyer, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) fest:

    " Es gibt nur eine Menschheit, es gibt nur eine Welt und in dieser einen Welt sind Deutschland und Europa reich. Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht das heißt, unseren Blick auf die anderen zu richten."

    Und so stand die soziale Gerechtigkeit im Mittelpunkt der vergangenen vier Tage in Saarbrücken. Und wie üblich, fehlte es der großen Gemeinschaft der Katholiken auch nicht an Mitstreitern von politischer Seite.

    Bundespräsident Horst Köhler war gekommen, um sich zu Wort zu melden. "Global Governance" lautete sein Thema. Ein Begriff, der das Prinzip vom Leben und Leben lassen auf internationaler Ebene umschreibt. Ein Prinzip, das dem Gemeinwohl verpflichtet ist:

    " Global Governance das heißt eine internationale Ordnung der Zusammenarbeit des Friedens, muss sein, weil wir keine gute Zukunft mehr haben können bei uns, wenn es nicht auch woanders besser wird."

    Als ehemaliger Generaldirektor des IWF, des Internationalen Währungsfonds, weiß er, wie schwierig es ist, die globalen Spielregeln so zu gestalten, dass sie Menschen auch Chancen bieten und ihnen zum Vorteil gereichen. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Horst Köhler:

    " Die Armut in der Welt, ist die wichtigste Bedrohung des Friedens."

    Es sei ein Irrtum zu glauben, dass einzelne Länder, wie etwa Deutschland, wirtschaftlichen Wohlstand für sich allein reklamieren könnten und ihn auf Dauer verteidigen könnten, ohne andere daran zu beteiligen. Die Welt sei inzwischen viel zu sehr miteinander vernetzt. Weder die globale Umweltverschmutzung noch Krankheiten machten an Grenzen halt. Viele Politiker - so rügte Horst Köhler - konzentrierten sich in Deutschland nach wie vor auf die nationale Sichtweise.

    " Und so gibt es für mich immer noch viel zu viele Fälle von, wenn Sie so wollen, Doppelmoral. Wir predigen, der ganze Westen Marktwirtschaft, wir predigen Demokratie, wir predigen Gerechtigkeit, aber wenn es drauf ankommt, schauen wir, wo ist zuerst der Vorteil für uns selbst. Und da liegt es im Argen."

    Diese Form der Ignoranz, davon ist der Bundespräsident überzeugt, führt geradewegs in die Sackgasse. Wer nationale Interessen definiere, ohne auf die Nachbarn zu schauen, der schade nicht nur den anderen sondern auch sich selbst. Der aus Honduras angereiste Kardinal, Oscar Rodriguez Maradiaga, forderte in der Diskussion mit dem Bundespräsidenten die Industriestaaten auf, auf einen Teil der Gewinne zu verzichten. Bauern, Handwerker, Fabrikarbeiter, bei den Produzenten in den Entwicklungsländern müsse - wie er es formulierte - "mehr hängen" bleiben, selbst wenn dies den Vorstellungen der Konzerne widerspreche, weltweit möglichst preiswert einzukaufen. Unterstützung fand der Kardinal beim Bundespräsidenten, der von einer gerechten Wirtschaftsordnung mehr erwartet, als einfache ökonomische Regeln, die es zu befolgen gilt. Köhler:

    " Es braucht mehr als Ökonomie, es braucht mehr als die Marktwirtschaft. Es muss etwas da sein, was die Mensch verbindet, das eben angesiedelt ist in dem Bereich von Werten, von Spirituellem. Die Grundlage dafür ist für uns, dass wir Christen etwas in unserem Glauben haben, was gut ist für unser Thema, nämlich das Thema Nächstenliebe."

    Von gelebter Nächstenliebe ist die Globalisierung jedoch ebenso wenig geprägt, wie die Funktionsweise der internationalen Organisationen. Nach Auffassung des Generaldirektors der Welthandelsorganisation WTO, Pascal Lamy, werden diese Institutionen viel zu sehr von nationalen Interessen, insbesondere der großen Mitgliedstaaten dominiert. An dieser Stelle habe sich ein enormer Reformbedarf angestaut. Als positives Beispiel nannte Lamy die europäische Ordnung, die vielen Ländern außerhalb Europas inzwischen als Vorbild diene:

    " Wir; die Europäer; sollten uns bewusst sein; dass viele Menschen in den ärmeren Ländern große Hoffnungen in uns setzen und wir sollten sie nicht enttäuschen."

    Deshalb - so Lamy weiter: Global Governance fängt zu Hause an.

