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"German Angst"

Im englischen Wörterbuch gibt es ein deutsches Wort: angst. Die deutsche Angst, insbesondere als Existenzangst, hat in den englischen Sprachschatz gefunden. Damit ist nicht die Existenz im philosophischen Sinne gemeint, sondern der Wunsch nach Sicherheit, Angstvermeidung und Risikoabwehr. Ob "German Angst" nun wirklich ein zutreffende Charakterisierung einer Nation ist oder ein beliebtes Selbstbild - der Neue Berliner Kunstverein hat dazu eine Ausstellung organisiert.

Von Carsten Probst | 22.09.2008
    Seltsame Ausstellung. Marius Babias, der neue Leiter des Neuen Berliner Kunstvereins will eine "sperrige Ausstellung" zum Thema der "deutschen Identität", und er möchte es auch nicht einfach der Bildenden Kunst überlassen. Beides ist ihm gelungen.

    Wer eine ausgereifte Diskurs-Schau mit vielen aktuellen Kunstpositionen erwartet hat, wird hier zweifellos kräftig vor den Kopf gestoßen. Die Bücher des Schriftstellers Edgar Hilsenrath etwa, der als Jude aus Nazideutschland emigrieren musste und später in die Bundesrepublik zurückkehrte, zählen nicht unbedingt zu den Schriften, um die sich die Kunstwelt derzeit zwangsläufig dreht. Gleichwohl hat Babias Hilsenraths gebrochene deutsche Biografie optisch in den Mittelpunkt gestellt, in einer zudem gewöhnungsbedürftigen Installation. Aus einer Archivausstellung der Berliner Akademie der Künste zu Hilsenraths 80. Geburtstag 2006 hat man die in befremdlich gepflegte Alurahmen eingespannten illustrierten Lebensstationen Hilsenraths reaktiviert und in den Räumen des Neuen Berliner Kunstvereins als mehrfach gebrochene Zickzack-Installation wieder aufgestellt.

    Ein sozusagen klassisches Exempel der "German Angst", der Angst vor Überfremdung, Dolchstößen und Weltjudentum, der Melange des Bösen, das sich außerhalb des Zuständigkeitsbereichs völkischer Ordnung und Hygiene gerne gegen das gute Deutsche verbündet. Hilsenrath steht also für die vor allem jüdischen Opfer, die diese Spielart der "German Angst" gefordert hat, und er steht zugleich für die Angst der Deutschen, zu viel und zu sehr daran erinnert zu werden, jetzt, wo man doch nicht anderes mehr sein will als eine ganz normale Nation, am liebsten mit Sitz im UN-Sicherheitsrat und Soldaten, die die Freiheit am Hindukusch und anderswo in der Welt verteidigen.

    Auch die "Deutschland-Trilogie" von Hartmut Bitomsky aus den achtziger Jahren gehört nicht unbedingt zum aktuellen Bilderschatz der Berliner Kunstszene. Aber Bitomskys ironisch-historische Großdokumentation über deutsche Autobahnen, den deutschen Volkswagen und überhaupt das ganze deutsche Selbstbild nach dem Dritten Reich zielt auf dieselben Ängste, wie die Hilsenrath-Biografie.

    Sperrig ist allein schon die Anordnung der Werke. Eine Großinstallation des Schweizer Künstlers Thomas Hirschhorn versperrt mitten im Raum den Weg mit einer düsteren Zukunftsvision. Die Welt von Morgen ist geteilt in eine weiße und schwarze, soll heißen gute und böse Hemisphäre, die von weißen oder schwarzen Schafen bevölkert werden, während zugleich eifrig am neuen Menschen gebaut wird, der sich endlich an die eindeutigen Regeln hält. Dann könnten vielleicht auch die Deutschen endlich ruhig schlafen.

    Insgesamt entsteht der Eindruck einer großen thematischen Kollage, die den ganzen "Normalisierungdiskurs" der Berliner Republik aufs Korn nehmen möchte. Babias macht kein Hehl daraus, dass die Zusammenstellung der Exponate subjektiv ist. Das "Selbstbild der Deutschen heute", an das er sich damit annähern will, erscheint aber hinreichend unangenehm, um den neuen Patriotismus der Berliner Republik realistisch gegen den Strich zu bürsten: Der Deutsche von heute, mit seiner Mischung aus verdrückten historischen Schuldgefühlen, neuem Machtstreben und dem vordringlichen Bedürfnis nach Sicherheit nimmt eine seltsame Klischeeform an, die im Begriff der German Angst schon vorgeprägt ist.

    Es ist ihre kritische Einseitigkeit, die diese Ausstellung so bemerkenswert macht, und in gewisser Weise hat man das Gefühl, dass es davon zur Zeit im neuen Deutschland zu wenig gibt.