Mittwoch, 24. April 2024

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Gerhart Baum über Genscher
"Einen unglaublichen politischen Instinkt"

Der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher sei ein großer Politiker mit Visionen gewesen, sagte der FDP-Politiker Gerhart Rudolf Baum im DLF. Er habe sich immer für ein starkes und solidarisches Europa eingesetzt. Auch deshalb sei es ihm bis zum Schluss besonders wichtig gewesen, dass sich das Verhältnis zu Russland wieder normalisiere.

Gerhart Baum im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 01.04.2016
    Gerhart Baum (FDP), ehemaliger Bundesinnenminister.
    Gerhart Baum (FDP): "Hans-Dietrich Genscher hat mich in vielen Situationen meines politischen Lebens geprägt." (picture alliance / dpa / Paul Zinken)
    Ann-Kathrin Büüsker: 89 Jahre ist er alt geworden, Hans-Dietrich Genscher, der heute verstorben ist beziehungsweise in der Nacht zu heute. Bis zuletzt hat er die deutsche Politik geprägt und darüber möchte ich nun sprechen mit Gerhart Rudolf Baum, FDP-Politiker und langjähriger Begleiter von Genscher. Herr Baum, wie werden Sie Genscher in Erinnerung behalten?
    Gerhart Rudolf Baum: Als einen wunderbaren Menschen, als einen großen Politiker mit Visionen, der sein ganzes Leben lang die deutsche Wiedervereinigung angestrebt hat, der sich eingesetzt hat für liberale Politik in der Innen- und Außenpolitik, ein überzeugender Parteivorsitzender, ein Liberaler, ein Freiheitskämpfer und ein guter, verlässlicher Freund, der mich in vielen Situationen meines politischen Lebens geprägt hat.
    Büüsker: Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
    Baum: Ja, das wichtigste Beispiel für seine Verdienste ist der Zwei-plus-Vier-Vertrag, also die Deutsche Einheit, die da mit dem eigentlichen Friedensvertrag, Zwei-plus-Vier-Vertrag hergestellt wurde, das ist sein Werk. Und die KSZE-Schlussakte von 1971, die eine wesentliche Entspannung zwischen Ost und West herbeigeführt hat. Das sind seine großen außenpolitischen Verdienste neben vielen anderen.
    "Es war immer ein fruchtbarer Meinungsaustausch"
    Büüsker: Wo sehen Sie ganz persönlich in Ihrem Verhältnis zu Genscher den Moment, an den Sie sich am liebsten zurückerinnern?
    Baum: Ja, es sind viele Begegnungen bis zum Schluss. Ich habe ihm noch zum Geburtstag gratuliert jetzt am 21. März, wir haben über die Wahlergebnisse der Landtagswahlen gesprochen, ich habe ihn noch besucht. Und es war immer ein fruchtbarer Meinungsaustausch mit ihm, er war wach, aufmerksam und hat einen unglaublichen politischen Instinkt gehabt, von dem man nur lernen konnte.
    Büüsker: Wenn Sie sagen, Sie haben über die Ergebnisse der Landtagswahlen mit ihm gesprochen, wie hat Genscher die denn beurteilt?
    Baum: Große Sorge über das Starkwerden der Rechten, übrigens auch der Rechten in Europa, diese Renationalisierungstendenzen. Sein Credo war bis zum Schluss, wir müssen für Europa kämpfen, wir brauchen Europa, wir haben keine andere Zukunft als mit Europa. Das ist ganz ihm entscheidend wichtig gewesen und er hat großen Respekt gehabt vor der Politik von Frau Merkel. Er hat mir immer gesagt, die verdient hohen Respekt, selbst wenn sie scheitert.
    "Die neue Führung der FDP, insbesondere der neue Vorsitzende hat das Vertrauen von Genscher"
    Büüsker: Die FDP verliert jetzt ein weiteres wichtiges Mitglied nach Westerwelle, der ja auch gestorben ist vor Kurzem. Was bedeutet das für die Partei?
    Baum: Für die Partei bedeutet es, dass Herr Lindner davon ausgehen kann – das weiß er auch –, dass er das Vertrauen Genschers hatte. Das heißt also, die neue Führung der FDP, insbesondere der neue Vorsitzende hat das Vertrauen von Genscher und übrigens auch von mir. Und Genscher hat gesehen, dass hier ein Aufbau einer liberalen Partei erfolgt nach dem Niedergang in der Westerwelle-Zeit. Er hat damals immer von der Existenzkrise der FDP gesprochen, in die sie sich selbst gebracht hat, jetzt hat er doch mit Zufriedenheit gesehen, wie die FDP sich erholt.
    Büüsker: Wie sehr hat er sich über das Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag geärgert?
    Baum: Das war ein Schock für ihn, aber nicht unerwartet, wie für uns alle. Weil die Partei doch das Vertrauen der Wähler damals weitgehend verloren hatte, vor allen Dingen der Liberalen im Land.
    Büüsker: Wie sehr wird Genscher der deutschen Politik als Ratgeber fehlen?
    Baum: Das wird er sehr, denn bis zum Schluss hat er seinen Rat gegeben, auch den heutigen Akteuren in der Bundesregierung. Er hat ausländische Botschafter empfangen auch noch bis zum Schluss, er hat versucht, durch Zeitungsartikel Meinung zu beeinflussen, insbesondere war ihm wichtig, dass das Verhältnis zu Russland sich wieder normalisierte. Das war ein ganz großes Anliegen, er sagte, Europa kann ohne Russland und auch die Welt kann ohne Russland nicht voranschreiten. Aber das ist sein Vermächtnis. Die anderen, die Jüngeren müssen das jetzt machen.
    "Deutschland hat in seiner Sicht eine besondere Verantwortung für Europa"
    Büüsker: Wie sehr hat Genscher sich um Europa gesorgt?
    Baum: Unglaublich stark. Er sagte, die FDP müsse die Europapartei werden, das müsste ihr eigentliches Ziel jetzt werden. Wir brauchen Europa in der globalisierten Welt, Europa ist eine Wertegemeinschaft, die es sonst in dieser Form nicht gibt, ohne Europa haben wir keine Zukunft und an dieser Zukunft müssen wir energisch arbeiten. Und wir sind eine Solidargemeinschaft, hat er immer gesagt, wir sind als Deutsche auf Europa angewiesen und die Europäer auf uns. Und Deutschland hat in seiner Sicht eine besondere Verantwortung für Europa und die hat er ja auch gesehen in der Person von Merkel, die das ja doch sehr überzeugend gemacht hat bisher.
    Büüsker: Gerhart Rudolf Baum, ehemaliger FDP-Innenminister der Bundesrepublik, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch, Herr Baum. Wir haben gesprochen über den Tod von Hans-Dietrich Genscher beziehungsweise über das Leben von Hans-Dietrich Genscher, das wir in Erinnerung behalten werden, der ehemalige Außenminister ist im Alter von 89 Jahren gestorben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.