    Mit der Aufforderung des Bundespräsidenten an jeden einzelnen, sich stärker einzumischen in Vereinen, in politischen Gremien, überall da, wo es notwendig erscheint, verließen die Zuhörer die Messehallen. Patentrezepte wurden keine angeboten, auch nicht bei der Diskussionsveranstaltung von Arbeitnehmern, Arbeitgebern, den Kirchen und dem Bundesarbeitsminister. Einig war man sich in der Bewertung: die Massenarbeitslosigkeit in Deutschland ist ein "Skandal". Uneins hingegen war sich das Podium im Weg, dem "Skandal" ein Ende zu bereiten.

    In den Diskussionen und Anfragen standen sich die Forderung nach einem "Recht auf Arbeit", wie es bereits die Französische Revolution 1789 gefordert hatte und die unausweichliche Tatsache der "Massenarbeitslosigkeit" gegenüber, eine Alltagswirklichkeit, die tiefe Risse durch das Land gehen lässt. Mit Bundesarbeitsminister Franz Müntefering, mit Michael Sommer, Chef des Deutschen Gewerkschaftsbund sowie Marie-Luise Dött, vom Bund katholischer Unternehmer und Martin Kannegiesser, Präsident von "Gesamt-Metall", diskutierten Bischof Wolfgang Huber, Vorsitzender des Rats der Ev. Kirche in Deutschland und Birgit Zenker, die Bundesvorsitzende der KAB, der Katholischen Arbeitnehmerbewegung in der Bundesrepublik. Schnell wurde im Verlauf der Diskussionen, in der auch schon mal etwas der Ton laut wurde, zum einen deutlich, dass der Mangel nicht das "finanzarme Deutschland" ist, sondern "das bildungsarme". Dass zum anderen aber auch die Vorgehensweisen, um Gerechtigkeit für die Modernisierungsverlierer zu bekommen, sprich diese wieder in Arbeit und Brot zu bringen, wohl kaum auf einen Nenner zu bringen sind. Bischof Huber meinte:

    " Wir brauchen möglichst gute Rahmenbedingungen. Wir brauchen in der Tat auch Nüchternheit in Blich auf das was ein Arbeitsplatz kosten kann. Aber wir brauchen auch einen Mentalitätswandel, der sagt, es ist der Stolz eines Landes, es ist der Stolz eines jeden Unternehmens, und jedes Unternehmers, wenn es gelingt, Arbeitsplätze zu erhalten oder neue Arbeitsplätze zu schaffen. Wenn es gelingt, Beteiligungsgerechtigkeit zu ermöglichen, denn das ist in meinen Augen in diesem Zusammenhang der Kern von Gerechtigkeit überhaupt."

    Dafür sprachen sich auch Marie-Luise Dött und Martin Kannegiesser aus, hingegen waren die Vertreter der Arbeitnehmerseite: DGB-Chef Sommer und KAB-Chefin Zenker der Ansicht:

    " Es geht hier nicht nur um Beteiligungsgerechtigkeit, sondern es geht um Verteilungsgerechtigkeit. Wenn ich auf der einen Seite die Massenarbeitslosigkeit habe, auf der anderen Seite zunehmende Belastung der Normalarbeitsverhältnisse, wir haben es eben hier gehört, noch mehr Flexibilisierung, also hire and fire, dann kriegen wir auch die Politikbereiche, Familienpolitik und Arbeitsmarktpolitik überhaupt nicht mehr zusammen, weil das geht einfach nicht zusammen, wenn wir von Demographie sprechen, dann müssen wir schauen, wie schaut die Arbeitswelt aus. Und da brauchen wir auch gesetzliche Rahmenbedingungen. In sofern würde ich sagen, lass uns die Arbeit teilen und das bitteschön über Arbeitszeitverkürzung."

    Michael Sommer stimmte dieser Aussage im Kern zu und verwies darauf, dass Deutschland finanziell durchaus die Kraft habe, Arbeitsplätze zu schaffen:

    " Dieses Geld ist doch da. Es ist doch nicht so, als ob dieses Land arm wäre, dieses Land ist doch nicht arm, dieses Land ist reich. Es ist nur ungerecht verteilt in diesem Land, dass muss man doch auch mal sagen können. Wir leben in einem der reichsten Länder dieser Erde, mit wachsender Armut."

    Der Beifall kam umgehend von der KAB.

    " Alle reden von Bildung, man kann ja die Debatte nicht mehr hören. Keiner tut was. Ganz tolles Beispiel. Wir als KAB haben Jugendbildungseinrichtungen, wir kümmern uns um, wie es heutzutage so schön heißt, um sozial benachteiligte Jugendliche. Durch die neue Vergabekriterien, durch Harz IV haben wir häufig den schwarzen Peter, dass heißt es wird nicht mehr geguckt, wo sind die Kompetenzen, die wir über Jahre aufgebaut haben, sondern wo wird am billigsten ausgebildet. Und wenn man da richtig Geld in die Hand nehmen würde, kann man viele Arbeitsplätze schaffen."

