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Germanistik in Beijing

Galt früher das Chinesischstudium noch als Exotenfach, bekommt es heute immer mehr Aufwind. So auch in Göttingen. Dort können sogar Abiturienten Chinesisch als Prüfungsfach wählen und die Universität wartet mit einem einmaligen deutsch-chinesischen Studiengang auf Studierende.

Von Carolin Hoffrogge | 29.06.2010
    Schülerin Carolin spricht einen Satz Chinesisch und übersetzt:

    Heute ist das Wetter sehr gut.

    Die 19-jährige Schülerin Carolin Kauz hat ihre Abiturprüfung in Chinesisch mit Bravour bestanden: 15 Punkte, das ist eine Eins Plus.

    "Im Chinesischen ist die Grammatik wesentlich einfacher als in europäischen Sprachen, dabei ist das, was im Chinesischen sehr viel Arbeit macht, das Lernen der Schriftzeichen. Das ist eine Fleißsache, da muss man sich wirklich hinsetzen und immer wieder und wieder die Schriftzeichen schreiben Die Chinesen sagen, das Gedächtnis muss von dem Kopf in die Hand gehen."

    Das Hainberg Gymnasium Göttingen ist die erste Schule in Niedersachsen, die Chinesisch als Abiturfach anbietet. Für Carolin genau der richtige Weg:

    "Dass es jetzt Abiturprüfungsfach ist, das finde ich sehr gut, weil es ganz andere Möglichkeit bietet, etwas ganz anderes zu machen. Und weil es auch ganz viel Möglichkeiten später noch mal im Studium und Beruf eröffnet, selbst, wenn man sich entscheidet, damit später nichts mehr zu machen, aber allein die Tatsache, dass man sich mal mit dem Kulturkreis China beschäftigt hat, eröffnet ganz andere Möglichkeiten."

    Neue Möglichkeiten bietet auch der deutsch-chinesische Studiengang "Interkulturelle Germanistik" an der Universität Göttingen. Seit zwei Jahren fangen jedes Semester zehn Deutsche und zehn Chinesen in Göttingen mit dem Masterstudiengang an. Ein Jahr lernen sie zusammen in Göttingen, bis sie dann gemeinsam nach China ausschwärmen, entweder in die Acht-Millionenstadt Nanjing im Osten Chinas oder in die Hauptstadt Peking. Bin Li kommt aus Peking. Dem 28-Jährigen Masterstudenten ist in Göttingen gleich ein wesentlicher Unterschied zwischen den chinesischen und deutschen Germanisten aufgefallen.

    "Ich würde sagen, die Deutschen sind eher aktiver im Unterricht. Die melden sich immer, wenn sie einen Gedanken im Kopf haben. Wir würden doch lieber bescheiden sein. Zum Beispiel die eigene Meinung verstecken, die eigene Meinung nicht loslassen. Das ist eine Gewohnheit aus früherer Zeit. Dass ist die erste Sache, die wir zuerst ändern müssen, um sich in die deutsche Gesellschaft einzupassen, um akzeptiert zu werden."

    Aber nicht nur die Chinesen lernen von ihren deutschen Kommilitonen, auch umgekehrt funktioniert es. Sitzt Studentin Katharina Kunkel neben Bin Li im Germanistikseminar, fällt ihr gleich auf, wie unterschiedlich sie an Probleme herangehen.

    "Wir zum Beispiel sind ja immer sehr direkt, wir sagen das und das stimmt jetzt nicht, das musst du ändern. Die chinesischen Kommilitonen, die fangen erst an zu loben und kommen durch die Blume an das Problem heran. Das kann sehr hilfreich sein, denn so lernt man auch, dass es auch anders geht und es funktioniert zum Schluss."

    Katharina reist jetzt für ein Jahr nach Nanjing. Damit geht für sie ein langgehegter Traum in Erfüllung.

    "Ich würde gerne noch länger in China bleiben, gerne würde ich unterrichten, gerne würde ich auch ein paar Sachen im Goethe-Institut machen, mehr in den Kulturaustausch."

    Genau dieser Kulturaustausch soll mit dem neuen Studiengang in Göttingen erreicht werden, sagt die Koordinatorin Irmy Schweiger. Deshalb hat sie die chinesische Schriftstellerin Lu Ming für einen Monat nach Göttingen eingeladen.

    Lu Ming, Autorin aus Nanjing ist für vier Wochen hier und spricht kein Deutsch. Im letzten Semester ging es um die Wahrnehmung der Stadt über das Wirtschaftswachstum Chinas hinaus. Sie hat dazu etwas geschrieben und wurde von den Studierenden übersetzt und interviewt. Das haben die chinesischen Studenten mit ihren Kommilitonen aus Göttingen organisiert.

    Aber die Kulturvermittlung ist nicht nur chinesisch-deutsch, sondern auch deutsch-chinesisch, betont Irmy Schweiger.

    "Wenn man Kulturvermittlung machen will, muss man beide Seiten kennen, die chinesische und die deutsche Literaturszene. Dann laden wir auch Lektoren von Göttinger Verlagen ein oder wir laden einen chinesischen Literaturagenten ein, der jetzt beispielsweise Herta Müller nach China vermittelt hat, um hinter die Kulissen schauen zu können. Wie geht das eigentlich? Wie kommt Herta Müller nach China?"

    Ist Bin Li in Deutschland unterwegs und seine Kommilitonin Kathrina Kunkel in China, freuen sie sich beide über die großen Unterschiede der zwei Kulturen.

    "Die Deutschen sind vertrauenswürdig. In Frankreich und Griechenland, wenn du nach dem Weg fragst und sie wissen es nicht, sagen sie den falschen Weg. Das passiert dir in Deutschland nicht. In China habe ich hauptsächlich Tee getrunken, ist auch ganz praktisch, es gibt überall Heißwasser. An allen öffentlichen Plätzen, das jeder heißes Wasser hat für Tee. Das sind so große alte Wasserboiler, da ist immer Wasser drin. Die meisten Chinesen haben ein bisschen grünen Tee dabei. Die laufen auch durch die Städte mit so kleinen runden gläsernen Fläschchen, wo die dann immer wieder nachfüllen auf Arbeit, Bahnhof, Schule, Uni."

    Der Göttinger Studiengang Interkulturelle Germanistik bietet für das kommende Semester noch freie Studienplätze an. Der DAAD und verschiedene Stiftungen unterstützen diese Plätze finanziell. Darüber hinaus organisiert die Universität Göttingen für die Absolventen des deutsch-chinesischen Studiengangs Interkulturelle Germanistik derzeit ein Graduiertenkolleg. Wer nicht den akademischen Weg einschlagen will, dem stehen sowohl auf dem Arbeitsmarkt in China als auch in Deutschland viele Tore offen, meint Irmy Schweiger.

    "Stiftungen, zum Beispiel die Boschstiftung. Wir haben Leute an der FH in Hannover, da geht es um Bildungskooperationen. Es gab hier auch Leute, die haben beim TÜV Nord ihre Praktika gemacht, die sind durch die Assessment Center und da scheint es jetzt weiter zu gehen."