Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Germanwings-Absturz
"Vertrauen in die Lufthansa-Technik"

Der Luftfahrt-Jurist Peter Kehrberger sieht eine mögliche Ursache für den Absturz der Germanwings-Maschine in Frankreich in der Bordelektronik. Er habe zwar volles Vertrauen in die Lufthansa, sagte er im DLF. Der Absturz erinnere ihn jedoch anderes Flugunglück, bei dem Computersteuerungen ausgefallen waren.

Peter Kehrberger im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 25.03.2015
    Der leere Check-in.Schalter der Fluggesellschaft Germanwings, aufgenommen am 28.08.2014 am Flughafen in Hannover (Niedersachsen).
    Peter Kehrberger hat Vertrauen in die Arbeit von Germanwings und Lufthansa. (dpa / picture-alliance / Ole Spata)
    Dass das Flugzeug zunächst die Reisehöhe erreicht habe und dann nach einer Minute in den Sinkflug - kein Sturzflug - gegangen sei, sei erstaunlich und gebe weiter Rätsel auf. Es komme jetzt auf die Auswertung des Cockpit Voice Recorders an, neben der Blackbox der zweite Flugschreiber an Bord.
    Kehrberger erinnert den Vorfall an den Absturz des Birgenair-Flugs 301 in der Dominikanischen Republik, bei dem im Cockpit plötzlich die Anzeigen gefehlt hätten. Er vermute, dass auch im aktuellen Fall eine "Computersteuerung fehlgeleitet war, die die beiden Piloten nicht beherrschen konnten oder nicht wiederbringen konnten".
    Dass die Piloten keinen Notruf abgesetzt haben, hält er für "völlig bedeutungslos". Im ersten Moment müsse der Reflex sein, das Flugzeug wieder unter Kontrolle zu kriegen. "Das hat einfach Priorität."
    In die Wartungsarbeit der Lufthansa habe er volles Vertrauen: "Die Leute sind perfekt und auch immer in Kontakt mit dem Hersteller, das Vertrauen muss man schon haben."

