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Gerechtigkeit und sozialen Frieden schaffen

Die schwarz-gelbe Koalition wehrt sich gegen die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Dabei könnte damit ein wenig Gerechtigkeit und sozialer Frieden geschaffen werden. Dennoch: Eine Versicherungspolice gegen das Armutsrisiko vieler Menschen wäre der Mindestlohn nicht.

Von Tonia Koch | 12.09.2013
    "Die erste Maßnahme ist ein Gesetz für einen bundesweiten Mindestlohn von 8,50 Euro","

    verspricht der Kanzlerkandidat der SPD. Aus Peer Steinbrück, dem ehemaligen Skeptiker ist ein Befürworter geworden. Inzwischen sei die gesamte SPD überzeugt, dass der Mindestlohn gebraucht werde, sagt Christiane Krajewski, in Steinbrücks Kompetenzteam zuständig für Finanzen.

    ""Der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn soll wirklich eine untere Auffanglinie sein, unter der kein Mensch in Deutschland mehr arbeiten muss."

    Die Grünen sind dafür, die Linke auch, sie hätte aber gern 10 Euro statt 8,50. Die Liberalen und die CDU sind dagegen. Das kostet Arbeitsplätze, argumentiert der Spitzenkandidat der FDP, Rainer Brüderle:

    "Wenn die Kehrmaschine preiswerter ist als die Reinigungskraft, dann fällt die Reinigungskraft weg, dann gibt es keinen Arbeitsplatz für sie, weil die Kehrmaschine 24 Stunden einsatzfähig ist, keine Grippe bekommen kann und keinen Urlaubsanspruch hat."

    Einen praktischen Beweis für diese These gibt es nicht. Weder in der Baubranche noch im Bewachungsgewerbe zum Beispiel, wo Mindestlöhne vereinbart wurden, sind Arbeitsplätze verloren gegangen. Allerdings versuchen die Unternehmen, bestehende Tariflöhne durch andere Vertragsformen, wie etwa durch schlecht honorierte Werkverträge, zu ersetzen. Die Politik muss die Höhe eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohnes deshalb sorgfältig abwägen, sagt Prof. Stefan Sell, Direktor des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik der Hochschule Koblenz:

    "Zumindest in einigen Regionen in Deutschland wären 8,50 Euro zum jetzigen Zeitpunkt eine völlige Überforderung von Unternehmen. Von daher wäre es korrekt zu sagen, wir brauchen einen Mindestlohn, wir werden auch einen einführen aber über die konkrete Höhe müssen wir noch einmal sachlich diskutieren."

    Kanzlerin Angela Merkel hält nichts von einem staatlich festgesetzten Mindestlohn, sie favorisiert das Modell der sogenannten Lohnuntergrenze. Diese soll von einer Kommission bestimmt werden, die sich aus Vertretern von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zusammensetzt. Gelten sollen die Lohnuntergrenzen, die je nach Wirtschaftskraft von Region zu Region variieren, für all jene Branchen, in denen es keine tarifvertraglichen Regelungen gibt. Das bedeutet, dass nach dem Willen der CDU auch zukünftig Tarifverträge geschlossen werden dürfen, die unter 8,50 Euro die Stunde liegen. Die Kanzlerin hält das für

    "eine angepasste Lohnfindung."

    Und Peer Steinbrück von der SPD für ein Unding:

    "Es gibt viele Menschen, die nach einem Tarifvertrag bezahlt werden, aber unter 8,50 Euro und die gucken durch die Röhre, das sind die Gelackmeierten bei der Lohnuntergrenze von CDU und CSU."

    Jedem zehnten Beschäftigten in Deutschland, der aktuell weniger als 8,50 in der Stunde verdient, hilft ein Mindestlohn unmittelbar. Eine Versicherungspolice gegen das Armutsrisiko vieler Menschen ist er aber nicht, sagt der Sozialwissenschaftler Stefan Sell:

    "Sie bräuchten heute schon einen Stundenlohn von 11,35 Euro, um nach 45 Jahren eine Rente zu bekommen, die oberhalb von Hartz IV liegt."

    SPD und Linke sind überzeugt, dass der Mindestlohn die Problematik von Aufstockern lösen kann. Aufstocker verdienen so wenig, dass sie zusätzliche finanzielle Hilfen benötigen, um über die Runden zu kommen. 8,50 Euro aber sind zu wenig. Nur Menschen, die Vollzeit arbeiten und keine Familie versorgen müssen, kommen damit aus, allen anderen bleibt der Gang ins Jobcenter auch künftig nicht erspart. Die flächendeckende Subventionierung von Hungerlöhnen wird durch einen Mindestlohn jedoch ein Ende finden. Es lohne sich also, ihn einzuführen, argumentiert der Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin:

    "Der einzige Grund, warum wir sagen, mindestens 8,50 Euro, ist, dass wir den Staat davor schützen müssen, unentwegt Löhne zu subventionieren."

    Eine Allzweckwaffe zur Lösung sozialer Ungleichgewichte in Deutschland ist der Mindestlohn nicht. Um dieses Ziel zu erreichen, muss an anderen Stellschrauben, etwa einer Rentenreform, gedreht werden. Aber er schafft ein wenig Gerechtigkeit und trägt zum sozialen Frieden bei, denn jenseits der Grundsicherung, die Menschen absichert, die, aus welchen Gründen auch immer, keine Beschäftigung haben, sollte es ein Instrument geben, das diejenigen schützt, die Arbeit, aber keinen Tarifvertrag haben. Die Höhe eines Mindestlohnes muss sich von der Grundsicherung, von Hartz IV unterscheiden. Eine Lohnuntergrenze für einzelne Branchen kann dies nicht sicherstellen.