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Gerichtsurteil in der Kritik
Debatte über Verhältnismäßigkeit von Fahrverboten

Unverhältnismäßig – so bewertet Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer das Urteil zu Dieselfahrverboten im Ruhrgebiet. Um in der "Bild"-Zeitung hinterherzuschieben: Es stehe ihm eigentlich nicht zu, die Justiz zu kritisieren.

Von Sandra Schulz | 16.11.2018
    Abendlicher Berufsverkehr auf dem Kaiserdamm im Zentrum von Berlin. Foto: Michael Kappeler/dpa | Verwendung weltweit
    Auch in Berlin wird es Dieselfahrverbote geben - und auch hier wird dieses Urteil kritisiert (Michael Kappeler / dpa)
    Eine Fahrverbotszone für Essen, zu der auch die vielbefahrene Autobahn 40 gehört: Nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen mischen sich jetzt auch kritische Töne an den Gerichtsentscheidungen für Fahrverbote in die Debatte. Der "Bild"-Zeitung sagt Verkehrsminister Andreas Scheuer, es stehe ihm nicht zu, die Justiz zu kritisieren – um dann im folgenden Satz genau das zu tun. Zitat: "Wenn eine Richterin ein Diesel-Fahrverbot für eine Autobahn anordnet, halte ich das für unverhältnismäßig. Das gibt es nirgendwo anders auf der Welt."
    "Richterschelte ist das nicht", sagt am Mittag Scheuers Pressesprecher Ingo Strater. Dass der CSU-Politiker Scheuer von einer selbstzerstörerischen Debatte gesprochen hatte, erklärt sein Sprecher so:
    "Die Debatte ist hochemotional, sie ist entsachlicht, und sie trägt inzwischen Früchte, wie wir das jetzt sehen, dass selbst solche Urteile gefällt werden, wenn wir über Innenstädte reden, dass Autobahnen gesperrt werden sollen. Und Mobiliät ist die Grundlage unseres Wohlstandes, unseres Wachstums und Beschäftigung und Arbeitsplätze."
    Kernkritik richte sich an Politik und nicht an Justiz
    Wie das Fahrverbot überhaupt kontrolliert werden soll – diese Frage wirft erneut die Gewerkschaft der Polizei auf. Der NRW-Landesvorsitzende Michael Mertens sieht da erhebliche Probleme. Absurd nennt der FDP-Fraktionsvize im Bundestag, Frank Sitta, das Urteil von gestern und zweifelt an dessen Verhältnismäßigkeit. Danach gefragt konkretisiert der FDP-Verkehrspolitiker Oliver Luksic im Gespräch mit dem Deutschlandfunk-Hauptstadtstudio: Die Kernkritik der Liberalen richte sich nicht an die Justiz, sondern an die Politik. Eines der Probleme sei die Methode der Schadstoffmessungen.
    "Ich halte es für völlig unverhältnismäßig, eine Autobahn zu sperren. Da kommen wir wirklich nur in Deutschland auf diese Idee, ich halte es auch für falsch, an einer Autobahn überhaupt mehrere Messstellen zu haben. Das ist ja ein Durchgangsverkehr. Und wie gesagt, wir messen anders als in Europa, darum gibt es auch nur bei uns solche Urteile."
    Von einem einschneidenden Urteil spricht auch der Grünen-Politiker Arndt Klocke. Der verkehrspolitische Sprecher seiner Fraktion im nordrheinwestfällischen Landtag wirbt für eine Verkehrswende. Chaos im Straßenverkehr – aus seiner Sicht schon jetzt Realität.
    "Einen Verkehrsinfarkt haben wir hier in Nordrhein-Westfalen seit vielen Jahren. Die Debatten laufen hier ja schon seit mehreren Jahren und die Bundesregierung hat nicht gehandelt. Wir haben immer gesagt: Es braucht eine Hardwarenachrüstung, es braucht eine blaue Plakette und all das ist nicht geschehen, die Automobilhersteller waren auch uneinsichtig, die Bundesregierung hat dem Lobbydruck auch nachgegeben. Die Reaktion der Bundesregierung ist peinlich und wird auch der Lage überhaupt nicht gerecht."
    Die Bundesregierung verteidigt auch heute ihr Dieselkonzept. Gestern hatte das Kabinett höhere Hürden für Fahrverbote beschlossen – die europäischen Grenzwerte würden dabei aber nicht angetastet, so eine Sprecherin des Bundesumweltministeriums. Und nachdem Verkehrsminister Scheuer in der vergangenen Woche doch finanzielle Zusagen von einigen Automobilherstellern für Hardware-Nachrüstungen verkünden konnte, heißt es von seinem Sprecher heute: Wir betreiben das mit Hochdruck.