    Die Wirtschaft konterte hart. Martin Kannegiesser verwies auf die internationalen Verflechtungen des Marktes und damit auch auf die der Berufsfelder und die damit verbundenen Gefahren für eine zu umfangreiche Bildungsförderung:

    " Auch diese Geschichte mit "Reichste Land der Welt", das war vor 20, 30 Jahren noch richtig. Inzwischen hat uns Irland im pro Kopf Einkommen überholt. Das sind alles Sprüche, die so nicht mehr helfen. Wir sitzen nicht auf einer Ölblase oder auf einer Gasblase, sondern wir können es nur selber erarbeiten. Wir sind immer mehr dabei uns zu internationalisieren, und das ist eine Riesenchance der deutschen Wirtschaft."

    Bundesarbeitsminister Müntefering gab sich verstimmt. Es sei doch nicht so, dass die Bundesregierung die Hände in den Schoß lege. Vielmehr habe sie ein Konjunktur-Förderungsprogramm aufgelegt, das zwar diesen Namen nicht trage, deren Effizienz hingegen sich zumindest an den bereitgestellten Finanzen festmachen lasse:

    " Ich bleibe bei dem, was ich getan habe als Minister. Alle verdrängen das ja hinreichend. Wir haben ein 25 Milliarden Programm gemacht für Konjunktur. Und deshalb sage ich, dass was wir tun konnten, in dieser Regierung ist das was wir als erstes gemacht haben."

    "Mehr als Euro und offene Grenzen" - So stand über dem Auftritt der Bundeskanzlerin. Damit war der thematisch Angela Merkel möglich, über jeden Aspekt, der irgendwie mit Europa in Zusammenhang gebracht werden konnte, zu sprechen.

    Allerdings hatte man ihr sechs junge Leute aus fünf Nationen zur Seite gegeben, die mit ihr über das Europa heute und das von morgen diskutieren sollten.

    Und diese jungen Leute, auch aus den neuen EU-Ländern wie Polen und Tschechien, ließen die Kanzlerin aber nicht so einfach ihr Programm abspulen, wenngleich deren Antworten vielfach aus dem bekannten christdemokratischen Repertoire stammten, wenn die Kanzlerin kurz und bündig feststellte:

    " Wir leben in einer Welt, in der wir uns mit anderen Kulturen und anderen Religionen verständigen wollen, sie verstehen wollen. Aber wenn wir das wollen, gehört für mich dazu, dass man sich auch zu seiner eigenen Herkunft, zu seinen eigenen Wurzel, zu seiner eigenen Religion bekennen kann."

    Der Auftritt der Bundeskanzlerin ergab somit nicht viel neues, nicht viel mehr als das, was sie bereits vor zwei Jahren auf dem Katholikentag in Ulm zu Europa gesagt hatte. Dennoch sind derartige Politiker Auftritte, zumal von Bundeskanzlern, immer auch eine Gelegenheit für hochrangige Politiker, im Rahmen derartiger Großveranstaltungen ihre, ich sag es mal, politische "Philosophie" näher zu erläutern, auch mit dem Ziel, die von ihnen vertretene Politik herauszustellen und möglicherweise gegenüber den Katholikentags-Teilnehmern transparenter zu machen.

    Unzweideutig war das Bekenntnis der Kanzlerin zu Europa. Zur politischen Union, aber auch zur wirtschaftlichen, zu der, so Angela Merkel, es keine Alternative gebe. Ohne direkt auf die Bemerkungen einzugehen, etwa zu denen, die Kanzlerin haben zum großen Nachbarn Frankreich nicht so den richtigen "Draht" stellte sie zum "franko-germanischen" Zwillingspaar aber fest:

    " Deutschland und Frankreich: das waren diese, fast vererbbaren Kriege. Diese fürchterlichen Differenzen. Und deshalb hängt von einem freundschaftlichen deutsch-französischen Verhältnis auch ganz wesentlich die Frage ab, ob Europa funktionieren kann. Sie können das sehen, wenn Deutschland und Frankreich gegeneinander arbeiten, was sie glücklicherweise ganz selten tun, dann spaltet sich sofort wieder ganz Europa in irgendwelche Richtungen, und deshalb glaube ich, dass auch für die zukünftige Entwicklung Europas die Gemeinsamkeit von Deutschland und Frankreich schon sehr, sehr wichtig ist."

