Freitag, 29. März 2024

Archiv

Gerst zurück von der ISS
Heiße Rückreise zur Erde

Nach über sechs Monaten an Bord der ISS hat Alexander Gerst jetzt wieder festen Boden unter den Füßen. Der deutsche Astronaut ist am Morgen an Bord einer Sojus-Raumkapsel in Kasachstan gelandet. Bei so einem Landemanöver gibt es viele kritische Punkte, an denen nichts schiefgehen darf.

Dirk Lorenzen im Kollegengespräch mit Lennart Pyritz | 20.12.2018
    20.12.2018, Kasachstan: KAZAKHSTAN - DECEMBER 20, 2018: ESA Astronaut Alexander Gerst bei der Sojuz MS-09 Landungskapsel in Kasachstan am 20.12.2018, getragen von zwei Landungshelfern.
    Der deutsche ESA-Astronaut Alexander Gerst ist wieder sicher auf der Erde gelandet (picture alliance / Tass / Alexander Ryumin)
    Lennart Pyritz: Nach mehr als sechs Monaten an Bord der Internationalen Raumstation ISS ist Alexander Gerst heute Morgen um 6:02 Uhr mitteleuropäischer Zeit wieder auf der Erde gelandet. Genauer: in der schneebedeckten Steppe Kasachstans. Eine russische Sojus-Raumkapsel hat den deutschen Astronaut und seine zwei Besatzungsmitglieder zurückgebracht. Ich bin jetzt verbunden mit meinem Kollegen Dirk Lorenzen, Astrophysiker und Raumfahrtexperte. Mit ihm wollen wir den Weg von der ISS zur Erde nochmal nachzeichnen, und auch etwas in die Zukunft blicken. Dirk, spektakulär ist ja immer der Start. Da wird ja sozusagen die Energie der Raumfahrt unmittelbar sichtbar. Wie läuft denn so eine Landung wie heute ab?
    Dirk Lorenzen: Während der Start ja wirklich so schnell und heftig ist - da ist nach gut acht Minuten alles vorbei, dann ist man in der Umlaufbahn - dauert eben so eine Landeprozedur dann doch deutlich länger. Alexander Gerst und seine amerikanische Kollegin und der russische Kollege sind gestern Abend deutscher Zeit schon in die Sojus-Kapsel gestiegen. Dann wurde die Luke geschlossen, dann gibt es langwierige Tests, ob alles dicht ist. Gegen viertel vor drei heute Morgen hat man dann von der Raumstation abgedockt. Und richtig kritisch wurde es dann erstmals um 5:11 Uhr deutscher Zeit. Da musste eben das in Flugrichtung zeigende Triebwerk knapp fünf Minuten lang brennen, um die Kapsel richtig abzubremsen. Das hat geklappt. Und dann ist eben die Sojus tatsächlich in die Erdatmosphäre eingetreten. Um 5:42 Uhr haben dann langsam die Astronauten an Bord gemerkt: Oh, jetzt wird’s hart, jetzt wird’s schüttelig. Draußen wurde es sehr heiß, mit der Reibungshitze. Die Astronauten haben das Vierfache ihres Körpergewichts gespürt. Das ist schon ein ganz ordentlicher Ritt. Und 20 Minuten später war dann alles vorbei. Sie waren heil und sicher am Boden.
    "Raumfahrt ist nie selbstverständlich"
    Pyritz: Wie riskant ist denn so ein Manöver?
    Lorenzen: Es darf da nichts schiefgehen, oder fast nicht. Das ist eben genau wie beim Start. Ganz kritisch ist eben diese Bremszündung, die darf nicht zu kurz sein, aber auch nicht wirklich zu lang. Dann gäbe es Probleme. Klar, der Bremsfallschirm muss aufgehen, nachher die Bremsdüsen, die den allerletzten Aufprall noch ein bisschen dämpfen, auf den letzten Metern. Die müssen funktionieren, und trotzdem ist eben so eine Landung sehr ruppig. Das merkt man daran, die Astronauten haben alle perfekt an den Körper angegossene Sitzschalen. Wenn die in irgendwelchen normalen Standardsitzen säßen, würden hier wirklich Wirbelsäulenverletzungen drohen. Und man muss sich immer klarmachen, die russische Raumfahrt ist sehr sicher. Aber so eine Landung birgt eben Risiken. Und es gab überhaupt nur zwei tödliche Unfälle in der damals noch sowjetischen Raumfahrt, beide Male bei der Landung - zuletzt allerdings auch schon 1971, also sehr lange her. Trotzdem: Raumfahrt ist nie selbstverständlich. Alle waren froh, als sie heil am Boden waren.
    Pyritz: Für Aufsehen hat ja auch ein Loch in der Wand des Sojus-Raumschiffs gesorgt, das Ende August entdeckt worden war. Hat das heute ein zusätzliches Risiko bedeutet?
    Lorenzen: Nein, das war kein Risiko, weil es in einem Teil dieses Sojus-Raumschiffs war, der gar nicht mit in die Erdatmosphäre eingetreten ist. Das sind drei Teile. Und unmittelbar vor dem Eintritt in die Atmosphäre werden die beiden überflüssigen Teile abgesprengt, nur die Landekapsel kommt nach unten. Also, das Teil mit dem Loch, das spielte heute gar keine Rolle. Da war Alexander Gerst nicht drin, da drohte keine Gefahr.
    Zukünftige Missionen ins All
    Pyritz: Wie geht es denn jetzt weiter mit Alexander Gerst - sind da schon Pläne für die Zukunft bekannt?
    Lorenzen: Erst einmal geht's ganz konkret für ihn zurück, dass er jetzt also erst mal nach Köln muss, um sich dort untersuchen zu lassen. Da möchte er ja heute Abend noch ankommen. Nach diesen sechs Monaten in der Schwerelosigkeit hat sich ja der Körper sehr stark verändert. Und jetzt wird man eben genau untersuchen: Wie passt sich denn der Körper wieder an die Schwerkraft an? Wir sind die möglichen Einschränkungen? Lassen Sie sich rückgängig machen, oder gibt es dauerhafte Schäden? Die Astronauten selber sind ja immer so ein bisschen Versuchskaninchen.
    Pyritz: Ist denn schon absehbar ob, und wenn ja, wann Alexander Gerst noch einmal, das dritte Mal, ins All aufbrechen wird?
    Lorenzen: Nein, das noch nicht. Und auch zwischen seiner ersten und der zweiten Mission lagen ja auch tatsächlich vier Jahre. Und jetzt ist es natürlich so, wenn er jetzt noch einmal ein halbes Jahr auf die Raumstation sollte, wäre das sicherlich nicht furchtbar attraktiv. Denn die Astronauten sind doch meist ein bisschen genervt, wenn es dann doch so lange dauert. Ohnehin wartet ja in Deutschland zunächst Matthias Maurer als zwölfter Astronaut auf seinen Einsatz ins All. Und die Frage ist eben, wann Alexander Gerst dann dran kommt. Der würde sicherlich sehr gerne als nächstes mit diesem europäischen Orion-Raumschiff Richtung Mond fliegen. Da steht der Jungfernflug so 2022, 2023 an. Noch ist unklar, ob ein ESA-Astronaut dabei ist. Und ob das dann Alexander Gerst wäre, weiß man auch noch nicht.
    Pyritz: Dirk Lorenzen über die Rückkehr des deutschen Astronauten Alexander Gerst zur Erde.