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Nach wie vor steht natürlich die Frage im Raum, wie es gestern zu dieser Katastrophe in den französischen Alpen kommen konnte, zu diesem Flugzeugabsturz. Die Bergungsarbeiten an der Unglücksstelle, die haben wieder begonnen. Ein Mann, der in solchen Situationen schon häufig dabei war, ist der Luftfahrtjurist Peter Kehrberger. Er hat in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Flugzeugunglücke untersucht. Schönen guten Morgen, Herr Kehrberger.
    Peter Kehrberger: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Kehrberger, der Unglücksort ist gefunden. Auch ein Flugschreiber ist bereits geborgen. Was passiert an so einem Unglücksort, an so einer Unfallstelle als nächstes?
    Kehrberger: Ja, das ist natürlich die Auswertung des Flugschreibers, wobei ich davon ausgehe: Es gibt ja zwei Arten von Flugschreibern. Das eine ist die sogenannte Black Box und das andere - es geht nicht ohne englische Ausdrücke hier - ist der sogenannte Cockpit Voice Recorder, also der Recorder, der die Stimmen im Cockpit zwischen den Besatzungsmitgliedern aufzeichnet.
    Armbrüster: Wissen Sie, welches Gerät jetzt gefunden wurde?
    Kehrberger: Nein! Die Meldungen, die gestern kamen, da wurde immer von einem Flugschreiber gesprochen, der die Stimmen aufzeichnet, so dass ich annehme, dass das der eigentlich in dem Fall wichtigere CVR, Cockpit Voice Recorder gewesen sein muss.
    Armbrüster: Mal angenommen, es sind jetzt beide Geräte gefunden worden, wie lange dauert es dann mit der Auswertung?
    Kehrberger: Das kommt auf das Tempo an, das gemacht wird, und nach dem, was die Politiker gestern alles gesagt haben, ist doch anzunehmen, dass das innerhalb von wenigen Stunden passieren kann.
    Armbrüster: Wenn Sie sich nun die Informationen ansehen, die wir an diesem Mittwochmorgen bereits haben, auch die Bilder, die verschiedenen Daten über den Flug, die wir gestern bekommen haben, was ist für Sie eine wahrscheinliche Ursache dieses Unglücks?
    Kehrberger: Ich will mich nicht gerne einreihen in diejenigen, die gestern schon Spekulationen angestellt haben. Da waren ja auch Fachleute dabei, die teilweise sehr, sehr wohlbegründet gesprochen haben. Aber es erstaunt schon, dass dieses Flugzeug die Reiseflughöhe erreicht hatte in rund 38.000 Fuß - in der Luftfahrt wird ja immer von Fuß gesprochen und nicht von Metern; das muss man durch drei teilen -, und dass es dann nach einer Minute einen "Sinkflug" begonnen haben soll. Das war in der Tat wohl ein Sinkflug und kein Sturzflug, denn der Flieger war nach acht Minuten auf einer Höhe von 6000 Fuß angelangt. Und das ist die große Rätselfrage hier.
    "Computersteuerung möglicherweise fehlgesteuert"
    Armbrüster: Haben Sie dafür irgendeine Erklärung? Gibt es dafür eine mögliche Erklärung, dass so ein Flugzeug plötzlich und ganz unerwartet in Sinkflug übergeht?
    Kehrberger: Ja. Meiner Ansicht nach hat das mit Computern zu tun. Der Airbus A320 ist ja ein vollcomputerisiertes Flugzeug, soweit ich erinnere auch das allererste, was so total mit Computern ausgestattet gewesen ist, und mich erinnert das an den berühmten oder berüchtigten Birgenair-Unfall vor vielen Jahren in der Dominikanischen Republik, wo beim Takeoff Run - auch so nennt man das -, beim Lauf auf der Runway, praktisch plötzlich die Anzeigen fehlten. Dann wurde das umgeschaltet von der Copilotenseite auf die Pilotenseite. Es hat eine gewisse Ähnlichkeit hier damit und deswegen ist meine Vermutung, dass irgendetwas mit der Computersteuerung fehlgeleitet war, die die beiden Piloten nicht beherrschen konnten oder nicht wiederbringen konnten. Die Tatsache, dass sie nicht gleich über Funk irgendwo gerufen haben, ist meines Erachtens bedeutungslos, weil …
    Armbrüster: Warum? Wäre das nicht der erste Reflex eines Piloten, einen Notruf abzusetzen?
    Kehrberger: Nein. Der erste Reflex muss sein, das Flugzeug wieder unter Kontrolle zu kriegen. Irgendetwas ist außer Kontrolle geraten und dann geht es in erster Linie darum, das Flugzeug von Hand wieder zu fliegen, wenn es absteigt und nach unten sich neigt.
    Armbrüster: Und dann beschäftigt sich ein Pilot acht Minuten lang mit seinem Copiloten mit dieser Fehlerbehebung, ohne ein einiges Mal Kontakt aufzunehmen zu irgendeiner Leitstelle?
    Kehrberger: Ja. Das hat ganz einfach Priorität und offensichtlich war es ja wohl so, dass innerhalb dieser acht Minuten da genügend zu tun war im Cockpit, mit Steuerung, mit Power Setting - Entschuldigung, wenn ich immer wieder englische Ausdrücke bringe, aber das sind halt die richtigen -, und dann kommt es nicht darauf an, noch mal über die Company-Frequenz bei der Firma anzurufen, oder über die normale Frequenz bei der Flugsicherung.
    "Vertrauen in die Lufthansa-Technik"
    Armbrüster: Könnte es denn sein, dass die beiden Piloten bewusstlos waren?
    !!Kehrberger:! Auch das ist nicht auszuschließen. Ich meine, wir haben diese Fälle ja auch schon gehabt in anderen Unfällen. Ich glaube, es war irgendeine griechische Gesellschaft, die vor Jahren mal dann noch kilometerweit, allerdings mit Autopilot und geradeaus weitergeflogen ist, bis der Sprit ausgegangen ist.
    Armbrüster: Herr Kehrberger, Sie haben gerade gesagt, es ist gut möglich, dass dieses Unglück begründet ist in einem Fehler der Bordelektronik, in einem Fehler bei der Computerisierung dieser Cockpits. Jetzt haben wir schon gehört, von Germanwings und auch von Lufthansa, dass diese Maschinen alle in den vergangenen Monaten und Jahren auf den aktuellen Stand gebracht wurden, dass auch die Unglücke mit Sensoren und mit Bordelektronik dabei berücksichtigt wurden und dass diese Erkenntnisse darin eingeflossen sind. Haben Sie da Vertrauen in solche Statements?
    Kehrberger: In die Arbeit der Lufthansa-Technik habe ich durchaus Vertrauen. Die Leute sind wirklich perfekt und in ständigem Kontakt mit den Herstellern und verbessern auch die Flugzeuge auf eigene Art und Weise. Dieses Vertrauen, glaube ich, muss man schon haben. Aber irgendetwas ist halt einfach nicht stimmig. Ich meine, es gibt eine ganze Reihe von Computerfehlern in der Luftfahrt der letzten Jahre, nachdem immer mehr computerisiert wurde. Ich erinnere mich, es gab auch irgendeinen Unfall - ich meine auch, es wäre Lufthansa gewesen - in Warschau, wo der Computer nach dem Aufsetzen bei einem Scherwind falsch reagiert hat, das Flugzeug zum Wiederstart gezwungen hat. Das hing damals damit zusammen, dass die Sensoren beim Fahrwerk noch auf das Fahrwerk wirkten, was noch in der Luft war.
    Armbrüster: Peter Kehrberger war das, Luftfahrtjurist und einer, der in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Flugzeugunglücke untersucht hat. Vielen Dank, Herr Kehrberger, für Ihre Zeit heute Morgen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.