    Andererseits hat Angela Merkel nicht die Absicht, die anstehenden territorialen Erweiterungen der EU, um Rumänien und Bulgarien etwa, zu bremsen oder gar zu verhindern. Die auf den Weg gebrachten Beitrittsverhandlungen, auch die mit der Türkei, werden weitergehen. Obwohl aber die Kanzlerin auch klarmachte, dass bei den Verhandlungen mit der Türkei, wohl noch viele Jahre ins Land gehen würden, bevor man zu einem akzeptablen Ergebnis komme:

    " Nach dem Subsidiaritätsprinzip auch der katholischen Sozialallehre heißt es, regele jede Sache, soweit und so nah am Menschen, wie es möglich ist, aber regele sie auf der Ebene, wo sie für die Menschen am besten geregelt werden kann. Und wir sind eben zu der Überzeugung gekommen, dass zum Beispiel die Sicherung unserer Außengrenzen, Schengener Abkommen ist nicht ganz identisch mit der Europäischen Union, aber irgendwann werden alle dazu gehören, dass wir da ein Stück auch unseren Mitgliedern in der Europäischen Union vertrauen müssen und sagen müssen, okay, die Spanier können die Außengrenzen sichern für uns. Wir müssen nicht an unsere Grenze immer noch einen Polizisten stellen und dreimal überprüfen ob die Spanier dass dann irgendwo auch richtig gemacht haben. Das ist Vertrauen."

    Und, das war der Kanzlerin sehr wichtig, diese Verhandlungen müssten nicht nur ergebnisoffen geführt werden, sie müssten sich zudem auch am Selbstverständnis Europas messen lassen: an einem Selbstverständnis, das immer wieder auch seinen Wurzeln nachzuspüren habe: Daher hoffte die Kanzlerin auch, dass in den Diskussionen auf dem Katholikentag, hier in Saarbrücken, auch die Besinnung auf das, was da aus diesem "Europa der ehemals Sechs" geworden ist, möglich werde:

    " Ich glaube, Europa ruiniert sich, wenn nicht die verantwortlichen Politiker auch zu Hause zu den europäischen Entscheidungen stehen. Die Menschen werden uns das nicht abnehmen."

    Er ist "der" Vorzeige-Europäer. Keine europäische Debatte ohne Jean-Claude Juncker. Auch wenn er am vergangenen Donnerstag wegen seiner europäischen Verdienste nicht mit dem Karlspreis ausgezeichnet worden wäre, hätten seine Worte auf dem 96. deutschen Katholikentag Gehör gefunden. Denn der Luxemburger Premierminister war wie gewohnt deutlich. Es liegt ihm nicht, um den heißen Brei herumzureden. Die europäische Verfassung liege zwar auf Eis, nachdem sich Franzosen und Niederländer zunächst dagegen ausgesprochen hätten. Aber das sei kein Grund- so Juncker - in ständiges Wehklagen zu verfallen. Wer aus der europäischen Verfassungskrise wieder heraus wolle, der müsse zu Hause und in Brüssel glaubwürdige Politik machen und Solidarität üben, nach innen wie nach außen.

    " Europa sollte der Kontinent der Solidarität sein."

    Gelegentlich lasse Europa die Solidarität nach innen vermissen. Er räumte ein, dass es nicht gelungen sei, der europäischen Union auch einen sozialen Anstrich zu verleihen. Es sei daher an der Zeit, dass Europa wieder das Europa der kleinen Leute werde. Und wer das wolle, der müsse dafür sorgen, dass in Europa ein Mindestmaß an sozialen Standards, an Arbeitnehmerrechten eingeführt werde. Für die mit viel Vehemenz geführte deutsche Debatte über die Bewältigung der Krise auf dem Arbeitsmarkt und über Mindestlöhne hatte Juncker nicht viel mehr übrig als ein Kopfschütteln.

    " Es gibt 15 Länder, die Mindestlöhne haben. Luxemburg auch, aber, dass das Prinzip verankert wird, dass jeder, der arbeitet Recht hat auf einen anständige Entlohnung ist ein europäisches Gebot."

    Wer sich dieser Logik verschließe, der dürfe sich nicht wundern, wenn die Menschen sich vom europäischen Projekt abwendeten.

    " Ich bin ja sehr der Meinung, dass wir Sozialreformen brauchen. Ich weiß auch, dass der Sozialstaat einen Kostenpunkt und einen Preis hat, und dass man genau darauf achten muss, ob man das, was man heute anlegt auch noch Übermorgen finanzieren kann. Aber was nicht geht, in unserer Gesellschaft ist, dass man den Arbeitslosen erklärt, sie müssen den Gürtel enger schnallen und die zweite Nachricht in der Tagesschau besteht dann darin, dass jemand, der einen Weltkonzern vor die Wand gefahren hat 40 Millionen Euro Abgangsentschädigung bekommt. Das geht nicht gut."

    Vor diesem Hintergrund kritisierte der Luxemburgische Premier die ebenfalls in Deutschland überdeutlich zu hörenden Klagen über die finanziellen Beitrage, die Berlin an Brüssel zu entrichten hat. Ein Monat Krieg sei teurer, als 20 Jahre EU-Finanzierung. Es gelte, sich an altbewährte Grundlagen zu erinnern.

    " Ich bin dafür, dass wir in Westeuropa wieder die Tugend des Teilens wieder neu erlernen."