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Gerhard Hauck "Gesellschaft und Staat in Afrika"

Ohne das Stichwort Globalisierung kommt heute kaum ein Buch aus, das sich mit den Ländern des Südens, den sogenannten Entwicklungsländern, beschäftigt. Anders Gerhard Hauck in seinem neuen Band "Gesellschaft und Staat in Afrika". Der für seine Arbeiten zu Afrika bekannte Soziologe und Ethnologe nimmt die Geschichte unseres Nachbarkontinents bis zu den postkolonialen Gesellschaften der Gegenwart unter die Lupe und beschreibt die vielfältigen, gesellschaftlichen Organisationsformen in Afrika. Immer auf der Suche nach Erklärungen für die aktuelle afrikanische Politik.

Gaby Mayr | 11.02.2002
    Jürgen Habermas, als Philosoph in Deutschland hoch geehrt, fallen "mythische Weltbilder" ein, wenn er an afrikanische Geschichte denkt. Für Durchschnittsdeutsche gehören Flüchtlinge, Kindersoldaten und Nelson Mandela zu Afrika. Das reicht nicht aus, um zu verstehen, was bei unseren südlichen Nachbarn politisch passiert. Der Heidelberger Ethnologe und Soziologe Gerhard Hauck hat jetzt sein Buch "Gesellschaft und Staat in Afrika" vorgelegt. Darin erzählt er afrikanische Geschichte wenigstens auszugsweise und bringt sie in Zusammenhang zur Gegenwart.

    "Ich denke, dass ökonomische Faktoren doch stark verantwortlich sind für das politische Geschehen in Afrika. Ich hab versucht, hier diese Faktoren zu benennen mit dem Begriff der Privatisierung des Staates beziehungsweise des Pfründenkapitalismus, und ich denke, dass man damit sowohl Hemmnisse für politische Entwicklungen in Afrika als auch Hemmnisse für die ökonomische Entwicklung in Afrika erklären kann."

    Mit "Privatisierung des Staates" und "Pfründenkapitalismus" bringt Hauck auf eine griffige Formel, woran nach seiner Auffassung Afrika krankt: Die Unternehmer konkurrieren nicht darum, immer neue Produkte zu möglichst günstigen Preisen auf den Markt zu bringen, um damit ordentlich Geld zu verdienen - und, sozusagen ganz nebenbei, die Menschen mit allem versorgen, was sie brauchen.

    "Das Mittel der Wahl, um im Konkurrenzkampf erfolgreich zu sein, ist die Einflussnahme auf die staatlichen Entscheidungsträger. Auf diejenigen, die das Geld vergeben."

    Afrikas Staaten verfügen zwar nicht über üppige Budgets, aber einiges an Zöllen, Steuern und Gebühren, die internationale Konzerne für die Ausbeutung von Bodenschätzen zahlen müssen, fließen doch in ihre Kassen. Und natürlich internationale Hilfsgelder und Kredite. Wer die politische Macht hat, versucht mit allen Mitteln, sie nicht wieder zu verlieren.

    "Weil die Vertreibung aus den Positionen der Macht auch den ökonomischen Ruin bedeuten würde. Deswegen müssen sie einen Regierungswechsel durch Wahlen nach Möglichkeit zu verhindern suchen. Deshalb hat Demokratie halt schlechte Karten."

    Besonders deutlich wird dieser Mechanismus in Ländern wie dem Kongo: Dort sind staatliche Strukturen zusammengebrochen und warlords verscherbeln die Schätze der von ihnen beherrschten Regionen - Gold, Tropenholz und das für Mobiltelefone wichtige Coltan. In seinem Buch nennt Gerhard Hauck auch historische Gründe für das Prinzip "hemmungslose Bereicherung statt Entwicklung". Sein Ergebnis nach Auswertung zahlreicher Studien: Schon früher haben Herrscher versucht, Tribut vor allem von den Bauernfamilien einzutreiben. Anders als in Europa konnten sich Afrikas Landbewohner der Gier der Machthaber oft entziehen, indem sie aus deren Einflussbereich wegzogen. Platz gab es genug. Das ist im Zeitalter fest gezogener Grenzen vorbei. Die Position der Machthaber ist gestärkt, und bei fehlenden demokratischen Strukturen ist Willkürherrschaft Tür und Tor geöffnet. Ein weiteres, aus der afrikanischen Geschichte bekanntes Verhaltensmuster ist, dass Machthaber den Zufluss von Mitteln von außen fest einkalkulieren. Arabische Händler verschafften afrikanischen Königshäusern begehrte Güter aus aller Welt, nur um an Gold und an Sklaven zu kommen. Diese Tradition wirkt offenbar fort:

    "Die Nutzung von Ressourcen von außerhalb zur Sicherung der eigenen Herrschaft ist für alle vorkolonialen Staatensysteme in Afrika charakteristisch. Und die Nutzung von Ressourcen außerhalb, insbesondere von Entwicklungshilferessourcen, durch die herrschenden Klassen ist auch heute noch eines ihrer zentralen Machtmittel."

    Mit seinem Buch widerspricht Gerhard Hauck denjenigen, die als Ursache für Kämpfe und Kriege in Afrika "Stammeskonflikte" und religiöse Zwistigkeiten angeben. Allerdings, und das ist ein Nachteil des Buches, verliert sich der Autor bei der Fülle des aufbereiteten Materials mitunter auf Nebengleisen und in wissenschaftlichen Disputen, die das Verständnis erschweren. Immerhin macht er deutlich, dass strikte religiöse und ethnische Abgrenzungen, wie Europäer sie gerne unterstellen, in Afrika kaum Tradition haben.

    "Die Vorstellung, die man über ethnische Konflikte bei uns hat, es handle sich um Stämme, die seit unvordenklichen Zeiten da sind und seit unvordenklichen Zeiten miteinander in Konflikt leben, die Vorstellung ist jedenfalls mit Sicherheit falsch."

    Territoriale Grenzen waren vor Auftreten der Kolonialmächte nirgends unverrückbar fixiert. Zugehörigkeit zur Familie des Vaters, des Mannes oder - in matrilinearen Gesellschaften - zur Familie der Mutter, die Verbundenheit mit einem Chief und die Mitgliedschaft in einem Kult, einem Beschneidungsjahrgang und einer Gilde schufen für jeden einzelnen Menschen ein Netz von Verbindungen. Diesem - wie Hauck es nennt - "Treibsand von Identitäten und Loyalitäten, flexiblen Grenzen und umkämpften Rechten" stülpten die Kolonialmächte ihr Stammeskonzept über. Damit wollten sie afrikanische Vielfalt für ihre Kolonialbeamten und Steuereintreiber überschaubar machen. Sie bestimmten Häuptlinge nach ihrem Gusto und machten sie zu ihren Handlangern.

    Manche der so geschaffenen Stämme wurden in der Kolonialzeit zu Empfängern von Schulen, Krankenhäusern und Straßen und - nach der Unabhängigkeit - von Entwicklungshilfe gemacht. Andere Gruppen gingen leer aus. Und schon gab es "Stammeskonflikte":

    "Durch diese ökonomische Konkurrenzsituation zwischen verschiedenen Regionen wird nun ein Konflikt zwischen diesen Regionen geschürt, und man braucht irgendeine Rationalisierung für diesen Konflikt, und so erklären sich die meisten ethnischen Konflikte in Afrika."

    Eine unheilvolle Konkurrenz um Wohltaten von außen und die überragende Bedeutung politischer Macht in der Gesellschaft liegen wie Mehltau auf vielen afrikanischen Staaten. Natürlich gibt es genug Afrikanerinnen und Afrikaner mit guten Ideen, unternehmerischem Schwung und Energie. Aber sie rennen gegen Wände aus Bürokratie und Vetternwirtschaft. Viele verwenden ihre Kraft schließlich darauf, ausländische Geldgeber zu gewinnen, weil sie im eigenen Land auf taube Ohren stoßen. Autor Gerhard Hauck will keineswegs verharmlosen, dass Afrika leidet unter dem Preisverfall seiner Rohstoffe auf dem Weltmarkt und unter dem Abzug von Reichtum, der in Afrika erarbeitet wird, aber bei den Konzernzentralen im Norden landet. Haucks Buch macht allerdings deutlich: Es gibt auch wichtige Gründe für das Desaster in Afrika, die hausgemacht sind.

    Gerhard Hauck: "Gesellschaft und Staat in Afrika". Erschienen ist die 320 Seiten starke Arbeit bei Brandes & Apsel in Frankfurt am Main und kostet 24 Euro und 50 Cent.