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Gertrude Stein und Alice. B. Tokla ganz privat

In einem Interview berichtet Monique Truong, wie sie auf die Idee kam, über das Leben Gertrude Steins und ihrer Lebensgefährtin Alice B. Toklas aus der Sicht ihres vietnamesischen Kochs zu schreiben. Demnach kaufte die Autorin, als sie noch ins College ging, ein Exemplar von Alice B. Toklas Kochbuch, um dort nach einem Rezept für Brownies zu schauen. Bald entdeckte sie, dass dieses Buch mehr einem Band mit Erinnerungen glich als einem Kochbuch. Zu ihrer Verwunderung fanden auch zwei indonesische Köche Erwähnung, die bei "den Steins" in den 20er Jahren angestellt waren. Diese Köche, so dachte Monique Truong, müssen in dem berühmten Pariser Salon, wo sich Maler und Schriftsteller die Türklinke in die Hand gaben, alles gesehen und miterlebt haben. Da den Steins ihre Angestellten allerdings nur eine Fußnote in den von ihnen verfaßten Büchern wert waren, schlüpft die Autorin in die Rolle eines dieser Köche und macht ihn zu einem Vietnamesen. Dieser erzählt uns nicht nur die Geschichte seiner Jugend im Saigon der französischen Kolonialzeit, sondern er berichtet vor allem über das private Leben Gertrude Steins und Alice. B. Toklas.

Von Martin Grzimek | 16.12.2004
    "Das Buch vom Salz" ist Monique Truongs erster Roman. Sie wurde 1968 in Saigon geboren und kam zusammen mit ihrer Mutter mit sechs Jahren als Flüchtling in die USA, absolvierte ein Jurastudium, arbeitete als Patentanwältin in einer namhaften Kanzlei, fühlte sich aber zugleich immer auch zur Schriftstellerei berufen. 1997, nachdem sie ein Anthologie mit vietnamesischer Poesie und Prosa herausgegeben hatte, begann sie mit dem Schreiben ihres Romans, der nicht nur stilistisch von erstaunlicher Sicherheit ist. Durch eine am Detail orientierte und zugleich vertäumte Erzählweise gelingt es Monique Truong, die häufig von Klischees überdeckte Zeit der Pariser Boheme zu entmystifizieren, so dass – soweit es die Steins betrifft – nach und nach das Bild zweier etwas schrulliger Damen entsteht, deren Leben sich hauptsächlich um sich selbst, ihre Hunde und ihre Gaumenfreuden dreht. Im Kontrast hierzu erzählt Binh, der 26jährige vietnamesische Koch, von seiner eigenen ärmlichen Kindheit in Saigon zu Beginn des 20. Jahrhunderts und beschwört in der Erinnerung an seine Heimat eine im Vergleich zu Europa völlig andere Welt. "Wenn es in Saigon regnet", erzählt er, "bleibt die Sonne weiß glühend, und die Erde darunter dampft. Die Hitze dort heftet sich an meinen Rücken, und ich trage sie mit mir herum, egal, wo ich bin, draußen oder drinnen. Dort heißen die Jahreszeiten 'Drückende Schwüle’ oder 'Feuchte Hitze’, eine ununterbrochene Abfolge von Monaten, die einem wie Jahre vorkommen. Dort lernen die Blumen, nachts zu blühen. Dort feiern Feste den Mond in seinem versöhnlichen blauen Licht. Dort hatte ich mich daran gewöhnt, dass sich das Leben langsam bewegt."

    Als Binh noch ein Heranwachsender ist, beginnt er, unter der Obhut seines ältesten Bruders in der Küche des französischen Generalgouverneurs zu arbeiten. Die Passagen, die über diese Zeit berichten, gehören zu den einfühlsamsten und originellsten des Romans. Man erfährt nicht nur, welche Mühe es macht, in der Hitze der Tropen Eischnee zu schlagen. Es stellt sich heraus, dass Binh, der Erzähler, homosexuell ist. Binh verliert deswegen seinen Arbeitsplatz, wird aus der Familie verstoßen und verläßt sein Land. Er heuert als Küchenjunge auf einem Schiff an und landet schließlich in Paris, wo er sich auf eine Annonce hin als Koch bei den Steins bewirbt. Die ärmlichen Verhältnisse in Saigon, die herrschaftliche Lebensart der französischen Kolonialisten, die Überfahrt auf dem Schiff, die Wohnung der Steins in der Rue de Fleurus 27, das Zimmer eines homosexuellen Amerikaners, der bei den Steins verkehrt und mit dem Binh ein Verhältnis hat, der Jardin du Luxembourg mit seinen Tauben und eine Brücke über die Seine, auf der Binh zufällig auf Ho Chi Minh trifft – das sind die Spielorte dieses Romans, die Fluchtorte des heimatlosen Erzählers, die bisweilen in verwirrender Abfolge gemischt und assoziiert werden. "Ein nicht ganz zuverlässiger Erzähler" wird Binh daher zu Recht im Klappentext genannt, und, so könnte man hinzufügen, bisweilen ein auch etwas unglaubwürdiger. Ein junger Koch, der oft pseudopoetisch über Sprache räsoniert ("Ich stelle mir deine Sprache vor als Wasser in meinen Händen, spiegelnd und klar."), Platitüden von sich gibt ("Wert ist ja schließlich etwas Relatives.") und pathetische Bilder erfindet ("Du trittst auf die Straße und bist plötzlich wie zerbrochenes Grau.") entstammt doch eher der Vorstellungswelt der Autorin Monique Troung.

    Man merkt, dass die 36jährige Schriftstellerin, die weder in ihre Heimat zurückkehren will, noch sich ganz als US-Amerikanerin fühlen kann, mit ihrem ersten Roman "Das Buch vom Salz" eine geschickte Rezeptur für den Erfolg gefunden hat, den das Buch in den Vereinigten Staaten verzeichnen konnte: europäisches Kulturgut, asiatisches Ambiente, Homosexualität, ein poetisierender Stil, populäres Name-dropping und einige interessante Kochrezepte, wie zum Beispiel das von der in Feigen und Portwein gedünsteten Ente. Und dann durchziehen diese Prosa der inneren Monologe und fiktiven Dialoge natürlich immer wieder Binh’s Gedanken über die Hauptmetapher dieses Buches, das Salz: "Salz, dachte ich. Was für Salz, Gertrude Stein? Kochsalz, das Salz im Schweiß, in den Tränen oder im Meer? Das ist nicht alles dasselbe, Madame. Wie es brennt, wie es sticht, wie stark es ist, bei all dem gibt es feine Unterschiede. Wissen Sie, Gertrude Stein, welche Arten ich mit meiner Zunge geschmeckt habe?"

    Monique Truong erzählt eine reizvolle Geschichte aus einer geheimnisvollen Zeit der Unterdrückungen und Entdeckungen, der Kunst und Literatur, der Verschrobenheiten und des Unkonventionellen. Sie versucht – manchmal ein wenig übertrieben –, der Sprache Sinnlichkeit zu geben, was wir zum Glück durch die hervorragende Übersetzung von Barbara Rojahn-Deyk genüßlich nachvollziehen können.