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Gerichtsberichterstattung
"Man muss nicht Jura studiert haben"

Bundesrichter Thomas Fischer hat in einem Interview im Deutschlandfunk harte Kritik an Gerichtsberichterstattung von Lokaljournalisten geübt. Medienvertreter widersprechen ihm deutlich.

18.08.2016
    Ein Angeklagter vor dem Landgericht Frankfurt versucht, den Blicken der Öffentlichkeit zu entgehen. /Symbolbild
    Ein Angeklagter vor dem Landgericht Frankfurt versucht, den Blicken der Öffentlichkeit zu entgehen. /Symbolbild (dpa / picture-alliance / Stephan Scheuer)
    Thomas Fischer hatte in dem Gespräch beklagt, dass es in Lokalzeitungen eine "unterschichtenorientierte Medienberichterstattung über Straftaten, insbesondere über kleinere Straftaten der sogenannten kleinen Leute" gebe. Die Berichterstattung sei "häufig in den Händen von Journalisten oder Reportern, die keine Juristen sind, die von der Sache, sagen wir mal zurückhaltend ausgedrückt, recht wenig verstehen".
    Fischer beklagte Respektlosigkeit in den Berichten. "Also die Angeklagten und Zeugen werden nur mit Vornamen genannt, es werden ihre Aussagen oder Darstellungen oder Lebensformen werden eher ein bisschen ins Lächerliche gezogen. Und das ganze Verfahren wird sozusagen so kommentiert wie 'Pack schlägt sich, Pack verträgt sich'." Die Vermittlung von Strafrecht in die Gesellschaft halte er für "insgesamt außerordentlich schlecht". Das Interview hat viele Reaktionen hervorgerufen.
    DJV-Vorsitzender und Gerichtsreporterin kritiseren Arbeitsbedingungen
    Vor allem der Mediendienst kress.de griff das Thema auf, viele Medienvertreter kritisierten die Auführungen Fischers. "Die lokale Gerichtsberichterstattung so pauschal charakterisieren zu wollen ist genauso unfair wie alle Richter über einen Kamm zu scheren. In allen Berufen gibt es Menschen, die diesen herausragend gut machen und andere, die diesen grottenhaft schlecht machen. Bei Richtern ist das so, und bei Journalisten natürlich auch", sagte Frank Überall. Überall kritisierte, dass Honorare bei lokalen Tageszeitungen nicht einmal das Niveau des gesetzlichen Mindestlohns erreichten. Deshalb könne man kaum qualifizierte Journalisten bekommen.
    Ähnlich äußert sich Gisela Friedrichsen, Gerichtsreporterin beim Nachrichtenmagazin Spiegel. "Welcher Verlag beschäftigt denn noch einen Gerichtsreporter? Die meisten Kollegen haben nicht mal mehr einen eigenen Schreibtisch in ihrem Verlag", schrieb Friedrichsen in einem Beitrag bei kress.de. "Freie Mitarbeiter, und das sind die meisten, weil es Festanstellungen kaum noch gibt, werden mit jämmerlichen Zeilenhonoraren abgespeist und kämpfen um Drei-Monats-Verträge."
    "Journalisten sind von Berufs wegen Generalisten"
    Stefan Bergmann, Chefredakteur der Emder Zeitung, widerspricht dem Argument der Unterversorgung von Mitarbeitern - wehrt sich aber ebenfalls gegen ein pauschales Urteil über Lokaljournalisten. Diese seien in der Lage, sich Hintergrundinformationen zu beschaffen. "Man muss nicht Jura studiert haben, um über Gerichtsprozesse schreiben zu können. Vermutlich ist es sogar hinderlich. Aber man muss wissen wollen, wie das System funktioniert, und es recherchieren", schreibt Bergmann.
    Joachim Jahn, Mitglied der Schriftleitung der Neuen Juristischen Wochenschrift, kritisiert den "herablassenden Ton" Fischers. Und spielt wie Bergmann auf die Ausbildung an: "Fischer macht sich etwas vor, wenn er glauben sollte, Ressortleiter von Wissenschaftsseiten hätten gleichzeitig ein abgeschlossenes Medizin-, Physik- und Chemiestudium vorzuweisen. Journalisten sind von Berufs wegen Generalisten - was sie übrigens ausgerechnet mit Juristen trefflich verbindet."
    (nch/stfr)