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Geschäfte mit Geschichte

Historiker gehören zu den Geisteswissenschaftlern, die zum Ende ihres Studiums ohne klares Berufsfeld dastehen. Bundeskanzler werden, einen Lehrstuhl ergattern oder Taxi fahren - so breit etwa ist das Spektrum der Zukunftsperspektiven für Geschichtswissenschaftler. Eine eigene Firma zu gründen und sich in der Privatwirtschaft zu behaupten, kommt sicher den wenigsten in den Sinn. Drei Berliner Historiker sind mit genau dieser Idee recht erfolgreich.

Von Andrea Lueg | 30.09.2005
    "Heute hab ich mich mit jüdischen Kunstsammlern beschäftigt, vor allem mit Auktionatoren und Kunsthändlern im Jahr 1932 und erstell da grad eine Liste aus dem Adressbuch von 1932."

    Geschichte hautnah lernt Praktikantin Riccarda Busse beim Berliner Forschungsinstitut Facts & Files. Drei Monate lang taucht sie ein in Akten und Archive und findet den Unterschied zum Studium erfrischend:

    "Erstmal hilft es mir, den Beruf des Historikers ein bisschen besser einzuschätzen. Also im Studium hat man ja doch wenig Kontakt mit wirklich historischer Arbeit, man sitzt da zwar immer in Bibliotheken und schreibt Texte, aber wie man eigentlich als Historiker vorgeht, dass man auch in Archiven suchen muss und solche Sachen, damit hat man leider wenig zu tun, also grad mit den Hilfswissenschaften, da hat mir’s schon ein bisschen geholfen."

    Das historische Arbeiten bei Facts & Files sieht anders aus, als man es sich gemeinhin bei Historikern vorstellt, denn Facts & Files ist ein Dienstleistungsunternehmen, eine Geschichtsfirma sozusagen.

    "Das Spektrum der Auftraggeber reicht von der Privatperson, die also was zu den Vorfahren wissen möchte, über den Anwalt, der im Rahmen seiner juristischen Arbeit wissen möchte, wo bestimmte Unterlagen verblieben sind, respektive Unterlagen ausgewertet oder Ereignisse bewertet haben möchte, bis hin zur Kommissionstätigkeit, wir haben aber auch öffentliche Auftraggeber, die im Rahmen ihrer Tätigkeit mit Dingen konfrontiert sind, die sie durch den freien Dienstleister schneller, besser getätigt sehen, oder aber wir entwickeln gemeinsam Projekte auch mit öffentlichen Trägern, so dass man da auch gegenseitig von den Kompetenzen, Fähigkeiten partizipieren kann,"

    erklärt Jörg Rudolph, einer der Gründer. Gemeinsam mit Frank Drauschke und Beate Schreiber hatte Rudolph die Idee zu Facts & Files, die im Sommer 1999 in die Tat umgesetzt wurde. Entgegen allen Warnungen waren sich die drei schon damals sicher, dass historisches Wissen auch außerhalb der Uni gefragt ist. Und sie wurden rasch bestätigt:

    "Und es ging dann auch direkt los, wir hatten auch Glück, es gab schon so ein paar Kontakte und es ergaben sich dann auch ganz schnell andere Kontakte, so dass wir schon nach knapp nem halben Jahr hatten wir dann schon unseren größten und für die nächsten Jahre wichtigsten Auftrag vorliegen von der internationalen Kommission für Holocaust Ära Versicherungsansprüche."

    Über vier Jahre lang haben die Historiker an diesem Auftrag gearbeitet, in elf Ländern und über 50 Archiven. Der Nationalsozialismus ist übrigens die Zeit, für die sich die meisten Kunden von Facts & Files interessieren. Inzwischen ist die Berliner Geschichtsfirma Marktführer in ihrem Bereich, beschäftigt vier feste und eine wechselnde Zahl freier Mitarbeiter und macht inzwischen einen Jahresumsatz von einer halben Million Euro. Dass sie sich mit Geschichte am freien Markt verdingen, nehmen manche Historiker an den Hochschulen den Gründern übel. Dabei legen die drei Wert darauf, dass sie die Geschichte auf keinen Fall zurechtbiegen würden, um Kunden zufrieden zu stellen. Nicht immer kommen die Auftraggeber damit klar.

    "Da gab es mal jemanden aus Amerika, der war der Meinung, er ist mit dem und dem Adligen und sonst wie verwandt. Wir haben alles gefunden, also aus irgendeinem tschechischen Dorfarchiv haben wir die Unterlagen gefunden und es waren halt irgendwelche Viertelbauern aus einem mährischen Dorf bei Brünn und nichts von wegen großer Adel und da hatten wir dann Pech, der hat sich dann auch nicht mehr gemeldet und hat auch noch nicht mal die Rechnung bezahlt."

    Doch das ist die Ausnahme. Für die drei Historiker ist ihre Firma die Alternative zur Hochschulkarriere, erklärt Jörg Rudolph:

    "Wir haben Dinge gemacht, die man an einem Bürotisch nie gemacht hätte, also wir sind 800 Meter unter der Erde in Schachtanlagen gewesen um mit Filmteams in Salzschächten historische Orte aufzusuchen, wir sind in Magazinen und Speichern gewesen, wir haben Personen kennen gelernt, die man so im Alltag nicht kennen lernt."

    Ein paar Träume allerdings sind noch offen:

    "Wenn wir mal maßgeblich an einem großen historischen Film mitarbeiten könnten, bei einer größeren Produktion wirklich von Anfang an dabei zu sein und direkt mit eingreifen zu können und entscheiden zu können."